Angespülter Auserwählter
Annika Scheffel erzählt in „Hier ist es schön“ von den Wünschen und Träumen während der Apokalypse
Sich der Endlichkeit stellen, auf einen Neuanfang hoffen, das sind zwei zentrale Elemente der Romane von Annika Scheffel. Nach „Ben“ ( Kookbooks, 2010) und „Bevor alles verschwindet“ (Suhrkamp, 2013) erschien dieses Jahr mit „Hier ist es schön“ ihr dritter Roman. In ihm erzählt die Robert-Gernhardt-Preisträgerin eine Geschichte vom Weltuntergang und der Hoffnung, die sich mit den zwei Rettern der Menschheit verbindet.
Irma und Sam sind die Auserwählten. In einer Arena haben sie zusammen mit vielen anderen um eine Reise ins Ungewisse gekämpft. Sie sollen zu einem anderen Planeten fliegen, um der Menschheit eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Denn die Erde stirbt langsam. Doch das Projekt ist umstritten. Die Macher sind ominös, die Helfershelfer verbergen sich hinter Masken und die Auswahlspiele sind hart und lebensgefährlich. Am Ende bleiben Irma und Sam übrig. Irma, die unbedingt weg von Zuhause wollte und Sam, der noch nie die Welt ‚da draußen‘ gesehen hat. Zehn Jahre später sollen die beiden mit einer Fähre ins All starten. Dann findet Sam jedoch eine Karte und beschließt, sich seiner unbekannten Vergangenheit zu stellen. Ist er wirklich der „Angespülte“, der eines Tages wie auf dem Nichts auftauchte? Sams Ziel ist eine Insel, die es eigentlich nicht mehr geben kann. Irma folgt Sam und will ihn zurückholen. Schaffen sie es noch rechtzeitig zur Fähre oder ist Sams Suche nach der Wahrheit nichts weiter als ein finaler Test?
Irmas und Sams Heldenreise wider Willen gliedert sich in mehrere Teile, die von den Träumen, Wünschen und Ängsten im Angesicht der Apokalypse erzählen. Zunächst erfahren die Leser nur durch Briefe an Irma, was sich draußen abspielt und wie sich die Welt wandelt. Dann folgt die eigentliche Reise, die Suche nach der Insel. Hier wechseln sich Irmas Vergangenheit, ihre Entscheidung für die Teilnahme an der etwas anderen Castingshow und ihr Abschied von Freunden und Familie mit der Gegenwart ab. In ihr muss sie sich dann auch mit den verletzten Herzen arrangieren, die sie hinterlassen hat: mit ihren Eltern, für die der Abschied dem Tod der Tochter gleichkam, und mit ihrer verflossenen Jugendliebe Tom. Der ist dann auch zeitweise ihr Guide durch den grauen Apokalypsealltag. Der letzte Teil spielt auf der Insel und beleuchtet Sams traurige Vergangenheit.
Die Messlatte liegt wie so oft hoch. Der Verlag preist „Hier ist es schön“ als eine Abrechnung mit der Gegenwart an, mit dem menschlichen Größenwahn, dem Raubbau an der Natur, mit „Big Brother“ und den Geschmacksgrenzen des Showbusiness. Das klingt nicht nur gut fürs Feuilleton, sondern auch für den SF-Fan. Doch letzterer ist ja oft geneigt, die Klassiker zu Rate zu ziehen und Vergleiche anzustellen. Schnell wird klar, dass das nicht funktioniert. „Hier ist es schön“ geizt zwar nicht damit, dem Leser den Spiegel vor zuhalten und die alltäglichen Handlungen der Menschen zu kritisieren. Am Ende ist der Roman aber weder „Running Man“ noch „Die Straße“ und auch keine climate fiction. Ist er irgendwas dazwischen? Vielleicht.
Scheffel benutzt bekannte Motive der Science-Fiction. „Hier ist es schön“ ist aber kein (post-)apokalyptischer Pageturner für nebenbei. Auch wenn ihre Helden die ein oder andere gefährliche Situation meistern müssen, nimmt Scheffel aus ihrer Erzählung einiges an Tempo heraus. Für sie ist der Weg das Ziel – und der liest sich teilweise etwas sperrig. Dies wird aber durch die Kürze der einzelnen Kapitel und ihrer Poetik wieder ausgeglichen. Die zwei ungleichen Protagonisten zeigen, was aus der Erde wurde. Erklärungen für das langsame Sterben der Erde gibt es nicht. Trotz ihres unausweichlichen Endes verfallen die Menschen jedoch nicht zurück ins Raubrittertum. Die, die bleiben, versuchen das Beste aus der Welt zu machen. Und dennoch klammern sie sich an ihre beiden Auserwählten, die ihnen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft versprechen.
Der Weltenbau funktioniert auch wegen der verschiedenen Erzählebenen, die nach und nach Irmas und Sams Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpfen. Obwohl die Protagonisten wertvolle Erfahrungen machen, bleiben sie hinter ihren Möglichkeiten zurück. Irma ist die Taffe, die Starke, aber auch die Trotzige. Jeder traut ihr zu, auf einem fremden Planeten zu überleben. Doch der Umgang mit ihren Mitmenschen lässt sie an ihre Grenzen stoßen. Sam ist das große, das naive, das staunende Kind. Die Reise ist Suche und Abenteuer zugleich. So hübsch er auch ist, so hilflos ist er doch (wofür er tragischerweise nichts kann). Der Leser erfährt vieles über die beiden Helden, die Beziehung zu ihnen bleibt hingegen distanziert. Diese Distanz kann natürlich auch gewollt sein. Wer keine Verbindung zur Welt eingeht, kann sie einfacher hinter sich lassen – und genau das wollen die Masken erreichen.
Annika Scheffels „Hier ist es schön“ ist kein einfaches Buch und kein klassischer Science-Fiction-Schmöker. Sperrig, aber durchaus poetisch, berichtet die Autorin von den Wünschen und Ängsten derer, die eine Zukunft in der Apokalypse suchen. Scheffels dritter Roman ist eine etwas andere Sicht auf den Weltuntergang und eine schmerzhafte Analyse menschlichen Handelns. Und er ist eine Erinnerung daran, dass der Mensch es in der Hand hat, seine Welt und sein Leben zu gestalten. Denn dann kann es auch hier ganz schön sein.
Annika Scheffel: Hier ist es schön • Suhrkamp, Berlin 2018 • 389 Seiten • 22,00 €
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