„Orakel“ von Thomas Olde Heuvelt
Weird Fiction zwischen Stranger Things und dem fliegenden Holländer
Seit ein paar Jahren wird der Niederländer Thomas Olde Heuvelt (im Shop) als neuer Star am literarischen Horror-Himmel gefeiert – lobende Blurbs von den Superstars George R. R. Martin (im Shop) und Stephen King (im Shop), begeisterte Vergleiche mit Letzterem sowie Nominierungen für den Hugo und den World Fantasy Award in Übersee. Mit „Orakel“ (im Shop) liegt jetzt Heuvelts vierter Roman bei Heyne auf Deutsch vor. Und wenngleich es sich dabei um den zweiten Einsatz für Hexen- und Geisterflüsterer Robert Grim aus Heuvels erstem internationalen Bucherfolg „HEX“ (im Shop) handelt, könnte man „Orakel“ auch problemlos als Einstiegsluke in das Schaffen des 1982 geborenen Heuvelt nutzen.
Diesmal entfalten sich das alltägliche Böse und das übernatürliche Grauen sogar in Heuvelts holländischer Heimat. Denn eines kalten Morgens radeln der junge Luca und sein Schwarm Emma zur Schule, als sie auf einem Feld hinter den Dünen ein altes Schiffswrack entdecken, das wirkt, als hätte es irgendjemand dort hingeworfen. Bei der folgenden Erkundung der Orakel steigt Emma durch eine Luke ins Innere, woraufhin von irgendwoher eine mysteriöse Schiffsglocke ertönt – und Emma zu Lucas Entsetzen spurlos verschwindet. Auch die Ersthelfer, die im kalten Nebel in das Schiffswrack klettern, scheinen aus dieser Welt zu flutschen. Inklusive Lucas Vater Alexander …
Die Agentinnen und Agenten des niederländischen Geheimdienstes, die sich der Sache bald schon annehmen, sind allerdings mehr an der Vertuschung der Vorfälle auf dem winterlichen Tulpenfeld an der Küste interessiert. Wenigstens zwangsrekrutieren sie den amerikanischen Okkultismus-Experten Robert Grim, der sich nach den Ereignissen in „HEX“ weitgehend in den Alkohol geflüchtet hat, als Berater – während gelungene Intermezzo-Kapitel über eine Frau im Mammutfell oder eine sonderbare Möwe das ganze Ausmaß des Orakel-Grauens vorantreiben. Am Ende wird ausgerechnet der zynische, desillusionierte Grim zu einem von Lucas wichtigsten Verbündeten in dem Versuch, die Familie des Jungen zu retten …
„Orakel“ hat ein grundsolides, diesmal selbst die Raum-Zeit krümmendes Mysterium in der Tradition des fliegenden Holländers, hinterhältige Regierungsagenten mit einem überzogenen Hang zur Gewalt und zur totalen technologischen Überwachung, ein sich ständig steigerndes Grauen zwischen der Vergangenheit und dem Heute, und selbstverständlich ein paar mutige, über sich selbst hinauswachsende Individuen im Angesicht weltlicher wie überweltlicher Schrecken. Thomas Olde Heuvelt folgt in „Orakel“ also klassischen Pfaden und Mustern, die sich jedoch einmal mehr bewähren.
Selbst wenn man die befahrene Genre-Seeroute bestens kennt, ist es schön, dass sie ganz bewusst durch diesen Teil der Welt, durch Europa und die Niederlande führt – umso mehr, da Heuvelt das Debüt von seiner Figur Robert Grim vor einigen Jahren ja selbst noch bewusst in den obligatorischen USA angesiedelt hatte. Mit Nennungen von „Stranger Things“, „Die Piraten der Karibik“, „Akte X“, Netflix und anderen Referenzen innerhalb der Geschichte verortet der Niederländer sein Werk ebenfalls in einer sehr greifbaren, sehr modernen Gegenwart.
Wo man – das wissen nicht nur Fans von Stephen King – bekanntlich auf Horror-Romane und Mystery-Schmöker wie „Orakel“ steht, in denen ein paar Menschen gegen das Böse antreten. Egal in welcher Form es daherkommt.
Thomas Olde Heuvelt: Orakel • Roman • Aus dem Englischen von Julian Haefs • Heyne • 656 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: € 18,00 • im Shop
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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 ist bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“ erschienen.
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