Der Meister ermittelt
„Der Outsider“: Ein Stephen-King-Krimi, der in die Twilight Zone führt
Stephen Kings (im Shop) neuer Roman „Der Outsider“ ist ein King für alle Fälle: King-Krimi und King-Horror in einem; eigenständig und doch mit einer seiner aktuell besten und beliebtesten Serien verknüpft, die kürzlich fürs Fernsehen adaptiert wurde; und eine packende Lektüre für langjährige Fans, Gelegenheitsleser, einst vom Glauben abgefallene Rückkehrer mit Sehnsucht oder Reue, und für Neulinge in Mr. Kings creepy Kosmos.
Das Buch beginnt damit, dass Terry Maitland, Englischlehrer und beliebter Trainer der Jugend-Baseball-Mannschaft von Flint City, während eines Spiels wegen der brutalen Vergewaltigung und Ermordung eines Jungen verhaftet wird. Das reißt logischerweise gleich mehrere Familien der Kleinstadt ins bodenlose Unglück. Auch deshalb, weil die Ermittler um Detective Ralph Anderson mehr als genug Augenzeugenberichte und forensische Beweise beisammen haben, um Terry festzunageln. Verhandlung und Verurteilung scheinen nur noch Formsache. Doch trotz DNA-Spuren und anderem, beteuert Terry seine Unschuld. Mehr noch, der Familienvater hat angeblich ein Alibi, mit dessen Hilfe er belegen kann, zur Tatzeit ganz woanders gewesen zu sein. Die Preisfrage lautet: Wie kann ein Mann an zwei Orten gleichzeitig sein – und an einem wie eine Bestie über ein Kind herfallen? Die Antwort sorgt für noch mehr Leid und Finsternis in den Leben aller Beteiligten …
Es wäre ein bisschen lächerlich, an dieser Stelle voller Ernsthaftigkeit darauf hinzuweisen, dass Stephen King bei allem Mainstream-Erfolg einfach ein verflucht guter Autor ist, der im Alter – Ende September feiert der amerikanische Bestsellerlisten-König seinen 71. Geburtstag – nur noch besser wird. Das sollte hinlänglich bekannt sein. Die drastischen Momente und Beschreibungen in „Der Outsider“ beweisen zudem, dass King in diesem Abschnitt seiner unglaublichen Schriftstellerkarriere noch immer den schweren Vorschlaghammer schwingen kann, womöglich sogar treffsicherer denn je. Und nicht nur das. Die Dinge, die King am vorverurteilenden, sensationsgeilen, blindwütigen Amerika seines Twitter-Feindes Donald Trump so verabscheut, zeigt der Ausnahmeautor nämlich entweder beiläufig im Hintergrund, oder er leuchtet sie so grell im Vordergrund aus, dass man sie mit zusammengekniffenen Augen fast übersehen könnte.
Ansonsten schreibt der ungebrochen erfolgreiche King ungebrochen dicke Bücher, die schon ein bisschen abschreckend wirken können. Zum Glück ist „The Outsider“ trotz der Rolle von Holly Gibney aus der „Mr. Mercedes“-Trilogie mal wieder ein Einzelroman, und zum Glück lesen sich 200 Seiten von Kings vollendet zweckmäßiger Prosa wie 50 Seiten von weit weniger begabten oder erfahrenen Autoren. Wie eingangs zu Protokoll gegeben, werden nicht nur King-Enthusiasten den neuen Roman ihres Lieblingsautors mühelos kleinkriegen, während der Meister der Spannungsliteratur zunächst einen modernen forensischen Polizei-Krimi inszeniert, ohne die Verweise auf Edgar Allan Poes Doppelgänger-Geschichte oder auf Sherlock Holmes’ Maxime über das Unmögliche zu vergessen (ganz nebenbei klassifiziert er zudem Kubricks „Shining“-Verfilmung). So führt King souverän durch einen hässlichen Fall, bis irgendwann in King-typischer Manier aus dem Krimi nach und nach einen Horror-Thriller wird, der direkt aus der übernatürlichen „Twilight Zone“ zu stammen scheint, wo sich Science-Fiction und das übernatürliche Grauen treffen. Letztlich läuft es auf grundsoliden King-Horror und ein etwas zu klassisches King-Finale hinaus.
Ja, am Ende sind es dann doch ein paar Seiten und außerdem zwei oder drei „Dracula“-Hinweise zu viel, aber wenn 750 Seiten so lange und so gut unterhalten wie „The Outsider“, dann kann man das locker verschmerzen und können es nicht nur King-Insider genießen, mal wieder wie süchtig durch ein Buch des Star-Autors aus Maine zu pflügen.
Stephen King: Der Outsider • Heyne, München 2018 • 753 Seiten • Hardcover: 26,00 Euro
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