9. Januar 2020 2 Likes

Die Blume des Bösen

Mehr als reiner Pflanzenhorror – in Jessica Hausners „Little Joe“ blüht die Fantasie. Ein Glück

Lesezeit: 4 min.

Wenn ein neuer Film von Jessica Hausner (hier im Gespräch) auf die Leinwand kommt, sollte man sich warm anziehen. Denn den Werken der Wiener Regisseurin, die seit 2001 das moderne österreichische Kino entscheidend mitprägt, haftet eine kühle Sterilität an, an der Stanley Kubrick seine helle Freude gehabt hätte. Ähnlich wie der amerikanische Regie-Gigant ist Hausner eine präzise Chirurgin am Körper ihrer filmischen Sujets – jedoch ohne den oft misanthropischen Beigeschmack des Amerikaners. Die Österreicherin mag ihre Figuren, und gerade deshalb schaut sie so genau hin.

Ob das auch für den Titelheld ihres neuen Kinofilms gilt, muss jeder Zuschauer selbst entscheiden. Denn nicht nur ist dieser Little Joe eine Pflanze, und daher von Haus aus bereits eine etwas sperrige Identifikationsfigur – mehr noch treibt der Grundton des kunterbunt-kühlen Science-Thrillers die Hausner-typische Ambivalenz auf die Spitze. Und das unterscheidet Little Joe – den Film – deutlich von artverwandtem Krauthorror wie etwa den diversen Iterationen der Bodysnatcher-Invasion. Little Joe – die Blume – ist das Ergebnis einer professionell betriebenen Genmanipulation mit dem Ziel, eine Zimmerpflanze zu züchten, deren Duft glücklich macht. Olfaktorisches Serotonin gewissermaßen. Zu Beginn des Films ist das Experiment geglückt, die ersten Prototypen werden präsentiert. Die beiden Gentechniker Alice (Emily Beecham) und Chris (Ben Whishaw) sind stolz auf ihren Erfolg: Ihre Neuzüchtung verströmt beglückenden Duft und verlangt dafür im Gegenzug nichts weiter als die übliche Pflege sowie eine Extraportion Zuwendung und Liebe.


Kollegen in der Glücksforschung: Alice (Emily Beecham) und Chris (Ben Whishaw). „Little Joe“, X-Verleih

Alice ist so beglückt von ihrem Erfolg, dass sie kurzerhand eine der Topfpflanzen mit nach Hause nimmt. So fangen Katastrophen an, und auch in Alices britischer Upperclass-Flat wird’s jetzt spooky. Die kühle Rothaarige lebt dort gemeinsam mit ihrem Sohn Joe (sic!), der Vater ist absent. Man bestellt sich Essen und scheint ein mild angespanntes, aber dennoch harmonisches Leben als Duo zu führen. Doch als der neue pflanzliche Mitbewohner erstmals außerhalb des Labors seinen Pollen ausstößt, beginnt Alices Sohn (Kit Connor) sich zu verändern. So weit, so Körperfresser. Doch Hausner wäre nicht die Regisseurin von atmosphärisch-ambivalenten Kleinoden wie Hotel oder Lourdes, wenn sie diese Genre-Prämisse nach Schema F ausschlachten würde. Vielmehr beginnt nun eine oft quälend langsame, bewusst undramatische Exploration von Themen wie Mutterschaft, psychische Krankheit, kommerzielle Genmanipulation und Vereinbarkeit von Job und Familie. Hausner Drehbuch erlaubt viele Sichtweisen des Geschehens, und obwohl sie die „Infizierten“ eindeutig identifiziert – vor allem der Ire David Wilmot als Alices Vorgesetzter spielt den Bewusstseinsveränderten genial als joviales Gegenstück zu seiner schlecht gelaunten Vorher-Persönlichkeit –, bleibt doch stets unklar, ob das, was wir sehen, wirklich passiert oder nur eine imaginierte Perspektive darstellt.


Die Glücksblumen. „Little Joe“, X-Verleih

Little Joe tanzt den delikaten Tanz zwischen Realität und Phantasmagorie noch konsequenter als Hausners frühere Werke. Gemeinsam mit langjährigen Mitstreitern wie ihrer Schwester, der Kostümbildnerin Tanja Hausner, der Szenenbildnerin Katharina Woppermann und dem Kameramann Martin Gschlacht inszeniert sie diese Welt als pastelliges Puppenheim, in dem die Menschen von Anfang an fremdgesteuert und distanziert wirken. Sobald die neonfarbene Pflanze in ihr Leben tritt, scheint sich tatsächlich das Glücksversprechen zu erfüllen: Die Figuren zeigen plötzlich Emotionen, atmen auf, lächeln sogar. Also ist das hier gar kein Horror-Szenario? Andere Figuren, wie die explizit als depressiv eingeführte Laborassistentin Bella (Kerry Fox), „erkennen“ andererseits schnell die feindliche Übernahme der Menschheit durch die Psychoblüte. Und über allem liegt der perkussiv-verstörende Sound von Teiji Itos minimalistischer Musik. Wenn alles schließlich auf eine Art Happy End zuläuft und die letzten Worte des Films erklingen, bleibt man auf angenehmste Art und Weise ratlos zurück. Auf dieses eigenwillige Stück genrifiziertes Kino muss sich jeder selbst seinen Reim machen.


Familiäres Glück – noch. Alice (Emily Beecham) und ihr Sohn (Kit Connor). „Little Joe“, X-Verleih

Little Joe ist ein Fest für die Augen, eine Herausforderung an den Geist, manchmal auch an die Geduld – aber immer durch und durch ein Autorenfilm. Vielleicht nicht Hausners bestes, aber auf jeden Fall bisher rundestes Werk. Doch auch wer die Wienerin und ihr Schaffen bislang noch nicht kannte, wird in ihrem neuen Film, mit dem sie 2019 erstmals im Wettbewerb von Cannes vertreten war, vieles von dem entdecken, was das Kino auch in Zeiten der filmischen Achterbahnfahrten immer noch als ganz besondere Kunstform auszeichnet. Wenn man sich darauf einlässt, kann Little Joe durchaus glücklich machen.

„Little Joe“ startet am 9. Januar im Kino. Abb.: X-Verleih.

Little Joe – Glück ist ein Geschäft • A/D/GB 2019 • Regie: Jessica Hausner • Emily Beecham, Ben Whishaw, Kerry Fox, Kit Connor, David Wilmot, Phénix Brossard, Sebastian Hülk

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