Winterlektüre: Vergangenheit trifft auf Zukunft
Empfehlenswerte Romane und Comics von Adrian Tchaikovsky, Michail Bulgakow, Marc-Uwe Kling und Sakae Saito
Wenn sich das Jahr zu Ende neigt, sind Rückblicke nicht weit. Manche Titel gehen dabei leicht unter ‒ und es wäre viel zu schade, sie nicht zu empfehlen. Es folgen zwei Bücher und zwei Comics für lange Winterabende.
Zum Anfang ein Roman, der schon vergangenes Jahr erschienen ist, im Weihnachtstrubel 2023 aber vielleicht nicht jede:n erreicht hat. Mit „Die Feinde der Zeit“ (im Shop) endet Adrian Tchaikovskys „Kinder der Zeit“-Trilogie (im Shop) fulminant. Das Beste daran: Alle drei Bände lassen sich auch eigenständig lesen. Ihre ganze erzählerische Kraft entfalten sie aber erst, wenn man die Romane am Stück liest. Lange, nasskalte Winterabende laden dazu regelrecht ein. Worum geht es? Die Nachfahr:innen der Arche „Gilgamesch“ gehen mit ihren neuen Verbündeten abermals auf große Sternenfahrt, begeben sich auf der Suche nach weiteren Terraforming-Projekten und treffen dabei auf so manch bemerkenswerte Spezies. Dieses Mal machen sie nicht nur Bekanntschaft mit mehr als unfreundlichen, fremdenfeindlichen Menschen, sondern auch mit Raben, die scheinbar intelligenter sind als manch ehemaliger Erdling. Und Spaß mit unterschiedlichen Zeitlinien gibt es noch gratis obendrauf! Das alles ist nicht nur spannend und unterhaltsam zu lesen, sondern auch ein cleverer Kommentar auf den aktuellen KI-Hype.
Adrian Tchaikovsky: Die Feinde der Zeit • Aus dem Englischen von Irene Holicki • Heyne, München, 2023 • 560 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: 18,00 € • im Shop
Was fürchten die Mächtigen dieser Welt am meisten? Kunst, Kultur und Kritik. Kein Wunder also, dass das Wort mitunter die stärkste Waffe ist, die Kreativen in Autokratien und Diktaturen bleibt – ob geschrieben, gesungen oder als Allegorie in Öl verewigt. Zu allen Zeiten hat es Menschen gegeben, die sich ganz ihrer Kritik verschrieben hatten. Ein Meister darin war Michail Bulgakow (im Shop). Getarnt als Satiren fand er einen Weg, die politischen Umbrüche der 1920er Jahre und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft zu porträtieren. Als anti-sowjetisch diffamiert wurden seine Werke zumeist zensiert – und dennoch wurden und werden sie damals wie heute gelesen. Ein Beispiel dafür ist auch „Die verhängnisvollen Eier“ (im Shop). Die Geschichte über ein fehlgeschlagenes Experiment, bei der Riesenhühner den Eiernotstand im post-revolutionären Russland eigentlich beheben sollten, hat bis heute nichts an Charme, Witz und Schrecken eingebüßt. Gekrönt wird die bei Anaconda erschienene Neuübersetzung von Alexandra Berlina mit den „Notizen auf Manschetten“, die einen Einblick in das Leben von vor knapp 100 Jahren geben.
Michail Bulgakow: Die verhängnisvollen Eier und Notizen auf Manschetten • Aus dem Russischen von Alexandra Berlina • Anaconda, München, 2024 • 192 Seiten • Erhältlich als Hardcover und eBook • Preis des Hardcovers: 7,95 € • im Shop
Wer braucht schon Superkräfte?
Die 2020er waren bislang ja eher so ein Meh-Jahrzehnt. Für Fans von Marc-Uwe Kling sind sie hingegen ein Fest. Kaum ein Jahr ohne neues Känguru-Material, neue Romane oder neue Comics aus der Feder des begnadeten Kleinkünstlers. Neben dem Sci-Fi-Roman „Views“ (Ullstein) und dem Kinderbuch „Das NEINhorn und der Geburtstag“ (Carlsen) erschien vor Kurzem „Normal und die Zero Heroes“ (Rowohlt Hundert Augen), ein wunderbarer Superheld:innen-Comicspaß. Wobei das mit dem „Super“ so eine Sache ist. Denn anders als alle anderen in dieser Welt hat Normal keine Kräfte. Er ist einfach… Nun ja… normal. Als ein neuer Bösewicht in der Stadt auftaucht und den Superheld:innen ihre Kräfte stiehlt, scheint jedoch Normals Zeit gekommen zu sein. Denn welche Kräfte will man ihm schon rauben? Gemeinsam mit seinen Freund:innen, die mit scheinbar nutzlosen Fähigkeiten gesegnet sind, zieht er in den Kampf. Eine abgedrehte, voller Kling-Humor triefende Parodie, fabelhaft in Szene gesetzt von Co-Autor Jan Cronauer und Zeichner Florian Biege. Teil 2 erscheint 2025.
Marc-Uwe Kling, Jan Cronauer, Florian Biege: Normal und die Zero Heroes • Rowohlt Hundert Augen, Hamburg, 2024 • 208 Seiten • Erhältlich als Hardcover und eBook • Preis des Hardcovers: 25,00 €
Gemütlich geht die Welt unter
Hach ja. Stell dir vor, die Welt ist untergegangen und du fährst durch menschenleere Landschaften. Kein Stau, kein Lärm, keine Fußgänger:innen, nur der Lieblingsmensch und du. Wie entspannend, wie schön! Sakae Saitos „Touring After the Apocalypse“ ist einer der Geheimtipps dieses Jahres im Mangaregal. Und trotz der Altersempfehlung ab 12 Jahren ist es eine Geschichte, die das Herz von mürrischen Erwachsenen im Sturm erobern kann. Als Leser:innen begleiten wir Yoko und Airi auf ihrer e-motorfizierten Yamaha durch das postapokalyptische Japan. Yoko folgt dabei jener Route, die ihre Schwester viele Jahre vor dem Weltuntergang genommen hat. Wie es zur Apokalypse kam bleibt nach den vier bislang erschienenen Bänden genauso ein großes Rätsel wie der Verbleib von Yokos Schwester. Dabei schleichen sich auf dieser gemütlichen Fahrt auch zunehmend mysteriöse Momente ein, von seltsamen Visionen bis hin zu Robotern, die sich ohne Strom fortbewegen können. Eine Serie, die zum Entschleunigen einlädt – und die der Postapokalypse etwas von ihrem Schrecken nimmt.
Sakae Saito: Touring After the Apocalypse • Aus dem Japanischen von Antje Bockel • Carlsen Manga, Hamburg, 2024 • je 194 Seiten • Erhältlich als Taschenbuch und eBook • Preis je Taschenbuch: 8,00 €
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