9. Dezember 2020 5 Likes

Das Beste aus 2020

Ein Jahresrückblick und die Weihnachtsempfehlungen der Redaktion

Lesezeit: 15 min.

Corona, Corona, Corona – und dann noch die US-Präsidentenwahl. Fertig. Das war 2020 in groben Zügen, nicht wahr? Halt!, rufen Sie jetzt vielleicht, da war doch noch so viel mehr! Sie haben recht. Auch wenn die globale Pandemie unser Leben geprägt hat wie schon lange kein weltweites Ereignis mehr, gab es doch einiges in diesem Jahr, woran sich zu erinnern lohnt. Und wer weiß, vielleicht findet sich ja in diesem Jahresrückblick auch für Sie noch eine interessante Anregung für den Gabentisch …

Wir möchten Ihnen jedenfalls an dieser Stelle für Ihre Lesertreue und Ihre vielen Kommentare und Anregungen danken und wünschen Ihnen eine frohe Weihnachtszeit und ein paar erholsame und hoffentlich gesunde Feiertage!

Ihre diezukunft.de-Redaktion

 

Elisabeth Bösl  Elisabeth Bösl

 

 

Buch

„Piranesi“ von Susanna Clarke

Mein Buchhighlight dieses Jahr ist „Piranesi“ von Susanna Clarke (Blessing) – der Roman, auf den ich seit 2004 gewartet habe. Damals beeindruckte mich Clarkes Debüt „Jonathan Strange & Mr. Norrell“ wie kaum ein anderer Fantasy-Roman. Sechzehn Jahre später ist es dieser Ausnahmeautorin erneut gelungen, mich voll und ganz in den Bann ihrer magischen Welt zu ziehen. Ein Buch wie kein anderes!

Klassiker

H. P. Lovecrafts „Cthulhus Ruf“

Wie überträgt man unbegreiflichen, außerweltlichen Horror in Bilder? Dieser Aufgabe hat sich der französische Künstler François Baranger gestellt, als er sich an die Illustration von H. P. Lovecrafts „Cthulhus Ruf“ (Heyne) machte. Das Ergebnis – mal gewaltige Panoramen unmöglicher Städte, mal Detailstudien unheimlicher Statuen – ist für Fans wie Neueinsteiger mehr als sehenswert.

Space Opera

Stephen Baxters „Das Artefakt – Sternenpforte“

Ein dicker Schmöker, mit dem man viele schöne Stunden auf dem Sofa verbringen kann, mit tollen Figuren und einer spannenden Zukunftsvision – das ist Stephen Baxters „Das Artefakt – Sternenpforte“ (Heyne). Reid Malenfant, der letzte Raumpilot, wird nach einem schweren Crash eingefroren und in ferner Zukunft wiederbelebt, um die Welt vor einer Katastrophe aus dem All zu bewahren. Was will man mehr?

Video

„Bloodborne“-Playthrough

Im „Jahr ohne Kinofilme“ hatte man als Serienfan die Qual der Wahl: „Mandalorian“ oder „Star Trek“? „Picard“ oder „Babylon Berlin“? Mein Highlight aus dem März ist jedoch der englische YouTube-Streamer Luke Westaway von Outside Xtra, dessen „Bloodborne“-Playthrough ich wider Erwarten so genossen habe, dass ich die nächste Folge kaum abwarten konnte. Seltsames Jahr, dieses 2020.

Game

Dungeons and Dragons - Player's Handbook

Im Lockdown feierte bei mir ein Klassiker der Papier-und-Stift-Rollenspiele eine wahre Renaissance: „Dungeons and Dragons“! Gemeinsames Geschichtenerzählen vertreibt den Selbstisolationsblues, und dank Zoom, Skype & Co. kann man auch vom heimischen Schreibtisch aus spielen (auch wenn es gemeinsam an einem Tisch noch mehr Spaß macht). Ich freue mich vor allem über meine neuen Mitspieler, die plötzlich Lust hatten, das mal auszuprobieren.

