10. Februar 2020 1 Likes

Die Seismik des Sequels

Halbzeit in der postapokalyptischen Endzeit: N. K. Jemisins Roman „Brennender Fels“

Lesezeit: 3 min.

Alle fantastischen Romane klingen gleich, und gerade die Postapokalypse hat nichts Neues zu bieten? Wer das denkt, muss die Romane von N. K. Jemisin lesen. Der Amerikanerin gelang es mit ihrer „Broken Earth“-Trilogie zwischen 2016 und 2018 nicht umsonst, als erste Autorin drei Jahre in Folge den Hugo Award für den besten Roman zu gewinnen – dazu kamen noch der Nebula und Locus Award. Auch in Deutschland wurde der erste Band „Zerrissene Erde“, der im Sommer 2018 bei Knaur in der guten Übersetzung von Susanne Gerold herauskam, äußerst begeistert aufgenommen und selbst im Feuilleton als Neuerfindung der Fantastik gefeiert. Zurecht. Die 1972 geborene Jemisin erzählt auf unfassbar originelle, sprachgewandte und anspruchsvolle Weise von einer fremdartigen postapokalyptischen Science-Fantasy-Welt, in der die Endzeit als Fünftzeit seit Ewigkeiten eine unberechenbare fünfte Jahreszeit darstellt, Asche vom Himmel regnet und alles sich verändert; Magie ist in erster Linie eine seismische und thermische Kraft, die obendrein eine ganze Gruppe Menschen zu verhassten Ausgestoßenen macht.

Die Fortsetzung „Brennender Fels“, auf die deutsche Leser etwas länger warten mussten als angekündigt, knüpft qualitativ an den bemerkenswerten Trilogie-Auftakt an. Jemisins Setting ist noch immer wunderbar eigenständig, anders, provokant, aktuell, gesellschaftlich (Rassismus) sowie ökologisch (Klimawandel) relevant und in der Summe einfach nur brillant – diese beeindruckende Weltenschöpfung degradiert viele andere Genre-Kulissen zum blanken Weltenentwurf. Und erst die Sprache. Kein anderes Science-Fantasy-Werk klingt wie die „Broken Earth“-Serie, die im Deutschen „Die große Stille“ heißt. In deren Mittelband beschreibt die in Iowa City geborene, in New York City lebende Jemisin, wie sich die magisch mächtige Orogene Essun in einer labilen unterirdischen Gemeinschaft einfügen muss, während Essuns Tochter ihre geerbte Zerstörungskraft erforscht. Dazwischen kommen Geheimnisse, Entwicklungen und Zusammenhänge ans Licht …


N. K. Jemisin. Foto: Laura Hanifin

Das ist erneut sprachmächtig und innovativ inszeniert, wird jederzeit von starken Momenten und Charakteren getragen, die durchgehend glaubhaft handeln, denken und sprechen, zumal die herausfordernde Prosa am Ende eher Genuss als Verdruss schafft, selbst wenn die Lektüre hin und wieder etwas anstrengend gerät. Auch macht Jemisin in „Brennender Fels“ genau da weiter, wo sie in „Zerrissene Erde“ aufhörte. Keine Rückblende, keine Aufwärmzeit, nichts. Angesichts der Komplexität und Andersartigkeit des Stoffes dürfte es Neulesern unmöglich sein, mit dem zweiten Band in die Geschichte zu kommen, was ja durchaus in Ordnung geht. Allerdings haben selbst geflashte Leser des ersten Bandes Mühe, alle Figuren und Elemente nach anderthalb Jahren sofort wieder aus dem Gedächtnis hervorzuzaubern. Dennoch, für so exzellente, erfrischende Genre-Kost beißt man sich gerne durch. Und vielleicht ist der Genuss von „Brennender Fels“ alles in allem umso größer, weil man sich dieses herrlich unkonventionelle Buch voller Drama und Diversität wieder ein Stück weit erarbeiten muss, ohne dass Faszination und Klasse davon erschüttert werden.

Der abschließende Band „Steinerner Himmel“ ist zum Glück bereits für Juli angekündigt.

N. K. Jemisin: Brennender Fels (Die große Stille Bd. 2) • Knaur, München 2020 • 432 Seiten • Paperback m. Klappenbroschur: 14,99 Euro

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