11. Dezember 2025

Elias Hirschl: „Content“ – Die Abgründe des Internets

Ein pointierter, zynischer Text über die Absurditäten der Content-Produktion

Lesezeit: 3 min.

Gut 30 Jahre ist der Österreicher Elias Hirschl alt, also Teil der Generation, denen das Handy praktisch schon in die Wiege gelegt wurde und die mit und im Internet aufgewachsen sind. Hirschl kennt sich im Netz sehr gut aus, das wird schon nach den ersten Seiten seines Romans Content“ (im Shop) klar, der nun bei btb als Taschenbuch erscheint.

Bei der Firma Smile Smile Inc. arbeitet die namenlose Protagonisten und produziert dort tagein tagaus Listicles, jene unvermeidliche Listen, die mit reißerischen Titeln wie dem noch recht zurückhaltenden: Die zwölf besten Orte in Indien, viel lieber aber mit Extremen wie: Die 15 tödlichsten Flugzeugabstürze zum Klicken verleiten sollen. Und zwar nicht nur zum einmaligen, sondern zum Durchklicken der ganzen Liste, denn jeder Klick bedeutet Geld.

Ansonsten produziert die Firma anderen, vollkommen sinnbefreiten Content, wie etwa eine Reihe von Videos, in denen die guten, alten Nokia Handys, genannt Knochen, in einem Mixer geschreddert werden. Der Bedarf an Blödsinn ist unbegrenzt, das weiß jeder, der sich schon mal aus anthropologischen und auch etwas masochistischen Gründen ein wenig durch Tik Tok, Instagram, Threads und all die anderen „sozialen“ Medien geklickt hat.

Wie absurd und seelenzerstörend ein Großteil dessen ist, dass Online als „Inhalte“ durchgeht, weiß auch Hirschl, und da Hirschl auch noch Österreicher ist, beschreibt er all diesen Irrsinn mit pointiertem Zynismus und treffender Beiläufigkeit.

Ein hübscher Dreh ist dabei, dass seine Hauptfigur weiblich ist, was gerade bei einem Autor von Hirschls Generation sicher zu der Überlegung geführt haben wird, ob er das denn darf: Als Mann eine Frau zu beschreiben? Kann er denn überhaupt authentisch die Gedankenwelt einer Frau wiedergeben? Was aber ist überhaupt authentisch, gerade Online?

Immer wieder wird in „Content“ diese Frage angerissen, wenn etwa von der Mitarbeiterin Karin die Rede ist, die am Listenschreiben so verzweifelt (zumal sie erfahren hatte, dass die Listen der Autoren von einer KI so verändert und marketingtechnisch optimiert werden, dass von der ursprünglichen Arbeit der Autoren zu gut wie nichts mehr übrig bleibt), dass sie ihre Hand in den eigentlich für Nokia-Handys vorgesehenen Mixer steckte und nun in einer Klinik sitzt.

Diese Karin agierte einst als IKM-Schreiberin, als Internet-Kontakt-Markt-Scheiberin, die sich auf Kontaktbörsen als Single ausgab und 5 Cent pro Nachricht bekam, die Männer ihr schrieben. Irgendwann gerät sie selbst an einen anderen IKM-Schreiber, die Bots flirten also quasi mit sich selbst. Und das ist der Punkt: Was Online echt oder falsch ist, was ein Mensch, was ein Lockvogel und was ein Bot geschrieben hat, wird immer schwerer feststellbar, was, macht man sich das bewusst, eigentlich nur zum Zynismus führen kann.

Oder zu einem unterhaltsamen, pointierten Text wie „Content“, der zwar vom Verlag als Roman bezeichnet wird, aber mehr mit den Zustandsbeschreibungen der Gegenwart gemein hat, wie man sie etwa von den deutschen Popliteraten kennt. Eine lose Handlung gibt es zwar, vor allem aber überzeugt „Content“ durch seine oft absurden Beschreibung der Online-Welt.

Wenn man da von einer Weltmeisterschaft im Handy-Weitwurf oder einer KI liest, die eine endlose „Unterhaltung“ zwischen dem deutschen Regisseur Werner Herzog und dem slowenischen Philosophen Slavoj Žižek imaginiert (und in den beiden markanten Stimmen vorliest) hört sich das wie eine Spur zu bizarr an – und erweist sich beim Googeln doch als Realität.

„Wir amüsieren uns zu Tode“ analysierte der Medienwissenschaftler Neil Postman schon in den 80er Jahren, lange bevor das Internet erst als Heilsbringer bezeichnet wurde und nun längst seine zersetzenden Abgründe offenbart hat. Eigentlich müsste man nach Elias Hirschls „Content“ sofort mit dem Digital-Detox beginnen, andererseits gibt es bestimmt irgendwas Spannendes bei X oder Facebook oder Mastadon oder Bluesky …

Elias Hirschl: Content Roman btb, München 2025 224 Seiten Taschenbuch 14,00 € im Shop

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