29. Mai 2020 1 Likes

Klassenunterschiede

Die TV-Version von „Snowpiercer“ variiert den Erfolgsfilm

Lesezeit: 3 min.

Dass die Serienversion von Bong Joon-hos „Snowpiercer“ nur wenige Monate nach dem Oscar-Triumph von „Parasite“ auf Netflix startet könnte man für perfektes Timing halten. In Wirklichkeit ist es aber der langwierigen Genese des Projekts geschuldet, einem gedrehten und dann komplett verworfenen Pilotfilm, grundsätzlich wohl der Schwierigkeit, den Stoff angemessen für eine Serie zu adaptieren.

Denn machen wir uns nichts vor: Schon Bongs Film, der auf einem französischen Comic aus den frühen 80er Jahren basierte, überzeugte durch vieles, aber gewiss nicht durch besondere innere Logik. Das Grundkonzept von Comic, Film und nun Serie ist stets dasselbe: In einer dystopischen Zukunft ist die Erde komplett schneebedeckt, die Temperaturen mehr als frostig, die Menschheit fast ausgestorben. Allein in einer rettenden Arche, die hier die Gestalt eines Zuges hat, haben ein paar Tausend Menschen überlebt. Streng getrennt nach Klassen leben sie in den Waggons, hinten das Prekariat, das in Enge und Elend dahinsiecht und von seltsamen Proteinbarren ernährt wird, vorne die Oberklasse, die Partys feiert, Sushi isst und sich mit Drogen betäubt.

Wie all diese Produkte in einem in der Filmversion aus kaum mehr als 40, 50 Waggons bestehendem Zug hergestellt werden konnten, wo all die Rohstoffe herkamen, die das schöne Leben der Reichen ermöglichen, blieb offen. In der dynamischen Rasanz der filmischen Erzählung war für solche Fragen kein Platz, sie war darauf reduziert zu zeigen, wie der von Chris Evans gespielte Held sich von hinten nach vorne durchkämpft und realisiert, was der Zuschauer schon längst weiß: Dass der Zug eine Metapher für Klassenverhältnisse ist.

Ein hübsches Konzept ist das ohne Frage, wenn ein visuell bewanderter Regisseur wie Bong Joon-ho das mit Schauspielern wie Evans, dazu Tilda Swinton, Ed Harris und John Hurt inszeniert, kann das über zwei Stunden gut funktionieren, aber als Serie? Was soll da über mindestens eine Staffel, je nach Erfolg auch über zwei, drei oder noch mehr erzählt werden? Den Weg durch den Zug ausdehnen klingt nicht besonders vielversprechend, den Zug anhalten zu lassen, um die Welt und damit die Möglichkeiten zu erweitern dürfte man sich wenn überhaupt für spätere Staffeln aufheben, so wie es im Comic in den Fortsetzungen geschah.

Was sich die Serienmacher nun als erzählerische Krücke ausgedacht haben ist eine Variation der Filmerzählung: Im vorderen Teil ist ein Mord geschehen und so holt die Zugführerin Melanie Cavill (Jennifer Connelly) den Cop Andre Layton (Daveed Diggs) aus dem hinteren Teil nach vorne, um die Ermittlungen zu leiten. Die dadurch möglichen Einblicke in die Welt der Reichen will Layton auch nutzen, um eine langgeplante Revolte des Prekariats vorzubereiten. Und was er zu sehen bekommt ist auch eindrucksvoll: Ein Waggon beheimatet eine ganze Rinderherde, ein anderer einen veritablen Nachtclub, ein anderer einen feudalen Speisewagen. Dass diese Waggons aussehen, als seien sie mindestens doppelt so breit wie ein normaler Eisenbahnwaggon, dass zudem der ganze Zug eine sagenhafte Länge von 1001 Waggons hat und damit grob geschätzt mindestens 20 Kilometer lang sein müsste, dass auch hier die Oberklasse in bunter Haute Couture Delikatessen verspeist, das muss man wohl einfach schlucken. Aber wer weiß, vielleicht findet Layton bei seinen Ermittlungen auch eine Baumwollplantage, eine Seidenmanufaktur, vielleicht auch eine Schmiedewerkstatt.

Ganz wie Bongs Film lebt auch die Serie – zumindest in den ersten Folgen – von der Absurdität ihres Konstrukts, von der Möglichkeit, in jedem Waggon eine eigene Welt zu zeigen, Gegensätze und Extreme aufeinanderprallen zu lassen. Ob die Geschichte im Laufe der ersten oder der sich schon in Arbeit befindenden zweiten Staffel zu mehr entwickelt als einer überdeutlichen Sozial-Satire wird sich zeigen.

Snowpiercer • USA 2020 • Creator: Graeme Manson & Josh Friedman • Darsteller: Jennifer Connelly, Daveed Diggs • zehn Folgen, jeden Montag eine neue auf Netflix

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