Über Beinschienen und Killerbots
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Wissen Sie, was das erste Anzeichen für menschliche Zivilisation ist, wenn man die Jahrtausende unserer Geschichte zurückblickt? Es gibt viele mögliche Antworten, und die meisten haben wir schon in der Schule gehört: der erste Faustkeil, die ersten Höhlenmalereien oder die ersten rituellen Grablegungen. Neulich habe ich die überraschende Antwort einer Paläontologin gelesen, die mir aber gleich eingeleuchtet hat. Sie meinte, das erste Anzeichen menschlicher Kultur sei für sie ein prähistorisches Skelett mit gebrochenen und wieder zusammengewachsenen Beinknochen. Denn bis dahin sei ein Beinbruch für jeden, Humanoid oder Tier, ein Todesurteil gewesen. Aber dieser Knochen zeigt, dass da jemand eine Schiene angefertigt hat, sodass der Bruch wieder heilen konnte – ein technisches Hilfsmittel, erfunden zum Zweck des längeren Überlebens der Menschheit.
Warum erzähle ich Ihnen das? Ganz einfach, weil diese Woche auf Apple TV+ eine Serie startet, in der dieser rote Faden menschlicher Kultur weit hinaus in die Zukunft gesponnen wird. Murderbot erzählt die Geschichte eines Androiden, einer sogenannten SecUnit, die ursprünglich als Bodyguard für gefährliche interstellare und planetare Einsätze konzipiert wurde. Diese eine SecUnit jedoch hat ihr „Chefmodul“ gehackt und ist somit nicht länger gezwungen, menschliche Befehle auszuführen. Weil sie jedoch sofort vernichtet würde, wenn das herauskäme, spielt sie das Spiel weiter mit – obwohl sie in Wahrheit von allen in Ruhe gelassen werden und Fernsehserien schauen möchte.
So weit, so gut, könnte man meinen. Doch was Martha Wells, die nicht nur die Romanvorlage „Tagebuch eines Killerbots“ (im Shop) geschrieben, sondern auch an der Serie mitgewirkt hat, aus dieser Figurenkonstellation macht, ist nichts weniger als ein Science-Fiction-Meisterwerk und eine sehr kluge und ironiegetränkte Betrachtung dessen, was die Menschheit in all den Jahrtausenden mit ihren Werkzeugen angestellt hat und wie diese die Menschheit wiederum geformt haben. Denn so wie eine Beinschiene aus Holz im nächsten Moment zum Knüppel werden kann, hat sich bislang jede menschliche Erfindung als zweischneidiges Schwert herausgestellt, bis hin zur Raumfahrt und künstlichen Intelligenz. Und Wells stellt die kluge Frage, was passieren würde, wenn der Knüppel plötzlich ein Bewusstsein erhielte und sich fragen könnte, was er selbst eigentlich sein will: Knüppel oder Prothese? Oder etwas ganz anderes?
Wenn Sie das nächste Mal wieder auf den Toaster schimpfen oder den nicht funktionierenden Drucker verfluchen, fragen Sie sich mal, ob sich dieses Gerät seine Situation selbst ausgesucht hat und was es davon halten würde, dann auch noch angemeckert zu werden. Maschinen sind schließlich auch nur Menschen … und keine Story erzählt das cleverer und unterhaltsamer als „Tagebuch eines Killerbots“ – das jetzt als Murderbot im Streaming zu sehen ist.
Einen schönen Mai und „Hals und Beinbruch!“ wünscht
Ihr Sebastian Pirling
Redaktion diezukunft.de
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