Endzeit ohne Mutterschutz
Louise Erdrichs Roman „Der Gott am Ende der Straße“
Louise Erdrich wurde 1954 als Tochter eines Deutsch-Amerikaners und einer Ojibwe in Minneapolis geboren. Ihre indigenen Wurzeln durchziehen und prägen ihre schriftstellerischen Werke, die sich obendrein durch viel erzählerische Klasse auszeichnen. Nicht umsonst wurde Erdrich bereits mit dem World Fantasy Award, dem National Book Award und dem PEN/Saul Bellow Award for Achievement in American Fiction ausgezeichnet. Außerdem erhielt sie seine Nominierung für den Pulitzerpreis und gilt seit Längerem als überfällige Anwärterin auf den Nobelpreis für Literatur. Nun ist ihr endzeitlicher Roman „Future Home of the Living God“ als „Der Gott am Ende der Straße“ in der Übersetzung von Gesine Schröder bei Aufbau auf Deutsch erschienen.
Erzählt wir der Roman aus Sicht der Nativen Cedar Hawk Songmaker, die ihrem ungeborenen Kind schreibt – ihr „Brief“ in Buchlänge ist Schwangerschaftsjournal und Chronik des Wandels in einem. Cedar wuchs in einer nahen Zukunft bei hyperliberalen, gut betuchten Adoptiveltern auf und ging auf die Waldorfschule. Mit Mitte Zwanzig ist Cedar schwanger, außerdem konvertiert sie zum Katholizismus und sucht im Reservat erstmals ihre leibliche Mutter auf. Doch eigentlich sollte sich Cedar ganz andere Sorgen machen. Denn die Welt, in der es bereits keinen Winter mehr gibt, verändert sich gerade drastisch. Sorge und Panik nehmen spürbar zu angesichts der Beobachtung, dass sich die Evolution von Menschen, Tieren und Pflanzen umzukehren scheint. Schließlich kippt die bisherige Ordnung. Mehr noch, auf einmal geraten Schwangere ins Visier des Staates und wenig später von Milizen und Denunzianten, da jede werdende Mutter sich per Gesetz stellen muss oder verhaftet wird. Denn wer weiß, welcher Evolutionslinie und Entwicklungsrichtung ihr Neugeborenes folgen wird … ?
Dadurch, dass der deutsche Titel von Louise Erdrichs Roman einen sofort an Cormac McCarthys postapokalyptisches Meisterwerk „Die Straße“ denken lässt, erwartet man eine finstere, spröde Story von ähnlicher Machart, die immer weiter in die Dunkelheit nach dem Untergang führt. Doch Erdrich, Margaret Atwood letztlich wesentlich näher als McCarthy, erzählt eine Endzeitgeschichte voller Wärme, Witz und Gefühl, über eine junge Frau, ihre Familie und eine Welt voller Fragen. Natürlich herrschen Verunsicherung und Verzweiflung und gibt es Ungewissheit, Düsternis, Furcht, Verrat und Gewalt, aber eben vor allem eines: Hoffnung und viele Arten von Verbundenheit. So wird der sprachlich bestechende Roman, dessen erste Passagen direkt nach dem Jahrtausendwechsel entstanden, zu einer interessanten Endzeit-Variation, mit Schwerpunkten auf Menschlichkeit sowie dem Mutterwerden und Muttersein. Als Science-Fiction-Fan hätte man trotzdem gern mehr von der Devolution und den Umwälzungen gesehen – der Säbelzahntiger im Garten hinter dem Haus ist in der Hinsicht fast schon ein einsamer Höhepunkt. Das Ende, mit Tunnelblick von und auf Cedar, unterstreicht die Nachteile des sehr persönlichen und egozentrischen Blickpunktes.
Man weiß nie, ob es gut ausgeht, wenn sich Hochliteratur und Genre – denken Sie sich die Anführungszeichen einfach – treffen. Louise Erdrich gelingt in „Der Gott am Ende der Straße“ nicht alles, doch reicht es für einen angenehm divergenten, stilistisch hochwertigen Endzeitroman mit anderen Schwerpunkten als üblich.
Louise Erdrich: Der Gott am Ende der Straße • Aufbau, Berlin 2019 • 360 Seiten • Hardcover: 22 Euro
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