25. September 2018 1 Likes

Wunderkinder

Der Kampf um die Freiheit beginnt: Marissa Meyers neue Jugendbuchreihe „Renegades“

Lesezeit: 4 min.

Märchen machten sie bekannt. Mit mehreren Märchenneuinterpretationen vor einer Science-Fiction-Kulisse, den Lunar Chroniken (Carlsen), schrieb sich die US-Amerikanerin Marissa Meyer in die Herzen ihrer Fans. Auf die Märchen folgen nun die Superhelden. Die sind nicht erst seit Brandon Sandersons „Reckoners“-Reihe oder Peter Clines‘ „Ex-Heroes“ auch außerhalb der Comicuniversen von Marvel und DC populär. Ob Meyers „Renegades. Gefährlicher Freund“ überzeugen kann?

„Renegades“ erzählt die Geschichte zweier Teenager in Gatlon City. Vor neun Jahren fand hier der Showdown zwischen den schurkischen „Anarchisten“ und den heldenhaften „Renegades“ statt. Auf beiden Seiten kämpften „Wunderkinder“, Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Während die „Anarchisten“ dafür kämpften, dass sich die „Wunderkinder“ nicht mehr zu verstecken brauchten, stürzten sie die Stadt (und am Ende die ganze Welt) ins Chaos. Erst die „Renegades“ konnten die „Anarchisten“ in einer finalen Schlacht besiegen.

Gatlon City erholt sich trotz Helden an der Macht nur langsam von den Jahren des Terrors. Nova Artino alias „Nachtmahr“ ist die Nichte des gefürchteten „Anarchisten“-Anführers „Ace Anarcho“, der in der Schlacht fiel. Nachdem ein Verbrechersyndikat ihre Eltern ermordet hatte, wuchs sie unter den verbliebenen „Anarchisten“ auf. Seit jener Nacht hasst sie die „Renegades“ abgrundtief, da sie ihre Familie nicht wie versprochen beschützt haben. Außerdem braucht sie seitdem nicht mehr zu schlafen. Ihre angeborene Kraft ist jedoch beeindruckender: sie kann andere per Körperkontakt in Tiefschlaf versetzen. Um die „Renegades“ von innen zu zerstören, nimmt Nova inkognito am alljährlichen Bewerbungsritual der Helden teil. Dort wird sie als „Insomnia“ in das Team von Adrian „Sketch“ Everhart aufgenommen. Der junge Mann hat nicht nur die Fähigkeit, gezeichnete Dinge zum Leben zu erwecken, sondern ist auch der Sohn der verstorbenen “Lady Unbeugsam“ und der Adoptivsohn zweier „Renegades“-Ratsmitglieder. Adrian hat es sich zur Aufgabe gemacht, „Nachtmahr“ zu fangen, da sie etwas über den Tod seiner Mutter zu wissen scheint. Nova muss ihrerseits ihre wahre Identität und Absichten geheim halten. Ihr Bild von den „Renegades“ als rücksichtslose Herrscher, die die Menschen von sich abhängig machen, wird dabei immer wieder auf die Probe gestellt. Doch ausgerechnet eine ihrer Ziehmütter, die „Anarchistin“ Ingrid Thompson (alias „Die Zündkapsel“), droht ihren Langzeitplan zu vereiteln. Und dann ist da noch „Der Wächter“, der sein eigenes Spiel zu spielen scheint…


Marissa Meyer; Foto © Kali Raisl

Uff! Ganz schön viel Nacherzählung für eine Besprechung… Auf den 640 Seiten dieses Auftaktbands passiert aber auch so einiges. Marissa Meyer hat sich sehr viele Gedanken über den Weltenbau und ihre Figurenkonstellationen gemacht. Temporeiche Actionsequenzen lösen sich mit eher gemächlichen Erzählstrecken ab. Das Leben eines Helden hat also auch seine Durststrecken. Meyer setzt bei ihren Protagonisten auf viel Diversität und zerstört gekonnt das klassische Schwarz-Weiß-Bild, das jeder von Helden und Schurken hat. Obwohl hier und da Zweifel an Novas Plänen und dem Freiheitsbegriff der „Anarchisten“ aufblitzen, ist sie doch eine der Sympathieträgerinnen des Romans. Novas Kritik an den „Renegades“ ist zudem gut begründet: die Menschen haben sich tatsächlich in eine Abhängigkeit von ihren strahlenden Helden begeben, statt selbst für Recht und Ordnung zu sorgen. So sehr Nova auch an die guten Absichten der „Anarchisten“ glaubt, so deutlich wird auch, dass deren Weg vor allem Gewalt mit sich brachte. Welche Beweggründe und Pläne die Anführer beider Seiten noch für die Stadt haben, bleibt vorerst ein Geheimnis. Meyer konfrontiert durch dieses Arrangement ihre zumeist jungen Leser mit einer zentralen Frage der Politik: Was ist wichtiger? Freiheit wie sie die „Anarchisten“ fordern oder Sicherheit wie sie die „Renegades“ versprechen?

Natürlich kommt ein Jugendbuchroman nicht ohne die obligatorische Liebesgeschichte aus. Adrian und Nova würden das perfekte Paar abgeben, stünde da nicht Novas Geheimidentität im Weg. Um die eine oder andere Szene, in der die Hormone Rumba tanzen, kommt daher auch Meyer nicht herum. Für Meyers „Romeo und Julia“ ist das Happy End allerdings noch in weiter Ferne. So bleiben die zentralen Motive dieser sehr unterschiedlichen Protagonisten im Mittelpunkt des Geschehens.

Marissa Meyers „Renegades. Gefährlicher Freund“ ist ein gelungener Auftaktband zu einer Superhelden-Trilogie. Weltenbau, cineastische Erzählweise und diverse Figuren sind klare Pluspunkte. Ohne klassische Jugendbuchthemen kommt aber auch die US-Amerikanerin nicht aus. Wer auf der Suche nach einem unterhaltsamen Pageturner ist und Superhelden mit außergewöhnlichen Kräften schon immer mochte, kann bedenkenlos zugreifen.

Marissa Meyer: Renegades 1. Gefährlicher Freund • Aus dem Amerikanischen von Charlotte Lungstrass-Kapfer • Heyne fliegt, München 2018 • 640 Seiten • 20,00€ • Empfohlen ab 14 Jahren

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