„Gandahar“ – 80er-Jahre-Trickfilm-Sci-Fi wieder im Kino
Faszinierende Zukunftsvision mit Mitteln von gestern
Der kleine Mannheimer Filmverleih Drop-Out Cinema ist wohl der coolste Filmverleih Deutschlands. Jörg van Bebber und Stefan Schimek stellen seit Jahren ein zum Niederknien vielfältiges, ungewöhnliches und überraschendes Programm zusammen und scheuen dabei auch vor problematischeren Kandidaten nicht. Und so kriegt René Laloux’ Ende August von Cinema Obscura als schicke Mediabook-Edition veröffentlichter „Gandahar“ doch tatsächlich noch einen kleinen Kinostart und das ist nicht zu unterschätzen, denn anders als Laloux beliebter „Der wilde Planet“ (1973) macht’s „Gandahar“ seinem Publikum nicht unbedingt leicht.
Der letzte, in Nordkorea (!) hergestellte Film der französischen Ausnahmeerscheinung in Sachen Trickfilm war mit steifen Animationen und piu-piu-Lasersounds bereits im Erscheinungsjahr 1987 nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Zudem erweist sich die Geschichte komplexer und dialoglastiger als man angesichts der im übernächsten Absatz eintrudelnden Zusammenfassung vermuten würde – Action gibt’s zwar ebenso ein wenig, aber die ist nicht der Rede wert.
Es ist kaum anzunehmen, dass außerhalb des eingefleischten Fandoms irgendjemand wegen einer Ausgrabung dieser Art ins Kino tappt – was aber ein Fehler wäre, denn „Gandahar“ fächert etwas auf, was im Science-Fiction-Kino der letzten Jahrzehnte selten geworden ist: Eine ganz andere Welt von Übermorgen. Keine nur weitergedachte, sondern eine futuristische Welt, die verschieden ist von der unseren, wie ein wilder Mix aus Métal-Hurlant-Kosmen (das Design stammt von Comiczeichner Caza), durchzogen vom Geiste Salvador Dalis, fremdartig, voller bizarrer Kreaturen wie Spiegelvögel und detailfreudig gestalteter, surrealer Schauplätze. Und es macht ausgesprochen viel Spaß mit Protagonist Syl durch die grandios gezeichneten Szenarien zu ziehen, das die Technik antik ist, sollte da schnell keine Rolle mehr spielen, die Macht der Fantasie ist im Endeffekt das Ausschlaggebende, man muss sich ihr nur ergeben.
Syl ist der Spitzname von Sylvain, Sohn der Königin von Gandahar, einer mittels Biotechnologie geschaffene, friedliche, vorgeblich perfekte Gesellschaft, die plötzlich von einer mysteriösen Roboterarmee angegriffen wird, die die Bewohner mit ihren Strahlen versteinern. Der Königssohn soll nun herausfinden, was dahinter steckt und die Schwächen der Gegner auskundschaften. Er stößt nicht nur auf von Gandahar ausgestoßene Mutanten, sondern erfährt, dass die Roboter die versteinerten Bewohner in merkwürdige Eier stecken und durch ein Lichttor abtransportieren. Hinter den seltsamen Vorgängen steckt ein inselgroßes Gehirn mitten im Meer mit dem Namen Metamorph …
„Gandahar“ erzählt im Prinzip nicht wirklich was Neues, der einsame Held, der sein Volk retten will, Zeitreisen, gesellschaftliche Abgründe, das gab’s auch damals schon woanders, wird hier aber besonders stimmig und schlüssig präsentiert und thematisiert – wie schon bei den anderen Filmen des Regisseurs – auf einer abstrakten Ebene den Schrecken des Faschismus.
Laloux’ dritter und leider letzter, mit einem wunderbar subtilen Soundtrack von Soundtrack-Virtuose Gabriel Yard unterlegte, Film steht seinen anderen in nichts nach, „Science Fiction für Erwachsene“, wenn man so will. Höchst originelle, sehr kunstvolle Bilderwelten, Story statt Spektakel – lediglich, dass der langhaarige Held nach kurzer Zeit eine stets halbnackte Frau kennen lernt, diese sich ruck-zuck in ihn verliebt und Sex mit ihm hat, wirkt mit heutigen Augen vielleicht etwas „irritierend“, aber hey, so waren sie halt, die alten Zeiten.
Gandahar • Frankreich 1987 • Regie: René Laloux • Sprecher: Pierre-Marie Escourrou, Catherine Chevallier, George Wilon, Anny Duperey • ab 19. September im Kino
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