Ding

Masken

Meine Masken! Ich begrüße die weitere Cyberpunkifizierung meiner Outfits mit allerhand coolen Stoffmasken, die ich in den letzten Monaten bekommen habe. Sie sind schick, halten warm und können ganz wunderbar Gefühle zum Ausdruck bringen, obwohl das Gesicht zur Hälfte bedeckt ist. Und die Brillengläser vorher schön mit Desinfektionsmittel einreiben, dann beschlagen sie auch nicht.

Fail

Fail, das Jahr 2020

Das Jahr 2020. Sowohl weltpolitisch als auch persönlich reihte sich dieses Jahr eine Katastrophe an die andere, sodass es im Ganzen weg kann.

Highlight

Lockdown Videos

Die Lockdown-Videos im März. Plötzlich hatten alle Zeit, plötzlich wurden alle kreativ, und ich fand es schön zu sehen, wie verspielt der Mensch im Grunde genommen doch ist – und was für irre, abgefahrene, lustige, tiefgründige Dinge dabei rauskommen, wenn man diese Kreativität plötzlich ausleben kann. Ich wünsche mir, dass wir alle mehr Zeit zum Kreativsein bekommen, auch ohne Pandemie!

 

  Stefanie Brösigke

 

 

Buch

Roman „The Passengers“

Der britische Autor John Marrs, der sich in England mit seinen Near-Future-Thrillern bereits Kultstatus erschrieben hat, zählt zu meinen absoluten Lieblingsautoren. In seinem zweiten Roman „The Passengers“ (Heyne) werden acht Menschen in ihren selbstfahrenden Autos entführt und auf einen tödlichen Kollisionskurs geschickt. Nervenzerreißende Spannung bis zum Schluss ist da garantiert.

Klassiker

Dan Simmons Roman „Olympos“

Die griechische Götter- und Sagenwelt hat es mir schon immer angetan. Dass sich die Vergangenheit und die ferne Zukunft auch ganz hervorragend miteinander verbinden lassen, stellt Dan Simmons in seinem Roman „Olympos“ (Heyne) unter Beweis. Hier findet der gewaltigste Krieg der Antike nicht in Troja, sondern auf dem Mars statt. Raffinierte High-Tech-Geräte inklusive …

Space Opera

Zack Jordans Debütroman „Last Human – Allein gegen die Galaxis“

Von Zeile eins an war ich in Shenya, die Witwe, verliebt. Eine ebenso riesige wie tödliche Alienspinne, die von einem pubertierenden Teenager an den Rand des Wahnsinns getrieben wird – das ist einfach genial. Und so witzig wie Zack Jordans Debütroman „Last Human – Allein gegen die Galaxis“ (Heyne) beginnt, so rasant und actiongeladen geht die Geschichte weiter.

Film

 „You – Du wirst mich lieben“

Auf „You – Du wirst mich lieben“ bin ich eigentlich eher durch Zufall bzw. dank des allwissenden Netflix-Algorithmus gestoßen. Die Geschichte um den schüchternen Buchhändler Joe kommt zunächst wie eine Mischung aus „Gossip Girl“ und „Pretty Little Liars“ daher,  entpuppt sich aber ziemlich schnell als fieser Thriller, in dem nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint.

Comic

The Last Human in a Crowded Galaxy

Zack Jordan ist ein umtriebiger Typ. Er hat mit „Last Human“ nicht nur seinen ersten Science-Fiction-Roman veröffentlicht, sondern den dazu gehörigen Webcomic gleich mitgeliefert. „The Last Human in a Crowded Galaxy” illustriert die Story des Romans auf brillante Weise und bringt einem Zack Jordans Universum noch einmal näher.

