24. April 2015 4 Likes

Metall auf Metall

Joss Whedon gibt alles und noch ein bisschen mehr: „Avengers: Age of Ultron“

Lesezeit: 5 min.

„Ich sagte Kevin Feige (Präsident der Marvel Studios), dass es mein geheimer Traum sei, diesen Film kürzer zu machen als den ersten. Und das ist er auch. Genau eine Minute kürzer.“ Mit der ihm eigenen Mischung aus milder Ironie, lakonischer Selbstreferenzialität und intelligentem Understatement beschreibt Regisseur Joss Whedon im Interview mit dem amerikanischen Rolling Stone wunderbar knapp das große Dilemma und zugleich den ultimativen Reiz seines Superhelden-Sequels „Avengers: Age Of Ultron“. Dilemma, weil ein solches Projekt der marktimmanenten Logik folgend eben ganz einfach nicht tiefer stapeln darf als der Vorgänger – Reiz, weil eine daraus folgende Steigerung des ersten Marvel-Mashups, der mit 1,5 Milliarden US-Dollar bislang Platz drei der erfolgreichsten Filme aller Zeiten besetzt, fast schon zwangsläufig zur Apotheose nicht nur des Superhelden-Films, sondern des Champions-League-Blockbuster-Kinos generell prädestiniert ist. Um es gleich vorwegzunehmen: Genau so muss man solche Filme heute machen. Dabei geht es nicht um weiche Kategorien wie Geschmack, Anspruch, Gehalt oder Signifikanz, sondern ganz einfach um Angemessenheit. Jenseits des herrschenden und allgegenwärtigen Meinungsfaschismus ist hier Fakt: Dieser Film strotzt vor Dringlichkeit und (im besten Sinne) Kompetenz.

Man muss es Joss Whedon hoch anrechnen, dass ihm ein solch magnetisches Stück Kino innerhalb eines Referenzsystems gelingt, das neben den üblichen Anknüpfungspunkten (filmhistorisch, psychologisch, geopolitisch, genrespezifisch) weitere Ebenen der Durchlässigkeit zu berücksichtigen hat, die man in Bezug auf den Lenker und Chefdenker der Marvel Studios fast „feigsch“ nennen möchte. Innerhalb des großen Bezugsrahmens „Marvel Cinematic Universe“ muss sich „Avengers: Age Of Ultron“ sowohl als eigenständiges Werk, als auch als kongruente Folie bewähren, auf der alle Inhalte des MCU oszillieren können, ohne sich gegenseitig zu negieren. Dies führt zu einer ganz eigenen Qualität dieses Films, der nicht nur horizontal als Sequel, sondern auch vertikal als Spin-off funktioniert und so die scheinbaren Gegensätze Gleichzeitigkeit und Sequenzialität überwindet und in sich vereint. Das hat er dann – mehr noch, als die Bezüge zu inhaltlichen Topoi, Figuren, Konflikten, Kostümen und Namen – tatsächlich mit dem Medium gemeinsam, aus dessen nerdig-verschwitzem Schoß er gekrochen ist. Seitenlinien, Neustarts, Paralleluniversen – Variationen des Immergleichen bestimmen den nicht enden wollenden Comic-Output, ohne dessen Kern zu verleugnen. Kanonische Logik ist weniger gefragt als Wahrhaftigkeit der Marke gegenüber; so, wie Mulder und Scully auch nach einigen Staffeln übernatürlicher Erlebnisse am Anfang jeder neuen Akte X-Folge scheinbar wieder bei Null anfangen, spielt es für die Wirkung von „Avengers: Age Of Ultron“ keine Rolle, dass Tony Stark nach seinem vermeintlichen Rücktritt vom Iron-Man-Dasein im letzten Solofilm hier von Beginn an wieder im rot-goldenen High-Tech-Anzug unterwegs ist. Dies sind die Avengers, und das ist es, was sie tun.

