11. November 2021 1 Likes

„Last Night in Soho“ – London heute und damals

Edgar Wright blickt hinter die Kulissen der Swinging Sixties

Lesezeit: 3 min.

Zeitreisen führen ja meist in die Zukunft, manchmal ist es allerdings die Vergangenheit, die aus dem Blick der Gegenwart auf einmal irreal, um nicht zu sagen grauenhaft wirkt. So auch in Edgar WrightsLast Night in Soho“, in dem der für seine popkulturell belesenen, sehr bunten Filme bekannte britische Regisseur nicht nur zum wiederholten Mal Genremotive variiert, sondern so sehr wie noch nie den Zeitgeist spiegelt.

Schon die erste Szene stellt die Wahrnehmung auf die Probe: Man sieht die sehr junge Eloise (Thomasin McKenzie), wie sie in einem bunten Petticout durch ihr ebenso buntes Zimmer wirbelt, auf einem Plastikplattenspieler dreht sich Petulia Clarks Downtown, es sind die 60er Jahre. Zumindest in diesem Zimmer, in diesem Haus, in dem Eloise mit ihrer Großmutter lebt, in einer Art Zeitkapsel, in der die 60er Jahre sehr lebendig sind.

Noch lebendiger ist die Ära, in der ihre Mutter einst lebte, allein in Eloise Kopf, in den bald die Reise führt. In London sucht Eloise nach ihrem Glück, will das erreichen, woran ihre Mutter scheiterte, was ihre Mutter in den Wahn und den Selbstmord trieb. Als Modedesignerin will sie reüssieren, im Studentenwohnheim ist sie mit ihren selbstgenähten Kleidern schnell Außenseiter und findet eine private Unterkunft im baufälligen Haus von Ms. Collins (Diane Rigg). Im Bett unter dem Dach schläft Eloise und träumt sich in das London der Swinging Sixties. Ihr dortiges Alter Ego scheint Sandie (Anya Taylor-Joy) zu sein, eine angehende Sängerin, die vom großen Erfolg träumt, aber bald die Schattenseiten von Soho kennenlernen muss.

Anfangs wirkt ihr Manager Jack (Matt Smith) noch wie ein Traum, doch spätestens als er Sandie in einer schwierigen Bar unterbringt, wo sie als leichtbekleidetes Chorus Girl im wahrsten Sinne des Wortes anschaffen gehen muss, wird aus dem Traum ein Albtraum.

Furios inszeniert Wright den Wechsel der Realitäten, stellt Eloise ihr Gegenüber Sandie spiegelbildlich gegenüber, doch Spiegel können bekanntlich zerbrechen. In welchem Verhältnis die beiden Figuren stehen bleibt lange offen, wie sich Gegenwart und Vergangenheit bedingen ebenfalls. Anfangs wirkt „Last Night in Soho“ wie eine oberflächliche Hommage an den Glanz der 60er Jahre, die Clubs der Hauptstadt, die Eleganz der Kleidung, an Songs und Freigeist. Doch bald kippt die Stimmung, setzt Wright zunehmend Lichteffekte ein, wie man sie aus dem Giallo kennt, taucht Eloise und Sandie in bedrohlich leuchtende Rottöne. Das Licht flackern unheilvoll, die Schatten werden länger und bald glaubt man, dass bald Peeping Tom um die Ecke schaut.

Doch „Last Night in Soho“ ist ein dezidiert zeitgeistiger Film, der direkt und unverhohlen Motive und Debatten der #metoo Diskussion umkreist. Hinter den schönen Schein der Swinging Sixties zu blicken, die vielleicht nur in der Erinnerung Beteiligter und vor allem Unbeteiligter so euphorisch sind, reicht Wright und seiner Co-Autorin Krysty Wilson-Cairns nicht aus. Fast schon ein Klischee ist es in den letzten Jahren geworden, dass sich männliche Autoren weibliche Unterstützung holen, um den weiblichen Blick auf die Geschichten zu stärken. Was Wilson-Cairns (die gerade mit Taika Waititi auch an einem neuen „Star Wars“-Film arbeitet) beigetragen hat muss offen bleiben, so oder so überzeugt „Last Night in Soho“ auf zwei Ebenen: Stilistisch als Hommage an die 60er Jahre und das Thriller-Kino, das damals entstand, inhaltlich als Dekonstruktion der oft sexistischen Strukturen und Klischees eben dieses Genres.

Last Night in Soho • GB/ USA 2021 • Regie: Edgar Wright • Darsteller: Thomasin McKenzie, Anya Taylor-Joy, Matt Smith, Diane Rigg • im Kino

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