20. Mai 2015 4 Likes

Hausbesuch bei J. G. Ballard

Zwei neue Bücher erlauben einen spannenden Blick auf den großen Visionär

Lesezeit: 3 min.

Der Brite James Graham Ballard (1930–2009) gehört schon lange zu den literarischen Ausnahmeerscheinungen. Er verfügte nicht nur eine außergewöhnliche Fantasie, sondern war außerdem ein brillanter Stilist, dessen Bildkraft nicht selten in visionäre Bereiche vorstieß; seine berühmten Romane „Karneval der Alligatoren“ („The Drowned World“, 1962) und „Kristallwelt“ („The Crystal World“, 1966) sind hierfür ebenso beispielhaft wie die herausragende Kurzgeschichtensammlung „Die tausend Träume von Stellavista“ („Vermilion Sands“, 1971). Doch Ballard erwies sich auch als engagierter Kritiker gesellschaftlicher Fehlentwicklungen, dem die Grenzen des Science-Fiction-Genres spätestens mit Erscheinen seines Romans „Crash“ (1973) zu eng wurden. In England wird er schon lange zu den wichtigsten Autoren seiner Generation gezählt. Nun ermöglichen zwei Bücher des Kanadiers Rick McGrath erstmals einen reich bebilderten Blick in Ballards Leben und Werk.

McGrath lebt in Toronto und betreibt dort eine Ballard gewidmete Internetseite. Mit „The JG Ballard Book“ und „Deep Ends – The JG Ballard Anthology 2014“ veröffentlichte er in seinem Kleinverlag The Terminal Press zwei attraktiv gestaltete Materialsammlungen, die neben Bildern und Faksimiles vor allem Interviews und Artikel beinhalten. So stellt Mike Holliday ausführlich die Publikationsgeschichte von „The Atrocity Exhibition“ vor, jener legendären Sammlung experimenteller Kurzprosa, mit der sich Ballard in eine Riege mit William S. Burroughs katapultierte; in dem Beitrag werden zahlreiche zeitgenössischen Zeitschriften- und Buchcover reproduziert – darunter auch die Welterstausgabe, die kurioserweise 1969 in Dänemark erschien (die deutsche Übersetzung von Carl Weissner ist unter dem Titel „Liebe und Napalm“ im Minerva Verlag lieferbar). Mike Bonsall hingegen beschäftigt sich mit Ballards Medizinstudium, während Rick McGrath ausführlich jenem Shanghai nachgeht, das in dem (von Steven Spielberg verfilmten) Roman „Im Reich der Sonne“ („Empire of the Sun“, 1984) beschrieben wurde.

„Deep Ends“ folgt demselben Konzept und enthält unter anderem Dokumente aus Ballards Jugend in Cambridge. Besonders erwähnenswert sind Beiträge von den Töchtern des Schriftstellers: Beatrice beschreibt das Familienleben nach dem frühen Tod der Mutter („My father did not care about bourgeois concerns such as keeping the house tidy“) und geht auf Ballards Beschäftigung mit den Massenmedien ein: „He was fascinated by reality television and predicted programmes like Big Brother long before they hit the air.“ Fay – die unterdessen selbst Künstlerin geworden ist – erzählt von Begegnungen mit Michael Moorcock und räumt mit einigen Mythen über ihren Vater auf – wie etwa dem, dass Ballard vierzig Jahre lang auf einem Feldbett geschlafen habe: „What a bizarre idea.“ Doch es gibt in „Deep Ends“ auch den unbekannten Ballard-Text „Crystal of the Sea“ aus einem entlegenen japanischen Fotokunstbuch zu lesen, der sich als poetische Reflexion des Meeresgrundes beschreiben lässt: „On the sea-floor all becomes possible, reverie and reality meet with no preconceptions.“ Und weiter: „A threatening fauna has sprung from the transient domain, from the wrinkled forehead of this sleeping giant. Are these strange creatures extensions of ourselves as we will be in the future, our never-to-be realized identities deformed by the immense passage of unused time?“

J. G. Ballard ist außerhalb Deutschlands kein Nischenautor, sondern eine etablierte Größe. Sein Gesamtwerk wird in der englischsprachigen Welt beständig nachgedruckt, und speziell in Frankreich erscheinen fortlaufend Übersetzungen. Hierzulande sind Bücher von Ballard – darunter auch seine Autobiographie „Wunder des Lebens“ („Miracles of Life“, 2008) – derzeit fast nur noch in der Edition Phantasia erhältlich, nachdem die bei Heyne vorgelegten Erzählungsbände „Die Stimmen der Zeit“ sowie „Vom Leben und Tod Gottes“ vergriffen sind. Ob sich an dieser Situation durch die in Arbeit befindliche Verfilmung des Romans „High Rise“ (1975; dt. „Der Block“ bzw. „Hochhaus“) etwas ändern wird, muss offen bleiben. Wer sich für das Werk des Briten interessiert, findet bis dahin in den Bänden von Rick McGrath jede Menge Anregungen und Informationen. Dafür darf man durchaus dankbar sein.

 

The JG Ballard Book • Hrsg. von Rick McGrath • The Terminal Press 2013 • 192 Seiten • $ 24,99 (Pb) / $ 32,99 (HC)

Deep Ends – The JG Ballard Anthology 2014 • Hrsg. von Rick McGrath • The Terminal Press 2014 • 200 Seiten • $ 24,99 (Pb) / $ 29,99 (HC)

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.