31. August 2015 3 Likes

Riese in der fantastischen Kritik

Kazuo Ishiguros neuer Roman „Der begrabene Riese“

Lesezeit: 2 min.

Vor zehn Jahren veröffentlichte der 1954 in Japan geborene, seit seinem vierten Lebensjahr in England lebende Kazuo Ishiguro die dystopische Parabel „Alles, was wir geben mussten“, die für den Arthur C. Clarke Award nominiert, mit dem Booker Prize ausgezeichnet und mit Keira Knightley verfilmt wurde. In seinem neuen Roman „Der begrabene Riese“ entführt Ishiguro nun in ein historisch-fantastisches Britannien des fünften Jahrhunderts: Die Herrschaft der Römer ist vorbei, der alte Ritter Gawain von Artus’ einstiger Tafelrunde reitet noch immer durchs Land, die Britannier und die Sachsen begegnen einander trotz des Friedens weiterhin mit Feindseligkeit, monströse Menschenfresser, Kobolde und eine Drachin sorgen für Angst und Ärger, und alle Menschen kämpfen im Nebel des Vergessens um ihre guten und weniger guten Erinnerungen …

Als „The Buried Giant“ im Original erschienen ist und Ishiguro sich etwas zierte, ihn offensiv als Fantasy zu deklarieren, brachte ihm das prompt einen Rüffel von Fantastik-Grand-Dame Ursula K. Le Guin (im Shop) ein, der so viel vermeintlicher Snobismus überhaupt nicht schmeckte. Ishiguro gab derweil kund, dass er einfach keine Lust auf die Wiederholung einer „Science-Fiction-oder-nicht?“-Debatte hatte, wie sie um „Alles, was wir geben mussten“ geführt worden war – das Setting seines historischen, fantastischen und mythischen Britanniens fühlte sich schlichtweg nach der natürlichen Umgebung an, um hier Ideen wie das kollektive Gedächtnis und das Heilen zweier Völker nach einem Krieg zu erkunden. Dennoch führte die Genre-Frage zu einer hoch interessanten Diskussion zwischen Ishiguro und Neil Gaiman (im Shop), der den Roman seines Kollegen übrigens in höchsten Tönen lobt.

Stellenweise fiel ihre Debatte über Genres, Schubladen, Etiketten und den ganzen Rest sogar spannender aus als „Der begrabene Riese“ selbst. Denn Ishiguros Roman kommt im ersten Viertel nur mühsam in Gang, und auch danach droht er den Leser noch ein paar Mal im Nebel des feinfühligen Anspruchs zu verlieren. Dafür ist der 416 Seiten lange Riese im Leinen-Hardcover und im E-Book exzellent geschrieben – richtig gut erzählt – und offeriert einen zurückhaltenden, leisen, ‚hochliterarischen’ Ansatz, der das Sujet abseits des üblichen Genre-Betriebs durchaus bereichert.

Kazuo Ishiguro: Der begrabene Riese • Blessing, München 2015  • 416 Seiten • € 22,99

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte