7. September 2018 1 Likes

Medizin 2.0

In Ursula Poznanskis SF-Thriller „Thalamus“ werden Jugendliche zu Versuchskaninchen

Lesezeit: 3 min.

Ein Jahr ohne neues Jugendbuch von Ursula Poznanski? Undenkbar! Nach „Layers“ und „Elanus“ mussten Phantastik-Fans letztes Jahr eine Pause einlegen. „Aquila“ hatte zwar seine mysteriösen Momente, aber kaum phantastische Elemente. Nun liegt seit kurzem „Thalamus“ in den Läden. Und hier befindet sich die Österreicherin in bekannten Gefilden. Als Medizinjournalistin berichtet sie über reale und fiktive Technologien der modernen Medizin.

„Thalamus“ beginnt mit dem Albtraum jedes jugendlichen Motorrollerfahrers (und dessen Eltern): ein Überholvorgang geht auf nasser Straße schief. Timo, 17 Jahre jung, kann den Unfall nicht mehr verhindern. Drei Wochen später erwacht Timo im Krankenhaus. Diagnose: Schädelhirntrauma. Für den Jungen quälend langsam, für die Ärzte rasend schnell erholt sich der Teenager von seinen schweren Verletzungen. Timos Bewegungen sind jedoch limitiert, sein Sprachzentrum komplett lahmgelegt. Eine Reha am Markwaldhof soll ihm weiterhelfen. Dort trifft der Junge auf Gleichaltrige, die ein ähnliches Schicksal ereilt hat: auf den immer gut gelaunten Carl, das im Rollstuhl sitzende ehemalige Schwimmass Mona, und den bettlägrigen Zimmergenossen Magnus, dessen Geisteszustand Carl als „Gemüse“ bezeichnet, wenn auch als „Gemüse mit Hoffnung“. Doch dann steht Magnus eines Nachts an Timos Bett und droht ihn zu töten. Auch andere Mitpatienten scheinen eine seltsame Form des Schlafwandelns zu entwickeln, an die sie sich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern können. Selbst Timo bleibt hiervon nicht verschont. Mit ihm passiert aber noch Gruseligeres. Plötzlich hört er eine Stimme in seinem Kopf, die ihm kryptische Ratschläge gibt – und er kann die Fahrstühle per Gedankenkontrolle bedienen! Timo beginnt zu recherchieren und kommt hinter das tödliche Geheimnis seines Verhaltens. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, sonst würden seine Freunde sterben.

Poznanski lässt Timo und die Leser lange Zeit im Dunkeln, worum es wirklich geht. Und auch an dieser Stelle soll es keinen Spoiler geben. Nur so viel: es ist eine der Zukunftstechnologien schlechthin, die in der Science Fiction schon alltäglich ist, sich in der Gegenwart aber erst im Entwicklungsstadium befindet. Allerdings: auf einem anderen Feld hat die grundlegende Technologie schon längst Einzug in unserem Alltag gehalten. Na, Neugierig geworden? Neugier ist auch eine treibende Kraft in „Thalamus“. Poznanski schildert eindrucksvoll und sehr realistisch Timos gesundheitliche Entwicklung: vom vernebelten Aufwachprozess im Krankenhaus über die frustrierenden Ergo- und Logotherapien, bis hin zur Mobilisierung aller Kräfte, um bei den Nachforschungen am Markwaldhof nicht entdeckt zu werden. Hier merkt der Leser schnell, dass die Autorin vom Fach ist und sehr viel Wert auf die Schilderung dieser Szene gelegt hat.

Wer auf großartig ausdifferenzierte Charaktere hofft, wird etwas enttäuscht sein. Poznanskis Helden sind traditionell die Jungs und Mädels von nebenan, mit denen sich die meisten Teenager identifizieren können. Timo, Carl und Mona sind dennoch die Sympathieträger des Romans. Auch die Antagonisten hat der Vielleser so oder so ähnlich schon einmal irgendwo gesehen. Aber das große Plotkonstrukt überzeugt am Ende doch. Da sei der Autorin auch die eine oder andere Schwäche in der Geschichte verziehen. Immerhin wandelt sich die Erzählung: von einem Mysteryroman zu einem Medizinthriller – alles in einem begrenzten Rahmen, innerhalb der Mauern und der Zäune des Markwaldhofs. Da Timo und seine Freunde ungewollt und unwissentlich zu Versuchskaninchen der Wissenschaft wurden, werden auch Fragen der Medizinethik aufgeworfen: Wie weit darf Forschung gehen? Wo sollten Grenzen gezogen werden? Fragen, die angesichts der zentralen Technologie des Romans dringend gestellt und auch beantwortet werden müssen.

Mit „Thalamus“ legt Ursula Poznanski einen weiteren, gut konstruierten SF-Thriller für Jugendliche vor. Im Zentrum steht die ganz reale Forschung an einer Technologie, die die Medizin revolutionieren könnte. Und wer weiß, ob am Ende nicht viele der fiktiven Elemente in dieser Geschichte gar keine Fiktion mehr, sondern schon bald Realität sind? Science Fiction-Autoren sollen ja bekanntlich ein ganz besonderes Näschen für die Möglichkeiten der Technik haben.

Ab Ende September ist Ursula Poznanski mit „Thalamus“ auf Lesereise.

Ursula Poznanski: Thalamus • Loewe, Bindlach, 2018 • 448 Seiten • 16,95 € • Empfohlen ab 14 Jahren

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