1. Juli 2020 4 Likes 5

Black Authors Matter

Fünf Science-Fiction-Romane von „Authors of Colour“, die Sie unbedingt lesen sollten

Lesezeit: 5 min.

Seit Wochen wird überall auf der Welt unter dem Slogan „Black Lives Matter“ gegen Rassismus demonstriert. Um die Stimmen der „Authors of Colour“ wie ein digitales Megafon zu verstärken, haben wir hier unsere fünf liebsten Science-Fiction-Romane zusammengestellt, die von Schwarzen Autoren und Autorinnen geschrieben wurden – manche neue, aufsteigende Sterne am Genre-Himmel, andere Großmeister, deren Romane nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. Viel Vergnügen beim Entdecken!

 

Karen Lord: „Die beste Welt“

Als der Planet der Sadiri zerstört wird, bleibt den wenigen Überlebenden nichts anderes übrig, als sich auf Cygnus Beta eine neue Heimat zu suchen. Obwohl entfernt miteinander verwandt, sind die kulturellen Unterschiede zwischen Cygnianern und Sadiri groß. Grace Delarua wird von der Regierung Cygnus Betas beauftragt, die Sadiri auf ihrer Suche nach Siedlungen ihrer Vorfahren auf Cygnus Beta zu begleiten. Für sie beginnt eine abenteuerliche Reise, die ihr Leben und ihre eigene kulturelle Identität für immer verändern wird …

Karen Lord stammt aus Barbados, und ihre Heimat ist geprägt vom Kolonialismus und dessen Erbe. Das merkt man ihrem Roman auch an: die vielfältigen und sehr unterschiedlichen Kulturen, die auf Cygnus Beta nebeneinander existieren, einander beeinflussen, sind so lebendig wie ihre Vorbilder auf unserer Welt. Daneben berührt „Die beste Welt“ auch Fragen nach Ethik, Missbrauch, Genozid, Kolonialismus und Ungerechtigkeit – und Karen Lord scheut nicht vor diesen schmerzhaften und schwierigen Themen zurück, sondern stellt sich ihnen und erforscht sie. Ein sehr persönliches und berührendes Buch!

Karen Lord: Die beste Welt • Roman • Aus dem Englischen von Irene Holicki • Wilhelm Heyne Verlag, München 2014 • E-Book • € 9,99 im Shop

 

Samuel R. Delany: „Babel-17“

In der fernen Zukunft hat sich die Menschheit über die gesamte Galaxis ausgebreitet, als plötzlich kuriose Nachrichten empfangen werden: sie sind in einer bislang unbekannten Sprache, die „Babel-17“ getauft wird, und selbst den besten Kryptographen des Militärs gelingt es nicht, sie zu entschlüsseln. Deswegen bittet man die Linguistin Rydra Wong um Hilfe. Sie findet heraus, dass die Sprache von einer feindlichen Alien-Zivilisation stammt – und als Waffe eingesetzt wird, denn jeder, der sie lernt, wird unweigerlich zum Verräter …

„Babel-17“ wurde 1966 veröffentlicht und gewann im selben Jahr den Nebula Award. Vor allem dreht sich der Roman um Sprache und wie sie unser Denken und Handeln formt und beeinflusst – aber in diesen knapp 300 Seiten steckt noch so, so viel mehr, von Gender-Fragen über alternative Formen von Beziehungen. Diese ethnische, geschlechtliche und linguistische Diversität wird uns als so selbstverständlich präsentiert, dass man schnell vergessen kann, wie alt dieser Roman ist und wie ungewöhnlich das alles für 1966 noch war. Und wie aktuell all diese Themen heute noch sind.

Samuel R. Delany: Babel-17 • Roman • Orion, 2010 • derzeit nicht auf Deutsch erhältlich

 

Octavia Butler: „Die Parabel vom Sämann“

Kalifornien im Jahre 2025: Die Regierung ist handlungsunfähig, der Bundesstaat leidet unter Wasserarmut. Wer es sich leisten kann, lebt hinter dicken Mauern zum Schutz vor den kriminellen Banden, die ohne Gnade rauben, vergewaltigen und morden. In dieser Welt wächst die fünfzehnjährige Lauren Olamina als Tochter eines Baptistenpriesters auf. Sie ist hyperempathisch – sie fühlt die Schmerzen anderer am eigenen Leib. Als ihre kleine Gemeinde angegriffen und zerstört wird, macht sie sich auf eine gefährliche Reise nach Norden, um ihren Platz in dieser Welt zu finden …

Im laufenden „Welcher dystopische Roman hat gegenwärtige Ereignisse am besten vorhergesagt?“-Wettbewerb sticht – neben Spitzenreitern wie George Orwells „1984“ und Margaret Atwoods „Der Report der Magd“ – einer ganz besonders heraus: Octavia Butlers „Die Parabel vom Sämann“, erstmals 1993 erschienen. Mehrere Jahre lang machte sich die Schriftstellerin, die mit ihren Romanen unzählige Künstler inspirierte, Notizen und Gedanken zu allem, was sie in den Nachrichten las, hörte und sah, und extrapolierte daraus ihre Vision einer Zukunft, die von Globaler Erwärmung, Kapitalismus im Endstdium, Big Pharma, Amokläufen und einer Polizei, die nicht mehr „schützt und dient“, dominiert wird. Über allem schwebt ein religiöser Eiferer als Präsident, der nicht an die Wissenschaft glaubt. Kommt einem – leider – bekannt vor, oder?

