20. Juli 2015 1 Likes

Zelluloid-Blutsauger in der Bleiwüste

Augusto Cruz’ Roman „Um Mitternacht“

Lesezeit: 3 min.

Der 1971 geborene Augusto Cruz stammt aus dem mexikanischen Tampico, lernte in Los Angeles das szenische Schreiben und ließ sich via Fernstudium zum Privatschnüffler ausbilden. Heute betreibt er mit seinem Bruder in ihrer Heimatstadt eine Bäckerei. Bei „Um Mitternacht“, das in der Übersetzung von Christian Hansen im Suhrkamp Verlag als hübsches Hardcover und als E-Book erschienen ist, handelt es sich um sein Romandebüt.

In diesem schickt Cruz seinen Ich-Erzähler Scott McKenzie im Auftrag des legendären Science-Fiction-Botschafters und Filmkuriositäten-Sammlers Forrest J Ackerman los, um die letzte Kopie von Tod Brownings Vampir-Stummfilm-Klassiker Um Mitternacht aufzuspüren, da Ackerman den Film vor seinem nahen Ableben unbedingt noch einmal sehen möchte (gar nicht so weit hergeholt: Wie aktuell der Diebstahl des Schädels von Nosferatu-Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau zeigt, haben die schaurigen Klassiker bis heute eine große Anziehungskraft). So beginnt für McKenzie, der sich als äußerst fähiger Ermittler beim FBI verdient gemacht hat und bis zum Schluss sogar Privatsekretär des ersten FBI-Direktors Edgar Hoover war, eine Irrfahrt, die ihn in Manier einer klassischen Hardboiled-Schnitzeljagd durch die Vereinigten Staaten und durch Mexiko führt. Schließlich wird McKenzie klar, dass schon andere den berüchtigten Film suchten und dafür einen hohen Preis zahlten – und dass seine Bemühungen ebenfalls nicht unbemerkt geblieben sind. Und mit seinem Gegner, der absolut skrupellos ist und über unbegrenzte Mittel verfügt, ist definitiv nicht zu Spaßen …

Der inmitten seiner geschrumpften Kollektion aus Aliens und Monstern verwelkende Ackerman, kurze Gastauftritte bzw. Nennungen von z. B. Ray Bradbury oder Robert Bloch, der amerikanische Vampir-Experte David J. Skal als wichtige Nebenfigur, die Geschichte des Stummfilms und seiner bekannten und seiner vergessenen Darsteller, des Federal Bureau of Investigation und des frühen Hollywood-Kinos  – an diesen Fronten macht Augusto Cruz’ „Um Mitternacht“, das im spanischsprachigen Original als „Londres después de medianoche“ veröffentlicht wurde, viel Freude, insofern man sich für mindestens eine der Disziplinen begeistern kann.

Leider verliert sich Cruz schon nach dem ersten Drittel in seinen Ideen, verirren sich der Mexikaner, sein Protagonist und der Leser unterwegs immer mehr – selbst das Kennedy-Attentat wird plötzlich am Rande zum Thema. Immerhin, Cruz fängt das oft noch durch atmosphärische Beschreibungen und kuriose Hardboiled-Detektiv-Momente in ungewöhnlichen Umgebungen ein, und auch sein in die Handlung eingewebtes Hoover-Portrait hat einen gewissen Reiz. Viel problematischer ist da schon die Formatierung seines Erstlings, in dem die Dialoge meist einfach ohne Absätze und sonstige Kennzeichnung in den Erzähltext integriert sind – das ist auf Dauer äußerst anstrengend. Anführungszeichen oder zumindest ein paar Absätze mehr hätten dem Ganzen keineswegs geschadet. So wird die Jagd auf die stummen Zelluloid-Vampire zur Blocksatz-Odyssee durch die Bleiwüste.

„Um Mitternacht“ ist ohne Zweifel ein interessantes Buch, das Hollywood-, Genre- und Hardboiled-Fans besonders in der ersten Hälfte öfters ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern vermag und immer dann am stärksten ist, wenn Cruz sich auf die Hommage verlegt und sinngemäß vor der kulturellen Vergangenheit verneigt. Allerdings ist die Durchquerung seiner trockenen Bleiwüste ab einem gewissen Punkt ein ordentliches Stück Arbeit, für das man im weiteren Verlauf des Romans nur noch bedingt belohnt wird.

Augusto Cruz: Um Mitternacht • Suhrkamp, Berlin 2015 • 392 Seiten • € 22,95

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