„Der mexikanische Fluch“ von Silvia Moreno-Garcia
Ein ebenso klassischer wie moderner und feministischer Schauerroman
Es gibt eine lange zurückreichende Verbindung zwischen dem Schauerroman – der Gothic Novel – und der Science-Fiction. Mary Shelleys „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ (im Shop) wird gemeinhin als der erste moderne Science-Fiction-Roman betrachtet, geht es darin doch um die Erschaffung künstlichen Lebens durch den Menschen. Selbst Bram Stokers „Dracula“ (im Shop) wird gern als Science-Thriller der viktorianischen Entstehungszeit betrachtet. Vom anhaltenden Einfluss eines Grusel-Giganten wie H. P. Lovecraft (im Shop) auf die SF ganz zu schweigen. Die 1981 in Mexiko geborene, inzwischen in Kanada lebende Autorin Silvia Moreno-Garcia (im Shop), bereits mehrfach mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet und als Buch-Kolumnistin für die „Washington Post“ tätig, ist eine weitere, und dabei eine ganz aktuelle Verbindung zwischen dem Schauerroman und der Science-Fiction.
Schließlich veröffentlichte die letztlich in allen fantastischen Genres beheimatete Moreno-Garcia auch schon die Novelle „Prime Meridian“ mit einem Blick von Mexico City auf den Mars, sowie diverse SF-Kurzgeschichten. Außerdem brachte sie die Anthologie „Cthulhu’s Daughters: Stories of Lovecraftian Horror“ heraus, um nur ein Beispiel für ihre Projekte als Editor zu geben. Und natürlich veröffentlichte sie ihren für den Bram Stoker Award nominierten, mit dem amerikanischen Locus Award, dem französischen Aurora Award und dem britischen August Derleth Award ausgezeichneten modernen Schauerroman „Mexican Gothic“, einen internationalen Verkaufsschlager, der nun als „Der mexikanische Fluch“ (im Shop) bei Limes auf Deutsch erschienen ist.
Das Buch setzt in den 1950ern ein, wo die temperamentvolle junge Noemí Taboada aus einer wohlhabenden Familie das Leben in Mexico City genießt: Flirten, Cabrio-Fahren, Rauchen, Shoppen, Feiern, und irgendeines der vielen Themengebiete an der Universität studieren, die ihr nach und nach in den Sinn kommen und sie faszinieren. Dann jedoch ruft sie ihr Vater eines Tages mitten in der Nacht von einer Party nach Hause. Er hat einen beunruhigenden Brief von Noemís Cousine Catalina erhalten, die vor einiger Zeit den englischen Mienenerben Virgil Doyle geheiratet hat und nun mit ihm in einem alten Haus namens High Place auf einem Berg in einem abgelegenen Waldgebiet lebt. Catalinas Brief liest sich, als wäre sie vom Grauen oder gar dem Wahnsinn gepackt.
Also wird Noemí entsendet, um sich vor Ort ein Bild von Catalina zu machen, die bei den Taboadas aufgewachsen ist und für Noemí immer wie eine große Schwester war. Bei ihrer Ankunft in High Place erwarten Noemí ein düsteres, staubiges Gemäuer, reservierte Familienangehörige, ein von Eugenik besessener, kränklicher Patriarch – und eine angeblich von ihrer Krankheit genesene Catalina, der es schon besser geht. Doch nun spürt Noemí selbst den unbehaglichen Einfluss des alten knarzenden Hauses, hört sie Stimmen, hat sie Träume und schlafwandelt sie sogar. Und nun ist sie es, die sich dem Grauen von High Place und der Wahrheit über die Familie Doyle stellen muss …
„Der mexikanische Fluch“ besteht als ein klassisch anmutender Schauerroman, der durch seine starke, unnachgiebige Protagonistin allerdings einen feministischen, einen modernen Touch erhält – geschichtlich und genre-historisch stets korrekt, und doch von einem aktuellen Geist durchdrungen, was Stil und Haltung angeht. Dennoch hat Silvia Moreno-Garcia ihren Roman als atmosphärischen Slow-Burner zum Schwelgen angelegt, dessen Sogwirkung sich über die sprachliche Güte und die klar gezeichneten Figuren früh einstellt. Und während die kanadisch-mexikanische Genre-Versteherin zu Beginn schon sehr deutlich den viktorianischen Vorbildern folgt und einen trotzdem packt und unterhält, braucht sie vor dem Finale im letzten Viertel bloß wenige Seiten, um aus diesem Aufbau plötzlich eine fast etwas pulpige Horrorgeschichte von Lovecraft’scher Fasson zu machen.
Zudem schreit „Der mexikanische Fluch“ quasi geradezu nach einer Adaption durch den Mexikaner Guillermo del Toro (im Shop) – die angekündigte Adaption als Hulu-Serie, die hierzulande dann womöglich direkt auf Disney+ landet, geht als Perspektive aber ebenfalls in Ordnung. Apropos: Im Mai 2023 erscheint Silvia Moreno-Garcias neuestes Werk „Die Tochter des Doktor Moreau“ (im Shop), und da ist der Titel ja praktisch selbsterklärend. Wer die Stimmung und die Story von „Der mexikanische Fluch“ genossen hat, wird sich auf die nächste Annäherung der Bestsellerautorin an Genre-Klassiker freuen.
Silvia Moreno-Garcia: Der mexikanische Fluch • Roman • Aus dem Amerikanischen von Frauke Meier • Limes, München 2022 • 416 Seiten • Erhältlich als Hardcover und eBook • Preis des Hardcovers: € 22,00 • im Shop
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