17. Juni 2016

Inside Neil Gaiman

Frisch erschienen: „The View from the Cheap Seats. Selected Non-Fiction.“

Lesezeit: 3 min.

Die nächsten paar Absätze könnten mit einer Auflistung all der grandiosen Romane, Kurzgeschichten und Comics gefüllt werden, die Fantastik-Superstar Neil Gaiman (im Shop) in den letzten 30 Jahren verfasst hat. Kürzen wir’s ab – Gaiman ist so gut wie immer lesenswert, und wer in dieser Hinsicht noch völlig unberührt ist (und so viel zu entdecken hat), kann ja mal dem Buchhändler seiner Wahl oder der örtlichen Bücherei einen Besuch abstatten. Würde passen. Denn warum Bibliotheken und Buchläden so toll sind, das erklärt der versierte Mr. Gaiman gleich zu Beginn von „The View from the Cheap Seats“, einem über 500 Seiten starken Sammelband mit ausgewählten Sachtexten des Bestseller-Autors, der gerade auf Englisch erschienen ist. Zur ‚Non-Fiction’ im Buch gehören alle möglichen Reden und Dankesreden, Vorstellungen fantastischer Würdenträger, Vorträge, journalistische Artikel oder Vorworte und Einleitungen zu anderen Büchern, in denen Gaiman über das Schreiben, das Lesen, die Fantastik, das Leben und den ganzen Rest spricht, nicht selten voller Leidenschaft und Inbrunst, die entflammt und mitreißt.

So spricht bzw. schreibt er über C. S. Lewis und Narnia, Tolkien und den Herrn der Ringe, Dave McKean, Terry Pratchett, Gene Wolfe (im Shop), Samuel R. Delany, Fritz Leiber, Alfred Bester, Ray Bradbury und „Fahrenheit 451“ (im Shop), gleich mehrfach über Harlan Ellison (im Shop) und Will Eisner, Cory Doctorow (im Shop), die Nebula Awards und die Familie der SF-Schaffenden, Lord Dunsany, Stephen King (im Shop), Brian Aldiss, Douglas Adams (im Shop), Dyana Wynne Jones, seinen Sandman, Kim Newman, Edgar Allan Poe, H. P. Lovecraft, G. K. Chesterton, Charles Vess, Rudyard Kipling, Frankensteins Braut, H. G. Wells, Alan Moore, Dracula, die Eisner und die Harvey Awards, Musik, Kinderbücher, Genre, Märchen, die Meinungsfreiheit, Bombenwesten auf Preisverleihungen, MirrorMask, die klassische Inkarnation von Doctor Who, den Crash des wie wild spekulierenden Comic-Marktes der 90er, das beruhigte Nachtleben im London der 90er, und ein Flüchtlingslager in Syrien. Den Titel hat die Sammlung indes von Gaimans Bericht über die Oscar-Verleihung von 2010, und obendrein gibt es noch die wunderbare, viel geklickte „Make Good Art“-Motivationsrede, die bisher nur einzeln als von Chip Kidd designtes Büchlein erhältlich war.

Wer sich vor der Lektüre dieses Sammelbandes das Video zur Live-Version von „Make Good Art“ (auf Deutsch also sinngemäß: „Macht gute Kunst“) anschaut und anhört oder schon genug andere Gaiman-Auftritte intus hat, wird beim Lesen von „The View from the Cheap Seats“ oft die Stimme des in den USA lebenden Briten hören, besonders natürlich im Fall von solchen Texten, die ursprünglich für einen Vortrag geschrieben wurden. Doch auch allen anderen Kapiteln im Buch merkt man Gaimans Stil an – und seine gewaltige Liebe zur Literatur, zur Sprache, zu Autoren, zu Geschichten und zum Erzählen von Geschichten. Die grob nach Thema sortierten Sachtexte, die aus den 80ern, den 90ern oder von 2014 stammen können, machen Lust aufs Lesen, aufs Schreiben, und nicht zuletzt auf das Wiedermallesen von z. B. „Fahrenheit 451“ oder „Der unheilige Gral“, und ohne ein zuvor unbekanntes Buch auf der Leseliste geht sicher niemand raus. Zudem will man unbedingt mal wieder „Sandman“ oder ein paar Lieblingsstorys von Gaiman lesen (ich konnte es mir nicht verkneifen und gönnte mir schon während der Durcharbeit von „Cheap Seats“ den Luxus, „Die Messerkönigin“ aus dem Regal zu ziehen, die Geschichte „Schnee, Glas, Apfel“ herauszusuchen und parallel zu dem Artikel zu lesen, in den Gaiman beschreibt, wie er ein paar unterkühlte Akademiker auf einem Märchen-Symposium mit seiner Horror-Version von „Schneewittchen“ schockte).

Wer Neil Gaiman mag und generell für kenntnisreiche Betrachtungen der Szene, des Genres und seiner bekannten und unbekannten Helden zu haben ist, wird auf den vermeintlich billigen Plätzen viel und lange Freude haben. Das britische Hardcover mit seinem schönen, stilisierten Covermotiv gibt’s für 20,- Pfund, das amerikanische Hardcover mit seriösem Fotocover für 27,- Dollar, dazu kommen Taschenbuch, E-Book und Hörbuch – wie man sein Buch eben am liebsten hat, und das ist ganz im Sinne von Neil Gaiman, wie spätestens nach dem Lesen oder Anhören von „The View from the Cheap Seats“ klar sein sollte.

Neil Gaiman: The View from the Cheap Seats. Selected Non-Fiction • Headline, London 2016  • 532 Seiten • Hardcover: £ 20,00 • Sprache: Englisch

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