18. Dezember 2016 2 Likes

Geballte Marvel-Frauenpower im Dezember

Jessica Jones und Agent Carter treten reihenweise Arsch

Lesezeit: 7 min.

Wer seine Serien nach wie vor lieber im Schrank stehen hat, kommt diesen Monat voll und ganz auf seine Kosten, denn Walt Disney schaufelt gleich zwei Marvel-Titel in die Läden dieser Republik, die zuvor via Netflix und Pay-TV für Aufmerksamkeit gesorgt haben und nun auf DVD und Blu-ray zu haben sind.

Die Doppel-Auswertung macht Sinn, weil die Titel auch inhaltlich ganz gut zusammenpassen, denn in beiden stehen extra-kernige Power-Frauen im Mittelpunkt.

1. Jessica Jones

 „Jessica Jones“ basiert auf Brian Michael Bendis’ außergewöhnlichen, exzellent gezeichneten, mit knusprigen Dialogen garnierten Noir-Comic „Alias“ und verzichtet auf die klassische Origin-Story, sondern setzt danach an. Die Titelfigur war einst Superheldin Jewel, ihre außergewöhnlichen Kräfte erlangte sie durch einen für ihre Eltern tödlich verlaufenden Unfall, der sie mit radioaktiven Substanzen in Verbindung brachte. Aber ihre Heldinnen-Karriere ging schief: Der aus Kroatien stammende, schurkische, lilahäutige Gedankenkontrolleur Zebediah Killgrave, besser bekannt als „The Purple Man“, entführte Jewel, zwang sie mit ihm zu leben und missbrauchte sie über mehrere Monate.

Erlebnisse dieser Art prägen natürlich sehr und so wurde aus der einst strahlenden, jungen Frau eine barsche Detektivin, die raucht wie ein Schlot, säuft wie ein Loch, flucht wie Matrose und schnelles Glück in One-Night-Stands sucht, sich aber trotzdem ihren moralischen Kompass und einen gewissen - hinter ihrer harten Schale gut verborgenen - Optimismus bewahrt hat.

Bei der TV-Serie handelt es sich interessanterweise nicht um eine direkte Verfilmung des Comics. Unter Federführung von Melissa Rosenberg (unter anderem Drehbuchautorin der „Twilight“-Franchise“) entstand eher eine Art „Jessica Jones“-Alternativversion, die zwar die gleiche Basis nutzt, sich ansonsten aber deutlich unterscheidet. Als Beispiel sei Kilgrave genannt. Nicht nur, dass dessen Name um ein „l“ erleichtert wurde, Kilgrave ist hier nur ein Pseudonym, der Bösewicht heißt mit echten Namen Kevin Thompson, kommt aus England und ist anders als sein gedrucktes Pendant auch nicht mehr lilahäutig (die Farbe lila spiegelt sich dafür aber in seiner Kleidung wieder und gelegentlich leuchten die Macher sein Treiben auch entsprechend aus). Weiterhin ist die TV-Version des Charakters deutlich realistischer, komplexer angelegt und grenzt sich damit auch von den meisten Marvel-Bösewichten ab, denn die Motivation für sein übles Treiben ist im Grunde nur allzu menschlich: Er ist verliebt in Jessica. Und Thompson ist, dank seiner speziellen Kräfte, von klein auf gewohnt alles zu kriegen, was er will, wirklich ALLES!

