23. September 2015 3 Likes

Menschsein für Erdlinge und Außerirdische

Matt Haigs „Ich und die Menschen“ liegt nun als Taschenbuch vor

Lesezeit: 3 min.

Was macht den Menschen aus? Welchen Sinn hat seine Existenz auf Erden? Und was geht dies das Universum überhaupt an? Zumindest die Vonnadorianer sind interessiert daran, was die Menschheit auf ihrem kleinem blauen Planet irgendwo im Nirgendwo der von ihnen als Milchstraße bezeichneten Galaxie so treibt. Ihrer Meinung nach sind die Erdlinge eine Spezies von höchstens mittelmäßiger Intelligenz und abstoßender Hässlichkeit. Außerdem neigen sie zur Gewalt und sind unmäßig gierig. Kurzum, die Menschen sind psychisch nicht dazu in der Lage, den nächsten Sprung in ihrer Evolution zu wagen und somit Dinge zu tun, die bis dato nur in juvenilen Science-Fiction-Romanen vorkamen: Zeitreisen, Teleportation, Kolonialisierung des Alls, die Überwindung von Krankheit, Schmerz und Tod. Dummerweise gelingt es einem Mathematikprofessor namens Andrew Martin eines der größten mathematischen Rätsel zu lösen, das die Weichen für genau jenen evolutionären Aufstieg ermöglichen würde. Ganz klar, dieser Mensch und alle, denen er von der Lösung der „Riemannschen Vermutung“ erzählt hat, müssen sterben!

So lautet die Prämisse von Matt Haigs ungewöhnlichem SF-Roman „Ich und die Menschen“, der seit August als Taschenbuch erhältlich ist. Der Engländer ist hierzulande vor allem für seine Vampirerzählung „Die Radleys“ (Kiepenheuer & Witsch/rororo) bekannt, mit der er u. a. den Alex Award der American Library Association gewonnen hat, und die von der BBC verfilmt werden soll. „The Humans“, so der englischsprachige Originaltitel, ist Haigs bis dato persönlichstes Buch, in dem er die Fremdartigkeit des menschlichen Lebens aus der Sicht eines Außerirdischen beschreibt.

Als Haig vor einigen Jahren unter Panikstörungen und einem Nervenzusammenbruch litt, waren ihm die Menschen ähnlich fremd geworden, wie seinem vonnadorianischen Erzähler. Von den „Moderatoren“, einem nahezu allwissenden Gremium aus seiner Heimat, wird dieser als eine exakte Kopie von Andrew Martin auf die Erde geschickt, um all diejenigen zu finden und zu eliminieren, denen der echte Andrew von seiner mathematischen Entdeckung erzählt haben könnte: Arbeitskollegen, Freunde, Familienmitglieder. Leider kam es bei dem Kopievorgang zu einem Fehler und der logisch rational denkende und Primzahlen liebende Vonnadorianer läuft nackt und ohne das menschliche Wissen des Mathematikprofessors nach Cambridge. Dort wird er auf dem Campus des Corpus Christi Colleges wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen und wenig später in die Psychiatrie eingewiesen.

Es ist der Auftakt zu einem witzigen, philosophischen und tiefsinnigen Roman, der auf beeindruckende Art zeigt, welche Perlen das Genre hervorbringen kann und zugleich auch eine Liebeserklärung an die – manchmal nicht leicht zu verstehenden – Menschen ist. Denn natürlich lernt Nicht-Andrew während seines Aufenthaltes auch die schönen Seiten des menschlichen Lebens kennen: Erdnussbuttersandwiches, Geborgenheit, die Treue eines Hundes, den australischen Wein, die Lyrik von Emily Dickinson und nicht zuletzt die Liebe zu einer Frau. Die Menschen erscheinen ihm alsbald nicht mehr nur als aggressive Primaten, sondern als empathiefähige Lebewesen, die sich ohne egoistische Hintergrundgedanken umeinander kümmern können, wenn sie wollen. Je länger er seine Aufgabe herauszögert, umso mehr gefährdet er seine Mission und bringt die Menschen in Gefahr, die er liebt. Ob er bei den „Moderatoren“ um Gnade und ein menschliches Leben bitten kann?

Haigs Geschichte schafft es auf Anhieb in den SF-Olymp und kann mit anderen Genre-Größen locker mithalten. Sein Protagonist erinnert im Verhalten an Samjatins D-503, dessen logisch aufgebaute Welt in „Wir“ langsam aus den Fugen gerät. Die sich anbahnende Liebesbeziehung ähnelt in ihrer Tragik hingegen der aus Audrey Niffeneggers „Die Frau des Zeitreisenden“. Der Humor ist jedoch typisch britisch, schwarz und sarkastisch, dann und wann leicht überdreht und herrlich trocken, und einem Douglas Adams mehr als ebenbürtig.

Matt Haigs „Ich und die Menschen“ ist ein wundervoller, fantastisch literarischer Roman, der nicht nur Science-Fiction-Fans begeistern kann. Oder um es mit den Worten von Altmeister Adams zu sagen: ein Buch über das Leben, das Universum, und den ganzen Rest. Bravo!

Matt Haig: Ich und die Menschen • Aus dem Englischen von  Sophie Zeitz • Dtv, München 2015 • 352 Seiten • € 9,95

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