Diese Selbstverständlichkeit wird in der beeindruckenden Eröffnungssequenz deutlich, die das Team im hochkinetischen Einsatz gegen die hydrafizierten Truppen des sinistren Baron von Strucker (Thomas Kretschmann) zeigt. Es ist ein weiteres Abenteuer der Earths Mightiest Heroes, die hier in heroischen Posen ihre neue Dynamik präsentieren – ein veränderter Fokus auf Charaktereigenschaften und Beziehungen innerhalb der Gruppe, der einen der großen Reize des Films ausmacht. Dabei sind es vor allem Hulk und Black Widow, die in ihren bürgerlichen Ausgestaltungen als das gezeigt werden, was sie sind: Monster, von der Zivil-Gesellschaft Ausgestoßene, Freaks, die ihren Platz im Leben vorsichtig beim jeweils anderen suchen. Ähnliches gilt mit veränderten Vorzeichen auch für die anderen Mitglieder und „Talente“ genannten Neuentdeckungen – ob genialisch-monomanischer Ex-Waffenhändler, nordischer Halbgott, genetisch manipulierter Supersoldat oder experimentell mutiertes Zwillingspaar: Hier hat sich eine Gruppe von Freaks gefunden. Dass es auch anders geht, zeigt Whedon am Beispiel von Hawkeye Clint Barton, dessen Rolle im Vergleich zum ersten Avengers-Film nicht nur deutlich aufgewertet wurde, sondern der auch als Familienvater mit eigener Farm und Karohemd das Gegenmodell zu all dem kunterbunten Superheldentum darstellt.

Für all diese Charaktermomente hat Joss Whedon erstaunlich stimmige Darstellungsmodi gefunden; sowohl in ruhigen Einstellungen voller Soul-Searching, in denen v.a. Scarlett Johannsson und Mark Ruffalo glänzen, als auch in actionlastigen Sequenzen, in denen sich das Innenleben der Helden durch ihre Handlungen offenbart, ist hier nichts reiner Selbstzweck. Alles dient einem narrativen Flow, der bei aller gezeigten Monumentalität nie seine Stringenz verliert. Das kann Whedon einfach, und dass er es auf dermaßen hochgepitchtem Blockbuster-Niveau fertigbringt, seine Vielzahl von Figuren und Nebenfiguren nie aus den Augen zu verlieren, ist buchstäblich ganz großes Kino.

Gegenspieler Ultron – fiese künstliche Intelligenz mit Weltzerstörungsfantasien – ist dann mal wieder ein recht blasser Antagonist. Als dunkles Spiegelbild seines Schöpfers Stark und Bruder im Geiste der Avengers-Geschöpfe wird er zwar von James Spader per Motion Capture und Voice Acting sehr unterhaltsam dargestellt, ist aber unterm Strich bloß ein weiteres Monster of the Week. Am Ende wird der x-te Doomsday verhindert, und dass als Deus ex machina schon wieder eine olle S.H.I.E.L.D.-Flugmaschine im Fokus des Showdowns steht, an dessen Höhepunkt ganz marveltypisch erneut eine Menge Schrott Schrott vom Himmel fällt, ist höchstens auf der Motivebene ein wenig einfallslos. Aber darauf kommt es nicht an – denn all das ist mit einer Dringlichkeit inszeniert, die aus jedem Bild dieses Multimillionen-Dollar-Behemoths förmlich herausbricht.

Der amerikanische Regisseur John Schnepp besuchte den Londoner Set des Films und berichtete von einem humpelnden, zutiefst erschöpften und zerzausten Joss Whedon, der seine Armee von Schauspielern, Technikern, Statisten und Assoziierten befahl wie ein General seine Truppen in der alles entscheidenden Schlacht. Diese aufopfernde Haltung spürt man bei jedem Scheppern von Metall auf Metall, bei jeder sehnsuchtsvollen Berührung von Hulk und Black Widow, bei jedem psychotischen Monolog des Killer-Roboters, bei jedem melancholischen Blick der Maximoff-Zwillinge. Hier hat ein Meister des Fantastik-Kinos alles gegeben – kein Wunder, dass dies aller Voraussicht nach sein letzter Ausflug ins Avengers-Business war, das Pulver ist verschossen. Doch was für ein lohnenswerter Ausflug dies ist, davon sollte sich jeder selbst überzeugen, der dem Superhelden-Trend (durchaus nicht unberechtigt) skeptisch gegenübersteht. „Avengers: Age Of Ultron“ mag eine Minute kürzer sein als sein Vorgänger, aber sein Donner dürfte noch lange nachhallen.

„Avengers: Age of Ultron“ ist seit dem 23.4. bei uns im Kino zu sehen. Bilder: © Marvel 2015

Avengers: Age of Ultron (USA 2015) • Regie: Joss Whedon • Darsteller: Robert Downey Jr., Chris Evans, Chris Hemsworth, Scarlett Johansson, James Spader, Mark Ruffalo, Samuel L. Jackson, Jeremy Renner, Aaron Taylor-Johnson, Elizabeth Olsen

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.