17. November 2014 5 Likes 2

Jugendsünden und frühe Meisterstücke

Der erste Band der großen George R. R. Martin-Retrospektive

Lesezeit: 3 min.

Viele Jahre vor dem Hype um Game of Thrones hat George R. R. Martin in oft preisgekrönten Kurzgeschichten und Novellen auf ungemein vielfältige Art die Genres Science-Fiction, Horror und Fantasy beackert. Der Erfolg seines Epos Das Lied von Eis und Feuer hat das in den letzten Jahren verdrängt – der Tunnelblick auf Martin reicht nur noch, um anhand der Länge seines Bartes oder der Farbe seiner Hosenträger den Fortschritt des nächsten Bandes von Game of Thrones abzulesen. Das größte Fantasy-Epos unserer Zeit beherrscht Martins Fans und die Wahrnehmung des Bestseller-Autors, der heute in Santa Fe lebt und arbeitet.

Doch nun sorgt eben dieser Hype um die Geschicke von Jon Schnee, Daenerys und Co. dafür, dass es nach dem vereinnahmenden SF-Episodenroman „Planetenwanderer“ (im Shop) auch die große dreibändige GRRM-Retrospektive mit von Martin persönlich ausgewählten Erzählungen auf den hiesigen Buchmarkt schafft. Die deutsche Paperback-Edition folgt der englischsprachigen Dreamsongs-Ausgabe, in deren drei Bänden im Original am Ende 34 Texte zusammengefasst wurden, darunter auch ein paar Sachtexte und sogar zwei TV-Drehbücher. Gerade ist der erste Band der „Traumlieder“ (im Shop) auf Deutsch erschienen.

Das Buch beginnt mit einem Vorwort – einer Würdigung und Lobpreisung – von Gardner Dozois. Dieser gab nicht nur als Erster die The Years’s Best Science Fiction-Anthologie heraus, betreute das Asimov’s Science Fiction Magazine genau 20 Jahre lang als Chefredakteur oder gewann neben diversen Hugos und Locus Awards für seine redaktionelle Tätigkeit als Kurzgeschichten-Autor ebenfalls zwei Nebula Awards – darüber hinaus machte Dozois GRRM mehr oder weniger zum Profi und hat mit seinem Freund zusammen später Romane geschrieben und zahlreiche Genre-Anthologien herausgegeben.

Dozois Einleitung ist nicht das einzige Vorwort im „Traumlieder“-Auftaktband. Denn George R. R. Martin himself stellt jedem durch exemplarische Storys aufgezeigten Abschnitt seiner Karriere selbst ein paar sympathische, autobiografische Seiten voran, und eigentlich hat er einen da gleich mit dem ersten Text über seine Liebe zu Comics und seine ersten Veröffentlichungen in der verrückten Welt der früheren Fanzines oder auf den Leserbrief-Seiten von Stan Lees und Jack Kirbys Fantastic Four und anderen Marvel-Comics am Haken. Doch auch die Anekdoten über verschollene Manuskripte oder Sex nach der Hugo-Losers-Party sind Fanboy-Zucker. Zumal diese Sektions-Vorworte zu den Kurzgeschichten Martins Karriere und schriftstellerische Entwicklung – und dazu noch die Entwicklung der fantastischen Genres und ihres Marktes sowie Plattformen – ebenso dokumentieren wie die Storys.

Und die Storys? Selbst wenn man Martins Frühwerken um den astralen Rächer Dr. Weird oder den Russisch-Schwedischen Krieg von 1808 stilistisch und thematisch nicht sonderlich viel abgewinnen kann, gibt es schon im ersten Band einige richtig starke Geschichten, die in Martins frühe Hochphase als vielfältiger Storyteller fallen. Nach gut 100 Seiten mit Erstlingen fängt das mit unterhaltsamer SF und SF-Horror an und gipfelt im ersten Band nach etwas mehr als 200 Seiten u. a. in der überragenden, tragischen Alien/Telepathen-Liebesgeschichte Abschied von Lya aus dem Jahre 1975 oder der religiösen SF-Story Der Weg von Kreuz und Drachen aus dem Jahre 1980, beide völlig zurecht mit dem Hugo Award ausgezeichnet. Noch heute sind diese Storys eine absolut zeitlose, lohnenswerte Lektüre.

Die selektive Werkausgabe von George R. R. Martins Kurzgeschichten und Novellen fernab des monumentalen Epos um den Eisernen Thron war überfällig. Schließlich macht einem bereits der erste Band wieder bewusst, seit wie vielen Jahren der 1948 geborene Mr. Martin schon als Schriftsteller aktiv ist, und wie viele qualitativ hochwertige Geschichten er lange vor seiner dramatischen, brutalen, wild wuchernden, langsam voran kriechenden Fantasy-Seifenoper zu Papier gebracht hat.

Bleibt zu hoffen, dass der Vom GAME OF THRONES Bestsellerautor-Aufkleber auf dem Cover von „Traumlieder Bd. 1“ viele neugierige Leser und Serienfans anlockt, die zunächst gar nicht wissen, wie ihnen geschieht, wenn sie von George R. R. Martins einstiger Bandbreite und Vielseitigkeit als Meister der Science-Fiction umgehauen werden.

Band zwei erscheint im Februar auf Deutsch.

George R. R. Martin: Traumlieder – Erster Band • Heyne, München 2014  • 540 Seiten • € 14,99

Kommentare

Bild des Benutzers Simon Becka

Wahrscheinlich eine blöde Frage, aber kann man die Geschichten auch einzeln bekommen? Wenn sich nicht alles lohnt, wäre das doch prima.

Bild des Benutzers Sebastian Pirling

Sogar eine sehr gute Frage! Heyne wird in den folgenden Monaten von diversen Autoren und Sammelbänden ganze Story-Kollektionen einzeln veröffentlichen.
Aber: leider nicht von dieser -- aus vertraglichen Gründen.

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