Ding

Laufschuhe

Lockdown, Homeoffice, Kontaktbeschränkung. Das Jahr 2020 hat es uns wirklich nicht leichtgemacht. Um mich ein bisschen zum Sport zu motivieren, hab ich mir neue Laufschuhe gekauft, in denen man wie auf Wolken unterwegs ist. Man fühlt sich fast, als hätte man eines von Inspector Gadgets Gadgets unter den Füßen …

Fail

Massendemos

Eigentlich ist das Fail des Jahres ja eindeutig das Corona-Virus. Was ich aber fast noch zermürbender finde als die Pandemie-Situation, ist, dass sich kritische Bürger mit Rechtsradikalen und Verschwörungs-theoretikern zu Massendemos versammeln und ohne Rücksicht auf Verluste ihrem Frust Luft machen.

Highlight

Kamala Harris

Dass Donald Trump mit Pauken und Trompeten aus dem Amt gewählt wurde, ist ja schon ein eigenes Highlight, aber dass Kamala Harris zur Vizepräsidentin der USA gewählt wurde, macht das Ganze noch besser. Während des ganzen Wahlkampfs war sie sympathisch, sachlich, souverän und glänzte dort, wo Joe Biden manchmal zu blass blieb.

 

  Christian Endres

 

 

Buch

Roman „Das weite Herz des Landes“

Der Kanadier Richard Wagamese (1955–2017) hat mir mit seinem Roman „Das weite Herz des Landes“ (Blessing) ein neues Lieblingsbuch beschert. Die extrem stilsicher, ebenso schroff wie poetisch erzählte Geschichte des jungen Halbindianers Franklin Starlight und seines unzulänglichen Vaters berührt und begeistert. Für Bewunderer von Louise Erdrich, Cormac McCarthy und William Gay.

Klassiker

Roman „Alles Sense!“

Mein Scheibenwelt-Reread ist eher ein Marathon als ein Sprint, aber: Dieses Jahr habe ich den Roman „Alles Sense!“ (Goldmann) von 1991 geschafft, und der ist schon eines der frühen Highlights der Serie aus Terry Pratchetts Feder. Die Einkaufswagen sind noch immer merkwürdig, doch der Rest? Wohlfühl-Scheibenwelt-Magie mit Gevatter Tod in Höchstform, dusseligen Zauberern und sympathischen Untoten.

Space Opera

Zack Jordans Romandebüt „Last Human – Allein gegen die Galaxis“

Zack Jordans Romandebüt „Last Human – Allein gegen die Galaxis“ (Heyne) hat nicht nur eine Alien-Killerspinnen-Ziehmutter als traumhafte Nebenfigur, sondern fährt teilweise auch so große Ideen, Bilder, Konzepte und Mengen auf, dass man sie selbst im eigentlich grenzenlosen Kopfkino fast nicht unter bekommt. Sehr beachtlich.

TV-Serie

The Queen’s Gambit

Ich war mir sicher, dass Mando und Baby Yoda hier das Rennen machen würden. Schließlich war „The Mandalorian“ in der ersten Staffel alles, was man sich von einer Star Wars-Fernsehserie wünschen kann. Das ist der Weg. Tja. Und dann kam das Netflix-Schachdrama „The Queen’s Gambit“ alias „Das Damengambit“ nach Walter Tevis zum Zug und hat Mando vom Brett gefegt. Gratuliere, Beth.

Comic

Digitale Serie „Friday“

Autor Ed Brubaker und Zeichner Marcos Martin sind zwei meiner absoluten Lieblings-Comic-Macher. Ihre neue digitale Serie „Friday“ startete wie zu erwarten überragend. „Friday“ dreht sich um Teenage Detectives, die jedoch erwachsen werden – und sich vielen Dingen stellen müssen. Brillant umgesetzt. Beim Verlag PanelSyndicate von Martin und Brian K. Vaughan zahlt man dafür, was einem richtig vorkommt.