Im Zuge der Neuausrichtung macht sich bei der TV-Fassung ein leicht emanzipatorischer Unterbau bemerkbar, denn Selbstbestimmung gegenüber männliche Aggressoren (Jessica Jones’ beste Freundin Trish Walker bekommt es weiterhin noch mit Polizist Will Simpson zu tun, einerseits ein charismatischer Womanizer, anderseits unkontrollierbare Mordmaschine) ist eines der großen Themen. Allerdings macht es sich die Serie nicht zu einfach, der oft jugendlich-naiv, fast schon kindlich wirkende Kilgrave ist kein eindimensionaler Täter, sondern ein Opfer der Umstände (wie in einem Rückblick in seine peinvolle Vergangenheit als Versuchsobjekt in einem Labor deutlich wird), dass in seiner Entwicklung stehen geblieben ist, er kennt ganz einfach kein „Nein!“, er sieht sich selbst auch nicht unbedingt als Unheil verursachender Bösewicht und er versteht deswegen auch nicht, dass Jessica nicht die gleichen Gefühle für ihn hegt, wie er für sie. So fasst Kilgrave die damalige, gemeinsame Zeit mit Jessica als romantisches Beisammensein auf, er war sich der Gewalt, die von ihm ausging, gar nicht bewusst, für sein Opfer war es schlicht Missbrauch. Diese sehr ambivalente Mischung aus verliebter Teenager und brandgefährlicher, brutaler Psychopath sorgt – ähnlich wie beim grandiosen Wilson-Fisk-Portrait in der „Daredevil“-Serie von 2015 – für ein Wechselbad der Gefühle und man ertappt sich durchaus dann und wann dabei, dass man trotz allem ein bisschen mit ihm mitleidet – auch weil Jones’ Methoden manchmal ganz schön fragwürdig sind, in einer der eindringlichsten Folgen wird Kilgrave in einer hermetisch abgedichteten Zelle mit Elektroschocks gefoltert. Guantanamo lässt grüßen!

Die Macher haben es jedenfalls sehr gut verstanden aus einem außergewöhnlichen Comic eine außergewöhnliche Fernsehserie herauszuschälen, dennoch zieht die TV-Adaption den kürzeren, wenn auch nur leicht, denn während Bendis’ Fassung es schafft auch über lange Distanz dank durch die Bank weg gelungenen Einzelgeschichten die Aufmerksamkeit hoch zu halten und anhand von geschickt gestreuten Details und Querverweisen einen eigenen Kosmos zu etablieren, leidet die Bildschirm-Variante an zwei Schwachpunkten: Der Konflikt Jones versus Kilgrave ist nach ungefähr zehn Folgen der insgesamt 13 Folgen auserzählt, der letzte Abschnitt dreht sich zu sehr um die eigene Achse, es gibt keine neuen Aspekte mehr, es dreht sich tatsächlich nur noch um (gute) Jones versus (böser) Kilgrave. Weiterhin fühlt sich das Universum der Serie seltsam leer an, während im Comic am Rande immer wieder kurz Superhelden-Kollegen vorbeischauen, was auch mit Jones’ Vergangenheit im Einklang steht, wodurch perfekt ein Gefühl für die große Welt, in der wir uns befinden, vermittelt wird, laufen die „Mutanten“ in der Fernsehserie in einem relativ konventionellen Noir-Setting rum (Jones’ Vergangenheit wird auch so gut wie gar nicht erwähnt), die gefilmte Welt wirkt deutlich kleiner als die gezeichnete.

Dennoch: „Jessica Jones“ bietet eine willkommene, smarte Abwechslung im Superhelden-Zirkus, der einzige Wehrmutstropfen ist, dass momentan zwar fest steht, dass es weitergeht, aber noch unklar ist, wann. Schön aber die Idee, dass Staffel 2 komplett von Frauen gedreht wird.

2. Agent Carter

„Agent Carter“ basiert nicht auf einen Comic, sondern auf einen Beitrag zu einer Reihe von Kurzfilmen, die so genannten „Marvel One-Shots“, die zwischen 2011 und 2014 gedreht wurden, um das „Marvel Cinematic Universe“ noch etwas zu vertiefen. Wobei die Aussage nicht so ganz richtig ist, die Figur der Peggy Carter wurde genauer genommen schon 1966 entwickelt, aber lediglich als ab und zu auftauchender Nebencharakter in „Captain America“-Comics, der, trotz leicht progressiverer Schilderung als zu der damaligen Zeit üblich, über einen love interest, nie wirklich hinaus kam und es auch nie zu einer eigenen Reihe brachte.

Die heutige - von Hayley Atwell treffend und auf den Punkt gespielte - Peggy Carter unterscheidet sich jedenfalls deutlich von der gezeichneten Vorlage, denn die Herzensdame von Captain America ist hier eine kluge, selbstständige, knallharte Powerfrau, die ihren Ritter durchaus vermisst, aber auch bestens ohne ihn kann. Die TV-Serie spielt ein Jahr nach „Captain America: The First Avenger“ (2011), Red Skull wurde besiegt, die Agenten des SSR sind wieder aus Übersee zurückgekehrt und haben ihre alten Posten übernommen, Carter muss sich nun in einer durch und durch sexistischen Männerwelt behaupten, die ihr nur einfachste Büroarbeiten zutraut. Doch eines Tages taucht Howard Stark wieder auf: Der schwerreiche Erfinder steckt in der Klemme, denn Unbekannte haben geheime und vor allem extrem gefährliche Erfindungen geklaut, die er eigentlich gar nicht freigeben wollte. Die US-Regierung und das SSR verdächtigen Stark des Hochverrats, weswegen dieser abtaucht und Carter bittet die Täter ausfindig zu machen um das Diebesgut zurückzuholen, Hilfe kriegt sie dabei von Starks Butler Edwin Jarwis. 

