3. Mai 2022

Und plötzlich liegt ein Tsunami in der Luft

Was wir aus einem katastrophalen Ereignis vor einigen Monaten lernen können

Lesezeit: 4 min.

Hunga Tonga-Hunga Ha‘apai – schon allein das auszusprechen macht doch irgendwie Spaß, oder? Leider jedoch bezeichnen diese lustigen Wörter eine ernste Sache, denn dabei handelt es sich um den Namen des unterseeischen Vulkans, der im Januar dieses Jahres den Inselstaat Tonga verwüstet hat. Er verursachte Schäden in Millionenhöhe und richtete ein riesiges Chaos an.

Das war beileibe kein gewöhnliches Naturschauspiel: Der Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha‘apai, bei dem eine etwa zwanzig Kilometer hohe Säule aus Dampf, Asche und Partikeln in den Himmel schoss, war gigantisch - die größte Eruption, die jemals von der Organisation des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO), die alle möglichen seismischen Phänomene erfasst, aufgezeichnet wurde, ungefähr vergleichbar mit dem Meteoriteneinschlag, der 1908 Tunguska in Sibirien verwüstete. Mächtiger Bada-Boom!

Aber auch so furchtbare Ereignisse wie dieses können ihr Gutes haben. Um es ganz deutlich zu sagen: Mir wäre es natürlich tausendmal lieber, wenn der Vulkan nicht ausgebrochen wäre, positive Nebeneffekte hin oder her. Ich bin mir sicher, dass ich den Bewohnern Tongas aus der Seele spreche, wenn ich das Ganze als totale Katastrophe bezeichne, und ich wünsche ihnen allen von ganzem Herzen eine möglichst schnelle Rückkehr zur Normalität.

Trotzdem möchte ich auf besagten positiven Nebeneffekt aufmerksam machen. Denken Sie etwa an Covid-19 - in jeder Hinsicht eine weltumspannende Tragödie, die durch die himmelschreiende Inkompetenz einiger Staatenlenker noch verschlimmert wurde. Aber gleichzeitig hat uns die Pandemie dazu gebracht, darüber nachzudenken, wie und wo wir in Zukunft arbeiten wollen - mit dem Resultat, dass sich viele nicht mehr mit einem Job zufriedengeben, der sie seelisch auslaugt. Man müsste schon ein ziemliches Arschloch sein oder an der Wall Street arbeiten, um da anderer Meinung zu sein (obwohl, wenn ich darüber nachdenke: Die meisten Leute an der Wall Street sind ja ziemliche Arschlöcher).

Aber zurück zum Thema. So verheerend der Hunga-Tonga-Hunga-Ha‘apai-Ausbruch auch war, er lieferte Astrophysikern und Klimaforschern aus aller Welt eine Fülle interessanter Daten. Insbesondere hat er uns die Folgen eines Asteroideneinschlags im Ozean vor Augen geführt. Ein solcher Aufprall im Ozean ist trotz der gegenteiligen Darstellung in etlichen Hollywood-Filmen nämlich weitaus wahrscheinlicher als ein Einschlag auf dem Festland, das nur dreißig Prozent der Erdoberfläche bedeckt. Natürlich verraten uns diese Daten nicht alles. Ein ganz offensichtlicher Unterschied zwischen den beiden Szenarien ist, dass ein Asteroid von oben und ein Vulkan von unten kommt. Aber das ist nebensächlich – die Daten zeigen uns, was passiert, wenn eine gigantische Menge Meerwasser in sehr kurzer Zeit verdrängt wird.

Dabei entstehen auch Tsunamis, aber um die geht es mir eigentlich gar nicht – jedenfalls nicht so, wie Sie denken. Natürlich können Wissenschaftler die Daten der Wellen modellieren, die sich bilden, wenn so viel Wasser verdrängt wird, aber sie ermöglichen ihnen auch noch weitere Erkenntnisse. Vor einigen Jahren entdeckte Mark Boslough, Professor an der Fakultät für Geowissenschaften und Planetologie der Universität von New Mexico, etwas, das er „Meteotsunamis“ nannte: Tsunamis, die offenbar nicht durch die Verdrängung von Wasser, sondern durch Luftdruckschwankungen entstehen. Als der Hunga Tonga-Hunga Ha‘apai ausbrach, wurden solche Meteotsunamis plötzlich an den verschiedensten Orten der Erde beobachtet, etwa in Puerto Rico oder auf Menorca – also weit weg von Tonga. Natürlich waren sie nicht mit den gewaltigen Flutwellen zu vergleichen, die Tonga heimsuchten, aber ihr Erscheinen bewies, dass ein kataklysmisches Ereignis Wellen an weit entfernten Orten verursachen kann.

Für mich ist das besonders beunruhigend, denn ich wohne in Vancouver, das gleich an der Cascadia-Verwerfung liegt – jene unterseeische tektonische Plattengrenze, an der sich früher oder später das katastrophalste Erdbeben abspielen wird, das die Welt je erlebt haben wird. Dieses Beben wird unweigerlich auch einen Tsunami auslösen. Bis jetzt habe ich mich trotzdem relativ sicher gefühlt, weil eine riesige Landmasse in Form von Vancouver Island meine Heimatstadt wie ein Schutzwall nach Westen hin vom Ozean abschirmt. Doch nun musste ich erfahren, dass sich bei einem solchen Beben auch im Meeresarm auf der anderen Seite der Insel Tsunamis bilden können, und zwar einzig und allein aufgrund von verdrängter Luft. Na toll.

Das wirklich Beängstigende daran ist jedoch etwas anderes: Unterseeische Vulkane lassen sich bis zu einem gewissen Grad beobachten (auch wenn das nicht ganz einfach ist). Ein Asteroid dagegen kann uns völlig überraschend treffen. Es ist nahezu unmöglich, die vielen, vielen Millionen Asteroiden, die aus allen Richtungen kommen, im Blick zu behalten. Sollte es also wirklich einmal zu einem Asteroideneinschlag kommen, ist es sehr fraglich, dass es überhaupt eine Vorwarnung geben würde. Ein dumpfer Knall in der Ferne und eine gigantische Flutwelle könnten tatsächlich das Erste sein, was wir davon mitbekommen. So gesehen, hatte der Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha‘apai vielleicht tatsächlich einen kleinen positiven Nebeneffekt.

 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop), „Enforcer“ (im Shop) und „Verschollen (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

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