Ding

Logo Twitter

Nach fast zehn Jahren Ignoranz hab ich meinen Twitter-Account entstaubt und poste dort jeden Tag eine Micro-Story, Kürzestgeschichte, Vignette, Miniatur – wie auch immer man diese Art von Flash Fiction nennen will. Die kurzen Storys wurden für mich zur kreativen Meditation. Aktuell gibt es übrigens sogar einen Adventskalender …

Fail

Comic „Hedra“

Das erste Jahr der Corona-Pandemie war und ist schon ein ziemlich eindringlicher Vorgeschmack auf den Wahnsinn der Endzeit. Wohl denen, die genug Toilettenpapier im Bunker haben. An der vergleichsweise banalen Genre-Front enttäuschte mich der Comic „Hedra“ (Image), denn zu viel Kunsthochschule tut der Comickunst nicht immer gut.

Highlight

Benjamin Myers „Offene See“

Corona hat selbst meine Lesegewohnheiten verändert, weil ich u. a. monatelang keine Texte für Stadtmagazine schreiben konnte und meine thematischen Schwerpunkte entsprechend verlagerte. Daher las ich erst im November Benjamin Myers „Offene See“ (Dumont), obwohl der Roman seit Jahresanfang hier lag. Besser spät als nie dann so davon umgehauen zu werden … als Bücherfreund liebe ich solche Happy Ends rund um meine Lektüre.

 

  Bernd Kronsbein

 

 

Buch

Tamsyn Muirs „Ich bin Gideon“

Es kommt selten vor, dass man ein Buch liest und schon nach wenigen Seiten merkt: Das ist es, das ist der nächste große Klassiker des Genres. Tamsyn Muirs „Ich bin Gideon“ (Heyne) gibt einem dieses Gefühl, denn die höfische Welt aus Nekromanten und Schwertkämpfern ist so frisch und attraktiv, Muirs Ton mitunter so rotzfrech, ihre Heldin so grandios, dass man unweigerlich mehr will.

Klassiker

Die große Stille

Nach der Kino-Adaption „Arrival“ war Ted Chiang plötzlich auch außerhalb der Science-Fiction ein Begriff. Dabei hat er bis heute im Grunde nur ein winziges Werk vorgelegt, nicht einmal einen Roman, nur Kurzprosa – „Die große Stille“ und „Geteilt durch Null“ (Golkonda). Chiang ist beileibe kein großer Erzähler, kein großer Stilist, und dennoch umgibt sein Werk bereits jetzt eine Aura, die das Gütesiegel „Klassiker“ verdient. Ideen-SF par excellence.

Space Opera

Last Human – Allein gegen die Galaxis

Space Opera muss groß sein, bunt, exotisch, abenteuerlich – und all das bietet Zack Jordan in „Last Human – Allein gegen die Galaxis“ (Heyne) exemplarisch. Hier ist Sarya der letzte Mensch im Universum, das sehr froh ist, diese Spezies los zu sein. Sarya bekam von ihrer „Mutter“, einem Spinnenalien, eine Tarnidentität verpasst, denn wenn rauskäme, dass es noch einen Menschen gibt, würde es ungemütlich im Kosmos. Wird es ungemütlich? Es wird sehr ungemütlich!

Film

The Vast of Night

Ein Debüt. Und was für eins. Andrew Patterson legte die geniale Variante eines uralten SF-Plots (UFOs) vor und bewies eindrucksvoll, was man solch abgedroschenen Motiven abgewinnen kann, wenn man einen originellen Ansatz findet. Und viele kleine Details, Dialoge und Settings ergeben hier ein stimmiges, enorm atmosphärisches Bild. Das werden nicht wenige als langweilig empfinden, aber für mich war „The Vast of Night“ die Überraschung des Jahres.

Comic

Ein Jahr ohne Cthulhu

Im dritten Band ihrer Reise durch die Popkultur ist das Team Smolderen/Clerisse in den 80ern gelandet und saugt den damaligen Zeitgeist nostalgisch auf. Die Zeichen stehen auf Rollenspiel und das öffnet Tür und Tor für die Erforschung irrsinniger fantastischer Welten. Beim erzählerischen Flow hapert es vielleicht etwas, aber „Ein Jahr ohne Cthulhu“ (Carlsen) sieht so wahnsinnig gut aus, dass man eh ungern umblättern möchte.