Tja, und arg viel mehr passiert an sich auch nicht. „Agent Carter“ wurde in den USA jeweils in der Winterpause der zweiten und der dritten Staffel von „Marvel’s Agents Of S.H.I.E.L.D.“ ausgestrahlt und ein wenig füllt sich die Serie auch wie ein Lückenbüßer an, was anfangs gar nicht mal so auffällt: Die 1940er-Jahre-Ausstattung ist gelungen, die Dialoge scharfkantig und die Darsteller toll (außer Atwell sticht besonders James D’Arcy als steifer, aber durchaus humorvoller Butler Edwin James hervor, der mit seinem Aussehen und seiner Art zu spielen verblüffend an Benedict Cumberbatch erinnert). Irgendwann wähnt man sich dann aber im Fernsehen der 1980er-Jahre, denn auch wenn serielles Erzählen angesagt ist, ähneln sich die Folgen doch ziemlich, so muss ständig, unterbrochen von kurzen Scharmützeln, irgendwas gesucht werden, was schnell Redundanz zur Folge hat. Wenig hilfreich ist da auch, dass die Figuren fortwährend auf der Stelle treten, Charakterentwicklung gibt es kaum, was bald zur Belastungsprobe wird: So schön der deutlich feministische Ton der Serie auch ist: Schnell hat man begriffen, dass Peggy Carter eine den Männern absolut ebenbürtige Frau ist, da braucht es keine weiteren 456 Hinweise. Wie unterentwickelt die Serie geschrieben ist, wird auch daran deutlich, dass man zum Ende hin eine gewichtige, bis dato als knurriger Unsympath präsentierte, Figur relativ tränenreich abserviert, aber gerade mal ein paar Minuten vorher noch etwas persönlichen Background (Job hat das Familienleben ruiniert) dazwischen schiebt, was natürlich lange nicht zur emotionalen Verankerung reicht - sprich: der hier so dramatisch präsentierte Tod lässt den Ofen ganz schön kalt.

Natürlich, nicht jede (Marvel-)Serie muss irre komplex und schwer gewichtig sein, aber etwas mehr Mühe hätte man sich schon geben dürfen, erst neulich haben die „Killjoys“ bewiesen, dass sich Spaß und gut ausgearbeitete Drehbücher mit einem Minimum an Tiefe nicht zwangsläufig ausschließen müssen. Wenig hilfreich ist auch der Umstand, dass „Agent Carter“ ebenso auf der formalen Seite nicht unbedingt punkten kann: Die Regie malt nach Zahlen und wacht nur selten aus dem Tiefschlaf auf, kein Vergleich zu Beinahe-Kunstwerken wie „Luke Cage“ aus demselben Haus.

Trotzdem: Als schneller (die einzelnen Folgen dauern auch gerade mal je 40 Minuten), pulpiger Zeitverschwender für Zwischendurch geht „Agent Carter“ durchaus ok, es stellt sich nur die Frage, wer bei dem heutigen Serien-Überangebot für schnelle, pulpige Zeitverschwender überhaupt noch Zeit hat.

„Jessica Jones – Die komplette erste Staffel“ und „Agent Carter – Die komplette Serie“ sind seit dem 08.12.2016 von Walt Disney erhältlich. Abb © Marvel & ABC Studios.

Jessica Jones – Die komplette erste Staffel (USA 2015) • Regie: diverse • Darsteller: Krysten Ritter, Rachael Taylor, Eka Darville, David Tennant, Carrie Anne Moss, Wil Traval, Susie Abromeit

Agent Carter – Die komplette Serie (USA 2015/2016) • Regie: diverse • Darsteller: Hayley Atwell, James D’Arcy, Enver Gjokaj, Chad Michael Murray, Wynn Everett, Reggie Austin

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.