27. November 2018 2 Likes

Schlaflos im Winter

Kalte, aber charmante Alternativwelt: Jasper Ffordes neuer Roman „Eiswelt“

Lesezeit: 3 min.

Der Winter naht? Von wegen, der ist längst da! Nach den literarischen Meta-Sperenzchen in seiner erfolgreichen Thursday Next-Romanserie um den Bestseller „Der Fall Jane Eyre“, der „Die letzte Drachentöterin“-Trilogie und der spektralen Dystopie „Grau“ präsentiert der bekannte britische Autor Jasper Fforde (im Shop) mit „Eiswelt“ eine neue, ausgesprochen abgedrehte und winterliche Alternativwelt voller Witz und Charme.

In Albion sind die Wintermonate so hart, dass die meisten Leute sie lieber mit gesellschaftskonform angefressenem Winterspeck und der Hilfe von hocheffektiven Narkotika in beheizten Wohntürmen verschlafen. Das scheint wesentlich gesünder, als sich mit den Gräueln und Gefahren des Megawinters auseinanderzusetzen: sagenumwobenen Monstern, draufgängerischen englischen Schurken sowie gefräßigen Nachwandlern – Menschen, die vom langen Winterschlaf ausgezehrt werden und als zombieähnliche Kreaturen erwachen. Dank moderner Wissenschaft können sie immerhin umerzogen werden und in diesem Fall noch kleine Aufgaben vollrichten, zudem dienen sie als Ersatzteillager bei Erfrierungen und Erkrankungen – klar dass da der Schwarzmarkt boomt und noch gewinnbringender ist als Potenz und Fruchtbarkeit gegen das Massensterben im Winter. Jedenfalls, mit dem Winter ist nicht zu spaßen, wenn man nur ein fellbedeckter Mensch und kein wolliges Mammut ist, und nicht einmal dann. Der junge Charlie, frisch ernannter Novize der Winterkonsuln von Wales, die in der brutalen Winterzeit für Ordnung sorgen, stellt sich mit Impulswaffen und einem exzellenten Gedächtnis allen Schrecken der Eiswelt und bekommt es in seinem ersten wachen Winter mit haufenweise seltsamen Gestalten, viralen Träumen und bedrohlichen Geheimnissen zu tun …

Jasper Fforde beendete mit „Eiswelt“ – im Original „Early Riser“ – seinen persönlichen Autorenwinter, ja seine kreative Eiszeit. Denn zwischen 2014 und 2016 vermochte der 1961 in London geborene Fforde, der früher als Kamera-Assistent arbeitete und u. a. an „James Bond: Golden Eye“ mitwirkte, kein neues Buch mehr zu verfassen. Seinem Einzelband „Eiswelt“, der den Klimawandel ironisch auf den Kopf stellt, merkt man die quälende Schreibblockade allerdings kein bisschen an. Wer seit Langem zu Mr. Ffordes Fans gerechnet werden darf, wird auch „Eiswelt“ mögen, und wer bisher noch keine von Ffordes erstaunlichen Welten besuchte, kann ruhig mit dieser verschneiten, spiegelglatten Spiegelwelt anfangen. Fforde ist nämlich nach wie vor ein Meister der charmanten, durch und durch fantastischen Alternativwelten, in denen man sich trotz aller Gefahren pudelwohl fühlt und die er mit unverbrauchten Ideen, absurdem Humor und gutem Sprachgefühl Gestalt annehmen lässt.


Jasper Forde. Foto © Mari Fforde

Besonders am Anfang des winterspeckfetten Romans betreibt der Wahl-Waliser ordentlich Worldbuilding, überdies sprudelt sein Buch nur so vor verrückten Einfällen. Die Handlung plätschert und plänkelt derweil in typischer Fforde-Manier ohne Eile voran (plätschert im übertragenen Sinne, weil: Eiswelt und so) – was nicht negativ gemeint ist, seine Werke haben eben ein eigenes Tempo und einen bestimmten Duktus, und das ist gut so. Kaum jemand beherrscht das sympathische Geplänkel, das zur Handlung beiträgt, so gut wie Fforde. Mit all den schrägen Ideen und seltsamen Typen erinnert die Geschichte über Charlies Welt des gnadenlosen Winters sogar des Öfteren an Douglas Adams – und Fußnoten und Witz beherrscht Fforde in vielen Momenten wie Terry Pratchett (an dieser Stelle ein persönlicher Fußnotenfavorit aus dem Roman: So irrsinnig wie ein Fass voller Arktis-Dachse und viermal so gefährlich). Allzu oft waren die Vergleiche humoristisch-fantastischer Autoren mit diesen beiden Giganten aus der Luft gegriffen, doch auf Jasper Fforde kann man sie ausnahmsweise einmal reinen Gewissens anwenden, wobei „Eiswelt“ der Beweisführung hilft. So, wie Fforde seit dem Jahrtausendwechsel dazu beiträgt, fantastische Genre-Literatur außerhalb der Szene zu verbreiten.

Eine frische, innovative Alternativwelt, so viele Seiten wie Schneeflocken, ein regelrechter Blizzard aus kuriosen Ideen und komischen Charakteren, allerhand glatte Überraschungen, reichlich Humor als Streusalz und hinreichend abstruse und wärmende, winterfeste Fforde-Erzählmagie: „Eiswelt“ hilft einem als äußerst charmanter Schmöker durch lange Winterabende und taugt sicher auch für so manch eine schlaflose Winternacht.

Jasper Fforde: Eiswelt Aus dem Englischen von Kirsten Borchardt • Heyne, München 2018 • Paperback • 656 Seiten • E-Book: € 11,99 (im Shop)

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