Octavia Butler: Die Parabel vom Sämann • Roman • Aus dem Amerikanischen von Kurt Bracharz • Wilhelm Heyne Verlag, München 2015 • E-Book • € 4,99 im Shop

 

Nnedi Okorafor: „Das Buch des Phönix“

Man hat sie vieles genannt – ein Forschungsobjekt, ein Ding, eine Abscheulichkeit. Sie selbst nennt sich Phoenix und ist ein genetisches Experiment. Mit nicht mehr als zwei Lebensjahren verfügt Phoenix über den Körper und den Verstand einer Erwachsenen – und über Kräfte jenseits aller Vorstellungskraft. Eines Tages jedoch beschließt sie, nach Antworten zu suchen und bricht aus dem mysteriösen Turm 7, ihrem Zuhause, aus, um zu erkennen, dass dieser keine Zuflucht war, sondern ein Gefängnis.

Besonders beeindruckend sind Phönix‘ Gedanken zu ihrer Herkunft: Sie ist Amerikanerin und Afrikanerin und muss sich als Angehörige der Diaspora mit dem Erbe der Sklaverei auseinandersetzen. Diese Geschichte beeinflusst auch das Verhalten der Wissenschaftler und Wärter, mit denen es Phönix zu tun bekommt, und die nicht verstehen, dass es ihr Rassismus und ihre Ausbeutung ist, der die Welt dem Untergang preisgeben wird. Wenn wir so weitermachen, so die starke Botschaft dieses Romans, sind wir verloren.

Nnedi Okorafor: Das Buch des Phönix • Roman • Aus dem Amerikanischen von Claudia Kern • CrossCult, Ludwigsburg 2017 • € 18,00

 

Tade Thompson: „Rosewater“

Wir schreiben das Jahr 2066. Rosewater ist eine Stadt an der Grenze – an der Grenze zu der Biokuppel, die die außerirdischen Woodworm in Nigeria, unweit von Lagos, errichtet haben. Angesiedelt haben sich dort die Hoffnungsvollen, die Hungrigen und die Hilflosen – all diejenigen, die dabei sein wollen, wenn sich ein Mal im Jahr dieser Dom öffnet und jeden, der sich in dessen Umgebung befindet, von seinen Leiden heilt. Kaaro besitzt die außergewöhnliche Fähigkeit, über die von den Aliens verbreitete, sporenartige Xenosphäre auf Gedanken, Gefühle und Erinnerungen anderer Menschen zuzugreifen. Wegen seiner Begabung arbeitet er nicht ganz freiwillig für eine geheime Regierungsbehörde, um Kriminelle aufzuspüren. Doch als eine unsichtbare Seuche beginnt, andere mit derselben Begabung zu töten, setzt Kaaro alles daran, herauszufinden, wer oder was dahintersteckt.

Der Nigerianer Tade Thompson gilt neben Nnedi Okorafor als eine der aufregendsten Stimmen in der Science-Fiction, und sein Debütroman „Rosewater“ macht deutlich, warum: die Xenosphäre sowie die durch sie zu erreichende Gedankenwelt in seinem Roman ist eine ungewöhnliche, da biologische virtuelle Realität. Während sich im Genre viel in Richtung Cyberspace und AR/VR bewegt, ist das eine willkommene Abwechslung, die sich dennoch modern und frisch anfühlt.

Tade Thompson: Rosewater • Roman • Aus dem Englischen von Jakob Schmidt • Golkonda, München/Berlin, 2020 • € 20,00

Kommentare

Bild des Benutzers timetunnel

"„Welcher dystopische Roman hat gegenwärtige Ereignisse am besten vorhergesagt?“-Wettbewerb […] Octavia Butlers „Die Parabel vom Sämann“"

Nicht nur jetzt hier, sondern auch in diversen anderen Medien wurde schon darauf verwiesen, dass dieses Werk eines der wichtigsten zur momentanen Situation sein soll. Es gibt das Buch auf Deutsch aber nur noch als E-Book (benutze ich nicht) und in gedruckter Form, wenn überhaupt, zu horrenden Preisen auf dem Gebrauchtmarkt. Und was macht Heyne dagegen? Nichts. Es ist klar, dass man ein gedrucktes Buch nicht mal so eben aus dem Boden stampfen kann, gerade jetzt nicht, aber es gibt ja nicht mal eine Ankündigung - bisher nur eine für Juli 2021 (2021!), aber für "Wilde Saat". Extrem schwach von Heyne.

Bild des Benutzers Sebastian Pirling

Danke für die Anmerkung. Neuauflagen von Genreklassikern sind leider kein leichtes Geschäft, aber wir im Heyne-Lektorat bleiben dran. Es geht, wie Sie bereits sagen, nur nicht von heute auf morgen ... und wenn einem eine globale Pandemie die Programmplanung verhagelt, müssen manche Titel leider nach hinten geschoben werden. Aber Geduld, Octavia Butler steht ganz oben auf unserer Liste!

Bild des Benutzers timetunnel

Ok, danke für die Infos, das klingt ja schon besser :)

Bild des Benutzers Simon Becka

Vielleicht sollte man noch N. K. Jemisin erwähnen, deren Bücher schon mehrfach hier auf der Seite sehr positiv vorgestellt wurden?

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Unbedingt sollte man N. K. Jemisin erwähnen!

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