Game

Cloud Gardens

Ich kann mit hektischen Games nicht viel anfangen und habe auch nicht die Geduld, erst die nötigen Skills zu entwickeln, um überhaupt den Anfang zu überleben. Darum liebe ich Spiele wie „Cloud Gardens“, bei denen man wunderbar abschalten kann. Hier baut man eine postapokalyptische Landschaft neu auf, holt die Natur zurück, macht Ruinen zu Kunstobjekten. Unhektischer geht’s kaum, und irgendwie hat man sogar das Gefühl, etwas Vernünftiges zu tun.

TV-Serie

The Queen’s Gambit

Walter Tevis hat viel SF geschrieben, aber auch den Schachroman „The Queen’s Gambit“. Und die TV-Adaption ist nun so etwas wie die Krönung der Netflix-Philosophie und -Ästhetik. Sehr glatt, sehr edel und sehr sehbar. Was schon irre ist, wenn man bedenkt, dass es um eine leicht neurotische, recht süchtige junge Frau (Anya Taylor-Joy) geht, die in der Schachwelt aufsteigt. Aber nach fünf Minuten ist man „hooked“ und fühlt sich kein bisschen schuldig.

Highlight

Cthulhus Ruf

Mag sein, dass H. P. Lovecraft aus heutiger Sicht eine eher zwielichtige Person war, aber seinem Werk tut das keinen Abbruch, gibt ihm vielleicht sogar zusätzlich diabolischen Halt in der Wirklichkeit. Sein Cthulhu-Mythos hat die Literatur bereichert, der ganze Ansatz von kosmologischem Grauen dem Genre eine neue Dimension verliehen. „Cthulhus Ruf“ ist eine der bahnbrechenden Storys aus diesem Mythos, die man in diesem üppig illustrierten Coffee Table Book neu entdecken kann.

 

  Sascha Mamczak

 

 

Buch

Michael Christie „Das Flüstern der Bäume

2038, 2008, 1974, 1934 … Die Geschichte, die der kanadische Autor Michael Christie in „Das Flüstern der Bäume“ (Penguin) erzählt, führt uns von einer Katastrophenzeit in die vorherige. Eine berührende Familiengeschichte ebenso wie eine Archäologie des Anthropozäns, den Ringen von Bäumen nachempfunden, von denen es in der Zukunft kaum mehr welche gibt. Sie sind zu Staub und Geld geworden.

Klassiker

Die Kinder des Wüstenplaneten

Es gibt Klassiker, und es gibt KLASSIKER. Der Unterschied: Die einen werden verfilmt, die anderen werden unaufhörlich verfilmt. Leider kennen wir von der neuesten Dune-Interpretation, für die Denis Villeneuve verantwortlich zeichnet, Pandemie-bedingt nur den Trailer, aber die Bücher kam man ja immer lesen. Gerade in Neuübersetzung erschienen der dritte Teil: „Die Kinder des Wüstenplaneten“ (Heyne).

Space Opera

Christopher Priests Meisterwerk „Inversion“

Wir leben auf einer endlichen Welt in einem unendlichen Universum. Was, wenn es andersherum wäre? Keine sprechenden Raumschiffe, keine ulkigen Aliens, keine exotischen Planeten – nichts in Christopher Priests Meisterwerk „Inversion“ (Heyne) hört sich nach Space Opera an. Aber das täuscht gewaltig, schon der erste Satz ist die pure Essenz des Genres: „Ich war sechshundertfünfzig Meilen alt geworden.“

Film

David Attenborough

Am Ende von David Attenboroughs Netflix-Dokumentation „Mein Leben auf unserem Planeten“ gibt es den Ausblick auf eine Zukunft, in der die Menschen gelernt haben, wie man auf einem Planeten lebt, ohne ihn zu zerstören. Was der große englische Naturfilmer und -forscher vorher zeigt, ist zutiefst erschütternd. Attenborough ist 94 Jahre alt. Er wurde in einer Welt geboren, von der fast nichts mehr übrig ist.

