„Die Sprache der Drachen“ von S. F. Williamson
Voll im Trend, und dabei ein starker Alternativweltroman
Die junge Vivien Featherswallow lebt in einem London des Jahres 1923, das sich von der britischen Hauptstadt in unserer Historie erheblich unterscheidet. Denn in Viviens Welt existieren rund um den Globus Drachen in verschiedenen Formen und Größen – und nach dem großen Krieg mit ihnen, herrscht zum einen ein unbequemer Frieden, und zum anderen ein strenges Klassensystem in England. Vivien und ihre Familie gehören zur mittleren Klasse, wo ein Abstieg wahrscheinlicher ist denn ein Aufstieg. Sie studiert Drachensprachen an der Universität und würde ihre Karriere gerne pushen.
Eines Abends bleibt von ihrem bisherigen Leben dann nur ein Scherben- bzw. Aschehaufen übrig, und plötzlich steckt Vivien mittendrin im Bürgerkrieg zwischen Drachen und Regierung auf der einen Seite und Rebellen und Drachen auf der anderen. Um ihre Familie zu retten, schließt Vivien einen Pakt mit der britischen Premierministerin höchstpersönlich und stellt ihre Fähigkeiten in den Dienst des Militärs, um den geheimen Sonarsprachen-Code der Drachen zu knacken. Vivien trifft aber auch ihre verlorene beste Freundin wieder, lernt einen verwegen charmanten jungen Mann kennen und erfährt einige erschütternde Wahrheiten über ihre Welt …
S. F. Williamson (im Shop) hat Italienisch und Französisch studiert und arbeitet eigentlich als Übersetzerin. Nachdem sie selbst als Autorin bei ihrer Agentur unterschrieben hatte, brauchte es noch vier Jahre und mehrere begonnene, letztlich allesamt verworfene Romanideen in verschiedenen Genres, bis ein Lektor sie in Richtung Young Adult schubste und Williamson so schließlich „Die Sprache der Drachen“ (im Shop) schrieb, nicht zuletzt inspiriert von ihren eigenen Erfahrungen und Überlegungen als Übersetzerin. Da ihr Buch sich damit in der Nähe der aktuellen Weltbestseller von Rebecca F. Kuang („Babel“) und Rebecca Yarros („Fourth Wing“) bewegt und im Grunde noch ein bisschen Suzanne Collins („Die Tribute von Panem“) mitnimmt, haben am Ende zehn Verlage bei Auktionen um Williamsons geschmeidig geschriebenen Erstling gebuhlt. Entsprechend könnte „Die Sprache der Drachen“ zu den Top-Titeln der Saison gehören, obwohl die Konkurrenz selbst in diesen trendigen, luftigen Gefilden drakonisch sein dürfte inzwischen.
Trotzdem: Drachen, Young Adult, farbig gestalteter Buchschnitt, Dark Academia, slow burning Romance bzw. Romantasy – das sind zusammen mit den Bestseller-Bezügen schon eine Menge Buzzwords, die S. F. Williamsons Romanerstling umschwirren, und die je nach literarischer Vorliebe bzw. Bubble ansprechen oder abschrecken können. Williamson bedient die Kategorien auch bereitwillig. Dabei sollte man eines jedoch auf keinen Fall übersehen: „Die Sprache der Drachen“ hat ein wirklich faszinierendes, so fantastisches wie dystopisches SF-Setting – und spielt eine interessante, innovative Drachen-Parallelwelt-Variation durch. Diese Kombination sichert dem Roman ungeachtet des Schlagwort-Schwarms verdient einen Platz zwischen denkwürdigen alternativen Drachenhistorien wie Jo Waltons „Clan der Klauen“, Kelly Barnhills „When Women Were Dragons“ und Marie Brennans „Lady Trends Memoiren“. Womit wir schon wieder ein paar Keywords hinzugefügt hätten …
S. F. Williamson: Die Sprache der Drachen • Roman • Aus dem Amerikanischen von Nina Lieke • Heyne, München 2025 • 512 Seiten • Erhältlich als Hardcover, eBook & Hörbuch-Download • Preis des Hardcovers: 24,00 € • im Shop
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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – 2024 ist bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“ erschienen.
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