Als „Ghostwalker“ mit „Scarlett & Browne“ in die „Scholomance“
Neue Jugendbücher von Rainer Wekwerth, Jonathan Stroud und Naomi Novik
Der Sommer ist nicht so, wie er sein sollte? Ein Griff zum Bücherregal reicht glücklicherweise aus, um in fantastische Welten abzutauchen. Hier sind drei empfehlenswerte Schmöker für Jugendliche sowie jung gebliebene Leserinnen und Leser.
Virtuelle Realität? Geisterboten!
Der Vater gestorben, die Mutter von daheim abgehauen – der 17-jährige Jonas hat es nicht gerade leicht. Um über die Runden zu kommen und seinen Traum vom Auswandern zu verwirklichen, schwänzt er die Schule. Statt zu lernen, verbringt er seine Zeit als Ghostwalker im Internet. Er übermittelt Daten für seine Auftraggeber. Der Einsatz dieser digitalen Boten ist sicherer als ein normaler Datenaustausch, jedoch nicht gänzlich ungefährlich. Denn die Yakuza hat überall ihre Finger im Spiel, wo es etwas zu holen gibt. Jonas neuester Job erregt nicht nur die Aufmerksamkeit der japanischen Mafia, sondern auch die von Blue, einer legendären Ghostwalkerin. Die hat nämlich ihr eigenes Interesse an dem Paket, das Jonas überbringen soll. Schon bald sind beide in ein gefährliches Spiel verwickelt, bei dem nicht sicher ist, ob sie am Ende überleben. Rainer Wekwerth hat mit „Ghostwalker“ ein stimmungsvolles Abenteuer erschaffen, das die Grenzen der virtuellen Realität gekonnt auslotet. Wie wäre es, als digitaler Avatar die Weltenschöpfungen von Firmen zu erkunden, statt einfach nur auf deren Webseiten zu surfen? Genrefans finden sich hier schnell zurecht, gleichen doch die Welten, die Jonas und Blue durchstreifen, jenen aus Animes, Filmen oder Videospielen – ohne dabei bestimmte Titel zu kopieren. Stattdessen begegnen einem faszinierende Eigenschöpfungen wie gesprächiger Datenmüll oder stilechte Ninjas. Ein wahrlich unterhaltsamer Roman.
Rainer Wekwerth: Ghostwalker • Planet!, Stuttgart 2021 • 368 Seiten • € 17,00 • Empfohlen ab 13 Jahren
Um Großbritannien ist es nicht gut bestellt, zumindest nicht in den Romanwelten von „Bartimäus“-Papa Jonathan Stroud. Während in der „Lockwood & Co.“-Reihe Geister das Vereinigte Königreich heimgesucht haben, ist die Insel in „Scarlett & Browne“ kaum noch wiederzuerkennen. London ist im Meer versunken, Bären und menschenfressende Riesenotter haben die Wildnis erobert – und an H. G. Wells’ Morlocks erinnernde Kannibalen setzen den wenigen befestigten Außenposten und Städten zu. Was genau diese „Große Verheerung“ genannte Katastrophe ausgelöst hat, bleibt im ersten Band der Geschichte allerdings noch im Dunkeln. Dafür begleiten die Leserinnen und Leser die 17-jährige Scarlett McCain, die sich unter den Gesetzlosen einen Namen als unerschrockene Bankräuberin und Kämpferin gemacht hat. Auf der Flucht nach einem Coup, rettet sie den unwesentlich jüngeren Albert Browne aus einer misslichen Lage. Schon bald werden die beiden gejagt und Scarlett muss realisieren, dass es auf der Welt weitaus Bedrohlicheres gibt als Wesen, die einen fressen möchten. „Scarlett & Browne 1. Die Outlaws“ (im Shop) ist ein gelungener Auftaktband, der genug Stoff für weitere Bände bietet. In Strouds mitreißender Postapokalypse spielen religiöse Fanatiker genauso eine Rolle wie magisch begabte Menschen. Ein wahrlich gelungener low tech Trip durch Großbritannien.
Jonathan Stroud: Scarlett & Browne 1. Die Outlaws • Aus dem Englischen von Katharina Orgaß und Gerald Jung • cbj, München 2021 • 448 Seiten • € 22,00 • eBook € 14,99 (im Shop) • Empfohlen ab 14 Jahren
Blick über den Science Fiction-Tellerrand gefällig? Dazu laden die Geschichten von Naomi Novik regelrecht ein. Nach einem Abstecher in Alternativwelten („Die Feuerreiter Seiner Majestät“-Reihe, Blanvalet) und Märchen („Das dunkle Herz des Waldes“, „Das kalte Reich des Silbers“, beide cbj) folgt nun der Alltag in einer Magierschule. Doch die „Scholomance“ (im Shop) ist nichts für Weicheier. Hier zählt das blanke Überleben, wenn Monster Schülerinnen und Schüler jagen. Lehrer, die ihnen zu Hilfe eilen? Fehlanzeige! Wer sich nicht selbst retten kann oder gerettet wird, der droht zum Snack oder Hauptgericht zu werden. Apropos gerettet werden: Das passiert Galadriel „El“ Higgins bereits zum zweiten Mal, als Orion Lake in ihr Zimmer stürmt und ein Monster tötet. Damit bringt er zum einen Ich-Erzählerin El mit ihrem Sarkasmus und ihrer Affinität für Massenmord gegen sich auf, und zum anderen das Gleichgewicht der Schule ins Wanken. Denn je mehr Jugendliche von Orion gerettet werden, umso hungriger werden die Monster – und umso schwieriger fällt die Abschlussprüfung für die Zwölftklässler aus. Die müssen sich nämlich in einem Saal voller dämonischer Wesen behaupten. Kein Wunder also, dass El, Orion und die anderen es alsbald mit einer monströsen Horde aufnehmen müssen, um die Jüngsten zu beschützen. Klingt brutal? Ist es auch. Novik hat sich ein furchteinflößendes Arsenal an Kreaturen einfallen lassen, um ihre Protagonisten zu quälen. Doch der eigentliche Schrecken sitzt tiefer. Denn die Magiergesellschaft ist elitär, und daher sind ihre Kinder allzu gern bereit, die Schwächsten zu opfern. Els Wut ist am Ende des ersten actiongeladenen Bandes noch nicht verflogen. Ob sie es zur Abschlussprüfung schafft, erfahren wir hierzulande im Oktober.
Übrigens: Noviks Roman ist nicht gänzlich unumstritten. Im angloamerikanischen Raum sind Rassismusvorwürfe laut geworden, die einzelne Passagen betreffen. Naomi Novik hat sich hierfür entschuldigt und erklärt, dass dies nicht so beabsichtigt war. Entsprechend sind die Passagen in der englischen Zweitauflage und der deutschen Übersetzung angepasst worden.
Naomi Novik: Scholomance 1.Tödliche Lektion • Aus dem Amerikanischen von Doris Attwood • cbj, München 2021 • 480 Seiten • € 20,00 • eBook € 11,99 (im Shop) • Empfohlen ab 14 Jahren
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