„Menschenschutzgebiet“ – Wie wollen wir in Zukunft leben?
Der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt stellt notwendige Fragen und gibt optimistische Antworten
Am 2. Mai 2019 rief Konstanz als erste Stadt in Deutschland den Klimanotstand aus. Entscheidend verantwortlich für diesen zwar in erster Linie symbolischen, aber dennoch wichtigen Akt war Uli Burchardt, der seit 2012 als Oberbürgermeister der Stadt am Bodensee amtiert. Ein ungewöhnlicher Politiker ist Burchardt, der sich 2012 noch als unabhängiger Kandidat zur Wahl stellte, inzwischen aber Mitglied der CDU ist. Das muss man ihm allerdings nicht negativ auslegen, wie das lesenswerte Buch „Menschenschutzgebiet“ (im Shop) zeigt, mit dem Burchardt seine zweite Karriere als erfolgreicher Sachbuchautor fortsetzt.
Der Untertitel „Wie die Stadt der Zukunft ein Teil der Natur wird“ deutet den breiten, ambitionierten Bogen an, den Burchardt auf gut 300 Seiten schlägt, die oft locker-flockig und manchmal gar flapsig wirken, aber davon sollte man sich nicht irritieren lassen. Denn auch wenn Burchardt eine Vorliebe für einfache, klare Sätze hat, für Formulierungen, die bisweilen etwas allzu schlicht und zugespitzt wirken, haben seine Überlegungen zu einer dringend notwendigen Transformation der Städte Hand und Fuß.
Schon früh macht Burchardt den Kern seiner Thesen deutlich: „Der Mensch ist auch nur ein Tier“ heißt es da, und weiter: „Die Stadt ist ein Teil der Natur.“ Die gerade von Umweltschützern oft gebrauchte Gegenüberstellung von Stadt und Natur, die als scheinbar unvereinbare Pole dargestellt werden, entlarvt Burchardt damit als billiges Mittel, in eigenen, oft ultimativen Positionen zu verharren und jede Diskussion im Keim zu ersticken.
Denn trotz der zunehmend deutlicher werdenden Folgen des Klimawandels kann es beim Suchen nach Lösungen nicht um apodiktische Positionen gehen, die etwa einen sofortigen Abschied vom Kapitalismus und der sozialen Marktwirtschaft fordern, die jeglichen Neubau von Fabriken oder Wohnungen verteufeln, sondern muss es um ganzheitliche, nachhaltige Methoden gehen, die scheinbar unvereinbares Vereinen: Gleichzeitig Städte als den Lebensraum, der auch zukünftig für immer mehr Menschen zu Hause sein wird, lebenswert zu erhalten und auf eine Weise mit den Ressourcen umzugehen, die die Auswirken des Klimawandels so sehr es geht abfedern oder im besten Fall gar umkehren.
Wie das funktionieren soll ist nun die Frage, die sich Politiker, Stadtplaner und eigentlich alle Menschen stellen, die nicht den Kopf in den Sand stecken und glauben, dass der Klimawandel eine Phantasie ist, zunehmende Extremwettererscheinungen reine Fiktion sind und alles bleiben kann, wie es ist. Vor der Vielzahl der Probleme und Aufgaben könnte man nun leicht verzweifeln, Burchardt dagegen wirkt wie ein stets zum Optimismus neigender Macher, der nicht in erster Linie Widerstände sieht, sondern Möglichkeiten.
Es hat etwas Erfrischendes, zu lesen, wie ein Politiker nicht in erster Linie die Probleme beschreibt, sondern überzeugend darlegt, wie viele kleine Projekte nach und nach große Erfolge nach sich ziehen. Dabei sind die angebotenen Lösungen alles andere als überraschend oder gar radikal: Von der Entsiegelung von Böden, über die Förderung von auch kleinen Photovoltaikanlagen, bis zum Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs hat Burchard alles im Programm, was richtig und wichtig erscheint, was aber auch mit relativ geringem Aufwand umsetzbar scheint.
Doch damit die notwendige Transformation gelingen kann, damit die Stadt der Zukunft lebenswert bleibt oder gar noch lebenswerter wird, bedarf es der aktiven Mitwirkung vieler Bürger. Immer wieder prangert Burchardt eine Art Bedienmentalität an, die viel zu viele Bürger dazu verleitet, es sich auf dem Sofa bequem zu machen und zu erwarten, dass die Politik es schon richten wird. Auch die seit Jahren grassierende Polarisierung der Debatten, das Verharren auf extremen Positionen, der Unwille, Kompromisse zu schließen, verhindert notwendige Entwicklungen.
Ganz so einfach wie es Uli Burchardt beschreibt, dürfte es zwar nicht werden, angesichts der verkrusteten Strukturen Deutschlands eine neue Aufbruchsstimmung zu erzeugen, doch wenn man es gar nicht erst versucht, wird es gewiss nicht gelingen. Und als optimistische Beschreibung der Chancen und Möglichkeiten, die ein Wandel auch mit sich bringt, gäbe es deutlich schlechtere Bücher als Burchardts „Menschenschutzgebiet.“
Uli Burchardt: Menschenschutzgebiet • Sachbuch • Goldmann, München 2024 • 336 Seiten • Erhältlich als Hardcover und eBook • Preis des Hardcovers: € 22,00 • im Shop
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