3. August 2015 3 Likes 4

Erinnerungen an die Zukunft

Wie ich mich einst durch den August träumte

Lesezeit: 3 min.

Die Sommer meiner Kindheit sind rot, grün, blau, überall summt und flirrt es hell, der Wind bauscht Segel am Horizont, es riecht nach Rauch und Sternschnuppen, in den Sommern meiner Kindheit fahren wir im August die Berge hoch, und immer wenn wir oben ankommen, kocht das Kühlwasser über, wir sehnen uns nach Pfefferminzeis, bis es endlich weitergeht, zum Meer hinunter, aber ich bin schon an einem Meer, auf einem Meeresplaneten, mit einem Kolonistenraumschiff bin ich dort gelandet, erschöpft und mit klopfendem Herzen, auf diesem Planeten denken die Pflanzen rätselhafte Gedanken, und als die Kolonisten mit den Pflanzen zu sprechen beginnen, hält das Auto, wir schlagen unsere Zelte in der Nähe des Strandes auf, rennen zum Wasser, die Haut wird schon rot, ich lege mich in den Schatten, bin wieder in der anderen Wasserwelt, wo die Pflanzen schlauer sind, als wir jemals sein werden, der Tag geht zu Ende, das Buch ist ausgelesen, ich blicke in die rote, grüne, blaue Ferne und weiß nicht, auf welchem Planeten ich gerade bin, aber es dauert ja leider nie lang, bis man wieder weiß, auf welchem Planeten man ist, wir essen zu Abend, der Himmel ist erst dunkelgrau, dann graudunkel, Kerzen brennen und blitzen, Katzen schnurren vorbei, es duftet nach Rosmarin und feuchtem Sand, ich beginne ein neues Buch, ich bin im Inneren einer unendlich großen Maschine und ziehe Neonspuren über den schwarzen Himmel, Agenten sind mir auf den Fersen, aber ich bin ihnen immer um einen Schritt voraus, solange bis ich einschlafe und Neonträume träume, dann springt die Sonne wieder hoch und ich lese weiter, ich lese den ganzen Tag lang, diesen Tag mit seiner ausgebleichten Luft und seinen Kinderrufen und seinem Hundegebell und seinen alten Männern auf dem Dorfplatz, die uns winken, während wir Pfefferminzeis kaufen, in der Neonwelt winkt mir eine wunderschöne Frau mit Spiegelaugen, ganz weit weg ist sie, ich bin unterwegs zu ihr, die Frauen hier sind übrigens auch wunderschön, aber ich bin ja noch ein Kind, und viel zu schnell ist das Buch zu Ende, das nächste liegt schon auf der Kleidertasche, jetzt lese ich bis tief in die Nacht hinein, bis alle, wirklich alle, schlafen und Geister zwischen den Zelten umher streichen, ich sehe die Geister durch die Worte hindurch, durch die düsteren, nebelverhangenen Worte dieser Zukunft, ich fürchte mich ein wenig, denn die Geister sind Menschen und die Menschen sind Geister, und ziehe den Schlafsack höher, aber ich kann nicht aufhören zu lesen, ich höre auch nicht auf, obwohl ich irgendwann tief und fest schlafe, als Kind schläft man immer tief und fest, als Erwachsener dann nicht mehr, als Erwachsener ist man auch nicht mehr in so einer Zukunft, einer Zukunft, die neonleuchtet und Planeten mit Wasser bedeckt und Geister zu Menschen macht, als Erwachsener denkt man nur noch an die Zukunft und erinnert sich an längst verwehte Sommer voller Kolonistenschiffe und Frauen mit Spiegelaugen, Sommer voller Bücher und Träume – das sind die Sommer meiner Kindheit, und gestern bin ich im hellen Flirren und Summen des Augusts an einem Kind mit einem Buch in der Hand vorbeigegangen und habe leise geseufzt, ein rotes, grünes, blaues Seufzen.

 

Sascha Mamczaks Buch „Die Zukunft – Eine Einführung“ ist im Shop erhältlich. Alle Kolumnen von Sascha Mamczak finden Sie hier.

Kommentare

Bild des Benutzers Horusauge

Melancholisch, Sascha? Auch für uns ältere hat der Sommer noch fantastische Abenteuer im Gepäck :) mein kürzlicher Ausflug hat mit einem Schloss in den Sternen zu tun. Man muss sich nur Zeit dafür nehmen.

Bild des Benutzers Shrike

Horusauge hat recht Sascha!
Wenn man es einmal kann, so wie in Deiner Kindheit, dann verlernt man es nicht. Ist wie Radlfahren. Nur Zeit muss man sich dazu nehmen (stehlen halt). Aber auch das lässt sich lernen.

Bild des Benutzers Tina Vogl

Welch wunderschöne Erinnerung!

Bild des Benutzers Der Sergeant

August 1972: Im sonnigen Malcesine mit Erich Dolezal und Kurt Röschl voll absorbiert auf dem urzeitlich-unwirtlichen Mars unterwegs.
August 2005: Wenig Augen fürs schöne Fuerteventura, da stark in das Leiden des unglücklichen Cyborgs Angus Thermopyle und den Deal mit den Amnion involviert.
August 2015: Kruziform und Shrike setzten klare Kontrapunkte zum entspannten Kreta-Sommer.
Bei aller Melancholie und Nostalgie: the sense of wonder never dies!

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