11. Oktober 2016 2 Likes

Zurück in die Steinzeit

Mit „Der letzte Stern“ geht Rick Yanceys „Die 5. Welle“-Trilogie fulminant zu Ende

Lesezeit: 4 min.

Stell dir vor, Aliens erobern die Welt und die Menschheit kann bei ihrer eigenen Dezimierung nur tatenlos zuschauen. Ihre auserkorenen Retter? Kinder und Jugendliche. Ihr Feind? Gerissen und manipulativ. Hoffnung? Vollkommen überbewertet. In seiner „Die 5. Welle“-Trilogie nimmt Bestseller-Autor Rick Yancey („Der Monstrumologe“, Bastei Lübbe) seine Leser mit auf eine Tour de Force durch das postapokalyptische Amerika.

Eine Retterin wider Willen wird gleich zu Anfang in „Die 5. Welle“ vorgestellt. Auf der Suche nach ihrem von Soldaten verschleppten Bruder Sam trifft die 16-jährige Cassiopeia „Cassie“ Sullivan an einer Tankstelle auf einen im Sterben liegenden jungen Mann. Nachdem er seine Pistole beiseite gelegt hat, tötet sie ihn dennoch, da sie das Kruzifix in seiner Hand irrtümlich für eine weitere Waffe gehalten hat. Diese Szene wird Cassie nicht nur ihr Leben lang verfolgen, sie ist auch tonangebend für die 1200 Seiten starke Geschichte: friss oder stirb, schieße oder werde erschossen, sei Täter oder werde zum Opfer.

In Yanceys Romanzyklus ist der Mensch einmal mehr des Menschen Wolf geworden. Die wenigen Überlebenden der Apokalypse werden von ihrem Selbsterhaltungstrieb geleitet. Zynismus, Sarkasmus, Pragmatismus, Misstrauen und Angst sind die ständigen Begleiter der jugendlichen Protagonisten, die wie Cassie traumatisiert sind von den Ereignissen, die die Erde und ihre Bewohner unvorbereitet getroffen und die Zivilisation nahezu zerstört haben. Sie haben mit angesehen, wie  die „Anderen“ genannten Außerirdischen, deren Mutterschiff für alle sichtbar am Horizont verweilt, die menschliche Spezies auf ein Minimum reduziert haben. EMP, Tsunamis und Killerviren waren ihre Waffen. Nun setzen sie auf „Silencer“, Außerirdische in humanoiden Gewand, die lautlos töten. Und so lautet die erste Regel in dieser Welt: „Trau niemandem.“

Bevor die fünfte Welle losgetreten wird, möchte Cassie ihren fünfjährigen Bruder wiederfinden. Als die hilfsbereiten Männer und Frauen in Uniform die Kinder aus einer Gruppe Überlebender mitnahmen, töteten sie die Erwachsenen im Anschluss. Im „Camp Haven“ werden sie nun zum Töten gedrillt. Ihren ersten Mord begehen sie, um sich dem letzten Aufgebot der Menschheit würdig zu erweisen. Hier wird Sam in „Nugget“ umgetauft und trifft auf Cassies Higschool-Schwarm Ben „Zombie“ Parish, die humorfreie „Ringer“ (die beiden weiteren Ich-Erzähler des Science-Fiction-Actionspektakels) und eine handvoll weiterer Kinder und Jugendlicher, die zu einer Einheit verschmelzen und demnächst auf Jagd auf scheinbar von Aliens befallenen Menschen geschickt werden. Während Sam eine neue Familie findet, wird Cassie angeschossen und von dem geheimnisvollen Naturburschen Evan Walker gerettet – einem „Anderen“.

Highschool-Schwarm, Alien-Naturbursche und dazwischen ein junges, hübsches Mädchen? Was zunächst wie eine 0815-Dreiecks-Jugendbuchromanze mit Science-Fiction-Elementen klingt, entpuppt sich als ein knallharter postapokalyptischer Thriller. Auch wenn die „USA Today“ den Auftaktband noch als „Twilight time for aliens“ beschrieb und die vielen gut aussehenden Jungschauspieler aus der Verfilmung ähnliches vermuten ließen, ist die Trilogie keine weitere vor Kitsch triefende paranormale Schmonzette.

Natürlich ist „Die 5. Welle“ eine Jugendbuchtrilogie, eine Coming-of-Age-Geschichte im Angesicht von Armageddon. Selbstverständlich gibt es auch Szenen, in denen sich die Figuren näher kommen. Natürlich wird über Liebe und Sex, aber auch über Tod und Glauben philosophiert. Wer Orson Scott Cards „Enders Spiel“ (im Shop) kennt, wird wissen, wie fragil und irreführend die Bezeichnung „Jugendbuch“ oftmals sein kann. Denn was die Helden erleben, ist alles andere als jugendfrei und erbaulich für die heranwachsende Seele. Genauso wie Card schont Yancey seine Protagonisten nicht. Der Tod ist ständig präsent und auf jedes kleine Hoch folgt ein herber Tiefschlag. Eine Verherrlichung der Gewalt findet hingegen nicht statt.

Am Ende sind es doch bloß Mädchen und Jungen, die ihrer Kindheit beraubt und in einem scheinbar aussichtslosen Kampf instrumentalisiert werden. Wenn Kleinkinder als lebende Bomben missbraucht werden, Grundschüler das ABC verlernen, dafür aber Waffen aus dem Effeff bedienen können, oder wenn sich Kameraden für ihre Freunde opfern und auf grauenvolle Art zu Tode kommen (was bei Yancey reichlich geschieht), dann wird das ganze Ausmaß der Katastrophe deutlich. Beim Leser bleibt die bedrückende Gewissheit, dass die Realität die Fiktion auf vielen Ebenen längst überholt hat und dass die Geschichte mehr über die Gegenwart aussagt als einem lieb sein kann.

Was bleibt nach 1200 Seiten übrig? Eine action- und temporeiche, cineastisch erzählte Geschichte über Freundschaft und Zusammenhalt, über Hass und Liebe, über Wut und Größenwahn, über das, was nach dem Weltuntergang zerstört und das, was nach ihm noch übrig bleibt. Wer meint, eine phantastische Trilogie wegen der jungen Protagonisten und dem „Jugendbuch“-Stempel ignorieren zu müssen – oder von der allzu glänzenden Hollywood-Filmadaption abgeschreckt wurde – dem entgeht lesenswerte, knallharte und brutale, aber auch traurig machende Science-Fiction mit über weiten Strecken mitreißenden Figuren und einem gelungenen, überraschenden Ende. Ohne „Twilight“-Allüren. Versprochen.

Rick Yancey: Die 5. Welle-Trilogie („Die 5. Welle“, „Das unendliche Meer“, „Der letzte Stern“) • Aus dem Englischen von Thomas Bauer • Goldmann, München, 2014-2016 •  je 352-496 Seiten • je 16,995 €  • „Die 5. Welle“ ist auch für 9,99 € als Taschenbuch erhältlich.

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