Comic

Frank Schmolkes „Freaks“

Superhelden aus und in Deutschland? Au weia. Aber das Gute an Frank Schmolkes „Freaks“ (edition moderne), der Story um Wendy, die sich, wenn sie wütend wird, in die blutdürstige Göttin Kali verwandelt, und den gehemmten Elmar, der als Elektroman mächtig aufdreht, ist: Sie arbeitet sich nicht an den großen Vorbildern ab, sondern macht ihr eigenes Ding. Offiziell der Comic zum gleichnamigen Film, aber viel düsterer und wilder als die Vorlage.

Ding

Covid

Ist ein Virus ein Ding? Jedenfalls ist es kein Lebewesen, denn es besteht nicht aus einer Zelle, betreibt keinen Stoffwechsel und kann sich auch nicht selbstständig vermehren. Dafür benötigt es echte Zellen, die es auf perfide Weise kapert – und was das betrifft, war SARS-CoV-2 wirklich sagenhaft erfolgreich. Es hat den ganzen Planeten erobert. Verdammtes Ding.

Fail

Eisschmelze

Das Klima. In den letzten Monaten geisterte immer wieder die Meldung durch die Nachrichten, auch die Erderwärmung würde eine Corona-Pause einlegen. Das Gegenteil ist wahr: Während wir mit epidemiologischen Fragen beschäftigt waren, hat das Abschmelzen des Grönlandeises Studien zufolge den point of no return überschritten. Eine historische Zäsur, praktisch unbemerkt.

Highlight

Die Zeit

Die Zeit. Ich war schon immer ein Anhänger der Idee, dass sich jeder Mensch einmal im Jahr eine echte Auszeit vom Irrsinn des modernen Wirtschaftens nehmen sollte (nicht zu verwechseln mit: Urlaub). Die wenigsten konnten das in diesem Jahr wirklich tun, trotz Lockdown. Aber es war eine wunderbare Gelegenheit, sich mal mit dem Gedanken anzufreunden.

 

Sebastian Pirling  Sebastian Pirling

 

 

Buch

Roman „Das sternenlose Meer“

Die magischste aller Geschichten ist für mich immer noch die, in der die Hauptfigur ein Portal findet, hindurchgeht – und in einer anderen Welt landet. In ihrem neuen Roman „Das sternenlose Meer“ (Blessing) gelingt es Erin Morgenstern auf meisterhafte Weise, diese Narnia-Blaupause in einen modernen, von Computerspiellogik und Popkultur geformten Mythos zu verwandeln.

Klassiker

Epos „Sir Gawain und der Grüne Ritter“

Das von einem unbekannten englischen Autor des 14. Jahrhunderts verfasste Epos „Sir Gawain und der Grüne Ritter“ (Klett-Cotta) ist ein astreiner Zukunftsroman. Lassen Sie sich vom Personal (Ritter, Edelfrauen und ein grüner Riese) nicht täuschen! „Sir Gawain“ wirft einen scharfen Blick auf die moralische Verpflichtung unserer eigenen Zukunft und der unserer Mitmenschen gegenüber. Die Verfilmung meines Lieblings-Artusromans ist abgedreht und kommt … bald.

TV-Serie

Der Mandalorianer

Das war das Corona-Kompensationsritual meiner Familie dieses Jahr: sich einmal die Woche um das LED-Feuer des Flatscreens zu versammeln und eine neue Folge „Der Mandalorianer“ (Disney+) zu schauen. Eins steht schonmal fest: Mehr Star-Wars-Feeling geht nicht. Jon Favreaus Serienproduktion – Staffel 2 läuft übrigens gerade – lässt die meisten Kinofilme des Franchise weit hinter sich, weil … Ach, was sag’ ich: Baby Yoda!!!

Comic

Zack Jordan „The Last Human in a Crowded Universe“

Mutter sein ist schwer. Da spielt es keine Rolle, ob man einer mit tödlichen Mandibeln bestückten Alien-Spinnen-Spezies angehört und die Adoptivtochter ein verweichlichtes Menschenwesen ist, dem noch vier Gliedmaßen zur Anständigkeit fehlen – denn: Pubertät bleibt Pubertät. Das gilt, wie Zack Jordan mit „The Last Human in a Crowded Universe“, dem Webcomic zu seinem Roman „Last Human“ beweist, für die gesamte Galaxis.

Game

Spiel "Scythe"

Nur Laien stellen sich Landwirtschaft als bukolische Idylle vor. Dabei ist es ein hart kalkuliertes Business, insbesondere wenn man seine Ressourcen in einem Alternativwelt-Steampunk-Europa erwirtschaften muss, in dem Mech-Roboter und seltsame Artefakte ihr Unwesen treiben. „Scythe“ (Stonemaier Games/Asmodee) ist eigentlich ein 4X-Strategie-Brettspiel, aber jetzt kann man es auch digital via Steam, iOS und Android spielen. Klonk!

Ding

Gesichtsmaske

Als Gegenstand hat meine Gesichtsmaske definitiv das vergangene Jahr geprägt. Ich gehe sogar so weit, dass sie meinen Blick auf das Weltgeschehen stark – Achtung, jetzt kommt’s! – gefiltert hat. Seltsam, dass ein Habitus der Höflichkeit, der im asiatischen Kulturkreis schon so lange gang und gäbe ist, bei uns solche Probleme hatte, oder? Ich hoffe, die Maske ist nächstes Jahr so selbstverständlich wie Ein- und Ausatmen.

Fail

Coronaleugner

Dass sich an der Forderung nach mehr Mitmenschlichkeit der geifernde Protest der Neurechten entzündet, ist keine Überraschung. Dass sich nun auch Esoteriker, Wendeenttäuschte und Wutbürger zu den Corona-Protesten gesellen, und das mit solcher Vehemenz, hat mich überrascht. Da hilft nur eins: Kontra geben und sich nicht beirren lassen. Nächstenliebe ist schließlich kein Freiheitsverlust, sondern ethischer Gewinn.

Highlight

Ólafur Arnalds

Klaviermusik hat in diesem Jahr vielen das Nervenkostüm gerettet, und wenn Igor Levit seine Twitter-Follower mit Bach und Beethoven beglückte, war das ein Lichtblick. Noch tröstlicher ist da nur der Isländer Ólafur Arnalds, dessen Mix aus reduzierten Melodien und elektronischem Ambiente mir seine Magie direkt ins Ohr gezaubert hat. Sein neues Album „some kind of peace“ (Mercury KX) kann ich für alle Lebenslagen empfehlen.

 

Alexander Schlicker  Alexander Schlicker

 

 

Buch

Richard David Prechts „Künstliche Intelligenz oder der Sinn des Lebens“

Tatsächlich möchte ich nicht nur einen Titel nennen, sondern mich darüber freuen, dass es auch 2020 intellektuell fordernde wie gleichzeitig angenehm unpolemische Sachbücher wie Richard David Prechts „Künstliche Intelligenz oder der Sinn des Lebens“ (Goldmann) oder Maja Göpels „Unsere Welt Neu Denken“ (Ullstein) gab, die wichtige Diskussionen vorantrieben. Dass diese Bücher Dauergäste auf der Bestsellerliste wurden, belegt ihre hohe Relevanz.

Klassiker

Adrian Tchaikovskys „Die Kinder der Zeit“

Klar, Adrian Tchaikovskys „Die Kinder der Zeit“ (Heyne) ist eigentlich zu jung für diese Rubrik, aber ich wünsche es diesem von mir erst dieses Jahr verschlungenen Evolutionsepos einfach sehr, dass es diesen Status einmal innehat. Ich hätte nie gedacht, dass es einem Autor gelingt, packende Themen und Figuren anhand von Spinnen (!) zu erzählen und mich alten Arachnophobiker dazu zu bringen, mit ihnen mehr zu fühlen als mit den Menschen.

