23. Februar 2021 2 Likes

„Der lange Nachmittag der Erde“ von Brian W. Aldiss

Klassisches SF-Abenteuer im postapokalyptischen Treibhaus der Welt

Lesezeit: 3 min.

Der Engländer Brian W. Aldiss (1925–2017) (im Shop) war eine einflussreiche Größe der britischen New Wave-Bewegung innerhalb des Science-Fiction-Genres – ein Könner, Kenner und Neuerer. Im ersten Abschnitt seiner Karriere, in der das goldene Zeitalter der amerikanischen SF noch einen erheblicher Einfluss darstellte, veröffentlichte Aldiss zwischen Februar und Dezember 1961 auf dem US-Markt fünf Erzählungen im renommierten „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“. Im Folgejahr gab es kollektiv für diese zusammenhängenden Kurzgeschichten den Hugo Award in der Kategorie beste Short Fiction, außerdem erschien eine Buchausgabe unter dem Titel der ersten Story, „Hothouse“, also Treibhaus – in den Staaten hatte man allerdings Sorge, ein dergestalt benanntes Buch würde in der Sachbuchabteilung landen, weshalb man es lieber „The Long Afternoon of Earth“ betitelte. Auf Deutsch kennt man den Roman als „Am Vorabend der Ewigkeit“ (1979 erstmals von „Perry Rhodan“-Miterfinder Walter Ernsting übersetzt), später nutze man dann das sehr poetische Zitat des US-Titels „Der lange Nachmittag der Erde“ (ab 1986, übertragen von Reinhard Heinz). Nach teilweise stark gekürzten deutschsprachigen Ausgaben liegt bei Heyne innerhalb der „Meisterwerke der Science-Fiction“-Reihe nun eine vollständige Neuübersetzung durch Frank Böhmert vor (im Shop), die durch ein schwärmerisches Vorwort von Superstar Neil Gaiman (im Shop) und ein Nachwort von Aldiss selbst eingerahmt wird.

„Der lange Nachmittag der Erde“ setzt in der fernen Zukunft ein. Die Erde dreht sich nicht mehr, weshalb eine Hälfte des blauen Planeten zur permanent sonnenbestrahlten grünen Hölle geworden ist. Alles ist eine biologische Mega-City, ein kolossaler Baum und Urwald. Säugetiere sind so gut wie ausgestorben, Pflanzen und Pflanzenmonster haben die erneuerte Welt erobert, es heißt: wachsen, wuchern, fressen oder gefressen werden. Die letzten Menschen, die mittlerweile selbst grüne Haut haben, in primitiven Stämmen mit mehr Frauen als Männern leben und sich nicht mehr an die vor Millionen von Jahren untergegangene Zivilisation erinnern, bibbern wie Däumlinge inmitten der mörderischen Gewächse und des monströsen Grünzeugs. Zudem gibt es riesige, hungrige Insekten oder gar Wesen, die gern eine Symbiose mit einem Menschen eingehen würden. Beim Lesen merkt man schnell, wie viel Spaß es Brian Aldiss bereitet haben muss, sein Treibhaus der Zukunft mit grünen Schrecken für seine Protagonisten zu bevölkern. Trotz dieser genre-klassischen Komponente hatte Aldiss aber auch Sinn für große, wundersame Ideen in seiner postapokalyptischen Science-Fantasy: Allen voran die gewaltigen Spinnenastronauten, die Erde und Mond mit ihren Netzen verbunden haben und zwischen den verwandelten Planeten reisen …

Brian Aldiss’ Treibhaus nach dem Untergang ordnet sich irgendwo zwischen Philip José Farmer (das Abenteuer) und J. G. Ballard (das Grün) ein. Es ist jedoch nicht das ‚altmodische’ Science-Fantasy-Abenteuer in den zum Roman zusammengewachsenen Episoden, aufgrund dessen „Der lange Nachmittag der Erde“ Klassikerstatus genießt – es ist das Setting. Mehr als 60 Jahre sind seit der ursprünglichen Publikation dieser Geschichte vergangen – 60 Jahre, in denen der Treibhauseffekt und der Klimawandel immer größere Schlagworte sowie Präsenzen unserer Wirklichkeit und Gegenwart wurden. In deren Schatten erscheint es umso reizvoller, eine grüne Postapokalypse zu besuchen, in der keine Wüsten vorherrschen, nicht um die letzten Rohstoffe oder gegen Zombies und Roboter gekämpft wird, sondern die Erde die Menschheit evolutionär einfach überwuchert hat.

Brian W. Aldiss: Der lange Nachmittag der Erde Roman • Aus dem Englischen von Frank Böhmert • Heyne, 2021 • 432 Seiten • Als Taschenbuch, E-Book und Audio-Download erhältlich • Preis des E-Books: € 9,99 im Shop

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