24. August 2015 4 Likes 1

Meister der Geheimnisse

In Ursula Poznanskis neuem Roman „Layers“ steht eine Datenbrille im Mittelpunkt des Geschehens

Lesezeit: 4 min.

Fans fiebern „Layers“ schon seit Wochen entgegen. Mit #wirLesenLayers bewirbt der Loewe Verlag vor allem online den neuesten Roman von Ursula Poznanski, der mit Preisen überhäuften derzeit wohl beliebtesten Schriftstellerin Österreichs. Bekannt wurde sie durch ihren ersten Jugendbuchroman „Erebos“, in dem ein teuflisches Computerspiel die Protagonisten zu ebenso diabolischen Taten anstiftete. Nach einem Ausflug in die LARP-Szene („Saeculum“), ins Thrillergenre für Erwachsene (u. a. „Stimmen“) und eine dystopische Zukunft („Eleria“-Trilogie) erschien diesen Monat mit „Layers“ ein neuer All-Age-Thriller, in dem die Nutzungsmöglichkeiten einer Datenbrille diskutiert werden.

Held der Geschichte ist der siebzehnjährige Dorian, der sich als Obdachloser durchs Leben schlägt. Als er eines Nachts neben der Leiche eines anderen Wohnungslosen aufwacht und befürchtet, diesen im Schlaf getötet zu haben, tritt ein Unbekannter an ihn heran und verspricht, ihm aus der Patsche zu helfen. Gleichzeitig ist er Mitarbeiter einer Organisation, die sich um Jugendliche wie Dorian kümmert und ihnen eine zweite Chance gibt. In der Villa des generösen Mäzens Raoul Bornheim bekommt er kostenlos Unterkunft, Verpflegung und Unterricht. Technische Geräte wie Computer und Smartphone sowie jegliche Form von Nachrichten sind hingegen tabu. Im Gegenzug müssen die Kids sich gegenseitig unterrichten und im streng geregelten Tagesablauf kleinere Aufgaben im Haus, in der Stadt, oder für eine von Bornheims Firmen erledigen. Einer der Botengänge geht schief und Dorian ist plötzlich getrennt von seinen Freunden in der Villa, deren Lage den Teenagern nicht mitgeteilt wurde. In seiner Verzweiflung öffnet er das vom Empfänger verweigerte, mysteriöse Päckchen und staunt nicht schlecht: es enthält eine hochmoderne Datenbrille. Von dem Moment an, an dem er sie aktiviert, wird Dorian gejagt und kann niemandem mehr trauen.

Bis zu der Szene, in der Dorian die „Visioner“ genannte Datenbrille das erste Mal benutzt vergehen knapp 140 Seiten. In der langen Exposition nimmt sich Ursula Poznanski Zeit, Dorians Alltag in der Villa mit dem auf der Straße zu kontrastieren. Bornheims philanthropisches Projekt verspricht den Jugendlichen Halt in einer Gesellschaft, in der viele von ihnen aus den unterschiedlichsten Gründen als Außenseiter gelten und keine Lobby haben. Hier finden sie Freunde und eine Ersatzfamilie. Nachdem Dorian mehrere Tage auf dem Anwesen verbracht hat, bekommt die paradiesische Fassade jedoch erste Risse: eine geheime Gruppe – „Mambas“ genannt – soll im Hintergrund heikle Aufgaben für Bornheim erledigen, Jugendliche verschwinden auf mysteriöse Weise, und ein Nebengebäude mit hochmodernen Computerterminals wird durch einen massiven Sicherheitszaun geschützt. Zudem sprechen ihn beim Verteilen von Flyern wildfremde Leute auf seine vermeintliche Tat und seine Vergangenheit an. War es wirklich Zufall, dass Dorian in jener Nacht vor der Polizei und einer Mordanklage gerettet wurde? Was steckt wirklich hinter der „Villa Bornheim“ und welche Pläne verfolgt ihr Schöpfer?

Um diese Frage zu beantworten muss sich Dorian mit dem „Master-Visioner“ und den Daten, die er ihm liefert, auseinandersetzen. Die Brille offenbart dem kleinen ausgewählten Kreis von „Standard-“ und „Master-Visioner“-Trägern eine zweite, verborgene Sichtweise auf die Welt, die weit über die Fähigkeiten alltäglicher, auf augmented reality ausgelegte Smartphone-Apps hinaus geht. Gleichzeitig sind die Träger – anders als z. B. die Nutzer von Google Glass – defacto unsichtbar für nicht eingeweihte Personen, die den „Visioner“ für eine ganz normale Sehhilfe halten. Die Bedienung erfolgt per Augenkontakt und legt eine zusätzliche Ebene (engl. layer) über das, was ihr Träger sieht. Sie konstruiert eine zweite Realität und verspricht den Zugang zu Informationen, die sich für gute, aber auch für dubiose Zwecke nutzen lassen. Die Geheimnisse von Personen, Gebäuden und Firmen sind für Visionerträger in der gesamten Stadt zu lesen. Jeder kann durch verborgene Botschaften um Hilfe gebeten, unter Druck gesetzt oder manipuliert werden. Was die Brille bzw. die Datensammler im Hintergrund über den Träger selbst wissen, bleibt diesem allerdings verborgen.

Dorian bekommt Einblick in die ethischen Vorstellungen, die die Entwickler für sich und die weiteren Angehörigen ihres Geheimbundes als Maxime auserkoren haben. Im verpflichtenden Ethik-Unterricht in der Villa mussten sich die Jugendlichen noch mit den Folgen ihrer Handlungen auseinandersetzen. Die Welt verbessern und den Menschen Denkanstöße geben bilden den Grundsatz von Bornheims Schützling und Dorians scheinbarem Retter Nicolas. Doch wie weit darf der Einzelne für diese Ziele gehen? Während grüne Lettern Dorian die Rückkehr in die Villa ermöglichen, wird er auf verborgenen Fahndungsplakaten „zur Jagd freigegeben“ oder er und seine Freundin Stella werden in blutroter Schrift mit dem Tod bedroht. Andere hat dieses Schicksal bereits ereilt. Wird die Stadt ähnliches erleben, oder hat der geheime, über die Stadt verteilte Countdown eine andere Bedeutung?

„Layers“ ist ein spannender und empfehlenswerter Jugendbuchroman, der sich mit einem hochaktuellem Thema befasst und dabei auf die Hektik und das cineastische Tempo vieler vergleichbarer anglo-amerikanischer Titel weitestgehend verzichtet. Der von Ursula Poznanski erfundene „Visioner“ ist weit entfernt von einer Datenbrille à la Google Glass, offenbart aber das Potential dieser Technik. Wie nahe sie damit am Zeitgeist ist, zeigt die Entscheidung des amerikanischen Konzerns, die Brille neu zu konzipieren. Erst vor kurzem wurde in Japan mit dem „Privacy Visor“ ein Gegenkonzept vorgestellt: ihrem Träger soll Anonymität gegenüber Überwachungskameras und Erkennungssoftwares ermöglichen werden. Ob der „Visioner“ eines Tages Realität werden könnte, wird die Zukunft zeigen.

Ursula Poznanski: Layers • Loewe Verlag, Bindlach 2015 • 448 Seiten • € 14,95

Kommentare

Bild des Benutzers Christoph Gon D

Kompliment für diese gelungene Rezension!

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