17. Juli 2019 2 Likes

Urbaner Retrofuturismus

Terror in der Stadt von Morgen: Seth Frieds Roman „Der Metropolist“

Lesezeit: 2 min.

Henry Thompson, der Protagonist von Seth Frieds Romandebüt „Der Metropolist“ (im Shop), ist nicht gerade ein Bilderbuchheld. Zwar hat sich Henry dem Bundesamt für kommunale Infrastruktur (BKI) mit Leib und Seele verschrieben – aber er ist auch ein richtiger Klemmi und nerviger Korinthenkacker, dem seine heißgeliebten Regeln und Vorschriften über alles gehen. Und obwohl er im Außeneinsatz bisher höchstens mal den mysteriösen Anstieg von Bibertodesfällen untersuchte, wird Henry plötzlich zur letzten Hoffnung des BKI, das die immer dichter besiedelten Großstädte reguliert und optimiert. Gemeinsam mit dem projizierten Interface der mächtigen Behörden-KI namens OWEN soll Henry nach einem Anschlag auf das BKI nämlich herausfinden, wer in den Städten Drohnen vom Himmel regnen lässt, Gebäude in die Luft sprengt und Metropolis, die amerikanische Superstadt der Superstädte, mit Terror überzieht, der anscheinend in der Behörde selbst wurzelt …

Der amerikanische Autor und Humorist Seth Fried veröffentlichte bereits seine eigene satirisch-fabelhafte Kurzgeschichtensammlung „The Great Frustration“ sowie im „New Yorker“, in „McSweeny’s Quarterly Concern“ und in „Vice“, außerdem unterrichtet er im Gotham Writer’s Workshop kreatives Schreiben. Sein Romandebüt „Der Metropolist“, im englischsprachigen Original als „The Municipalists“ erschienen und ein Verweis auf die utopische Philosophie der politischen Selbstbestimmung von Großstädten, fühlt sich ziemlich klassisch an, was Ton und Tempo angeht. Beides ist, genauso wie die Länge von rund 300 Seiten, ein überraschender und angenehmer Kontrast zu den dicken, scharfkantigen, harten SF-Wälzern der Konkurrenz. Dieser vergnüglichen, vermeintlich altmodischen und sympathischen Anmutung stehen natürlich Drohnen, aktuelle urbane Entwicklungen, reale politische Prognosen und eine hochmoderne künstliche Intelligenz gegenüber – eine ganz individuelle Variante von Retrofuturismus, wenn man so will.

Der exzentrische, eigensinnige OWEN, der dank Hightech auf pfiffig-schnippische Weise mit Henry und dem Rest der Welt interagiert, wird gerade in Szenen voller Konflikte und Action zu einer Figur, deren Verwandlungsfähigkeit direkt aus dem cartoonigen Arsenal der Looney Tunes zu stammen scheint. Allerdings mischt Fried in seinen Parallelwelt-Roman, in dem sich der amerikanische Staat mit riesigen Behördenapparaten fast schon rührend um seine Bürger und deren Wohn- und Lebensraum kümmert, auch ein paar kritische Töne. Der Terrorismus, der immer wieder die Herzen unserer Städte und Leben trifft, ist schließlich genauso hässlich wie die kapitalistische Natur vieler politischer und kommunaler Entscheidungen, wo Geld über Leben und Lebensqualität bestimmt. Und von der Gentrifizierung, die letztlich nur die Spitze des gegenwärtigen städtischen Problem-Eisbergs darstellt, haben wir in den letzten Jahren ja alle schon mal gehört oder gelesen, nicht wahr?

Hinter dem tollen Cover von Matthew Taylor verbirgt sich also ein überraschend retrofuturistischer, aber nichtsdestotrotz aktueller Science-Fiction-Roman über die Stadt von Morgen – und eigentlich auch schon über die Metropole von Heute.

Seth Fried: Der Metropolist • Aus dem Englischen von Astrid Finke • Heyne, München 2019 • 318 Seiten • E-Book: 9,99 Euro (im Shop)

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