Space Opera

Zack Jordans „Last Human“

Noch eine Spinne, die mich dieses Jahr im übertragenen Sinne gepackt hat (und nicht Spider-Man ist): In Zack Jordans fulminantem Blockbuster-Debüt „Last Human“ (Heyne) wird Hauptfigur Sarya, der letzte Mensch im Universum, von einer Alienspinne auf einer Raumstation aufgezogen (was hier keineswegs ungewöhnlich ist). Ob Worldbuilding, Charakterzeichnung oder Verheißung für Fortsetzungen – Jordans Roman hat von all dem reichlich. 

Comic

Andrea Wulfs Graphic Novel „Die Abenteuer des Alexander von Humboldt“

Eigentlich letztes Jahr erschienen, hat mich diesen Herbst Andrea Wulfs Graphic Novel „Die Abenteuer des Alexander von Humboldt“ (C. Bertelsmann) über die Reisen des umtriebigen Forschergenies Ende des 18. Jahrhunderts nach Südamerika begeistert. Kenntnisreich wie unterhaltsam zugleich, und dazu erstaunlich vielfältig illustriert von Lillian Melcher, kommt man während dieser Entdeckungstour aus dem kulturhistorischen Staunen nicht mehr heraus.

Game

The Last of Us Part 2

Zwar wurde das Spielejahr von den Hypes um die neue Konsolengeneration dominiert, doch am meisten gepackt hat mich, völlig erwartbar, Naughty Dogs Action-Adventure „The Last of Us Part 2“ (Sony). Konsequenter, intensiver und eben auch im besten Sinne kontroverser war schon lange keine Postapokalypse à la „The Walking Dead“ mehr. Wie viel Emotion mich mit den Protagonistinnen Ellie und Abby überkam, ist als Erlebnis einfach ein Wahnsinn gewesen.

Film

Jessica Hausners „Little Joe“

Nicht nur von Kollege Zwickies zum Kinostart völlig zurecht gefeiert, ist Jessica Hausners skurriles Horrorstück „Little Joe“ mein persönlicher Sieger in dieser Kategorie. Pointiert besetzt mit Emily Beecham und Ben Wishaw sowie gekleidet in betörend somnambulen Bildern, spinnt Hausner ein hintersinniges Netz aus Genrereferenzen rund um die Entwicklung einer Psychopflanze, deren Grauen sich tatsächlich (fast) nur in unseren Köpfen abspielt.

Fail

Vulkanausbruch

Corona hat zumindest weitgehend gezeigt, dass Politik und Gesellschaft auf die Evidenz von Wissenschaft hören können. Warum ist das nicht in ähnlicher Form auch bei der letztlich viel größeren Herausforderung des Umwelt- und Klimaschutzes der Fall? Muss denn immer erst die letzte Eskalationsstufe des wirklich Nicht-mehr-Leugbaren erreicht sein, bevor völlig absehbare, aber dann wesentlich schwerer umsetzbare Maßnahmen getroffen werden können?

Highlight

Nach dem Kino – vor dem Spiel

Am Ende eines für uns alle völlig verrückten bis schlimmen Jahres fällt die Highlight-Suche nicht leicht. Doch der Abschluss eines wissenschaftlichen Sammelband-Projektes zum Computerspielwerk von David Cage/Quantic Dream hat meinen beiden Herausgeberkollegen und mir definitiv ein Lächeln beschert. Sechs Jahre dauerte es schließlich; da ist man froh, wenn das Ergebnis „Nach dem Kino – vor dem Spiel“ (Lit) endlich aus dem Druck kommt.

 

 

 

Titelbild unter Verwendung eines Scans des SARS-CoV-2 (Wikimedia Commons, CC BY 2.0)

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