20. Juli 2024

„Xenogenesis“ von Octavia E. Butler

Die große SF-Trilogie ist endlich wieder gedruckt in einem Band erhältlich

Lesezeit: 3 min.

Octavia E. Butler (im Shop) kann, nein, muss in einem Atemzug mit Ursula K. Le Guin, Margaret Atwood und Alice B. Sheldon alias James Tiptree Jr. genannt werden – zeitlos brillanten Autorinnen, die das literarische Science-Fiction-Genre im 20. Jahrhundert trotz männlicher Dominanz bereits erheblich geprägt, und vor allem massiv bereichert haben. Im Fall von Octavia E. Butler (1947–2006) geschah das vor allem über ihr endzeitliches, erschreckend aktuelles Meisterwerk Die Parabel vom Sämann“ aus dem Jahre 1993 (im Shop) (siehe Rezension), ihren 1979 erstveröffentlichten Zeitreise-Roman „Kindred“ über die Sklaverei, und ihre zwischen 1987 und 1989 erschienene Xenogenesis“-Trilogie (im Shop). Die besteht aus den Einzelbänden „Dämmerung“, „Rituale“ und „Imago“, firmiert im englischsprachigen Original auch als „Lilith’s Brood“ und ist nun in einem fast 1000 Seiten starken, dicken, heftigen Sammelband endlich wieder gedruckt auf Deutsch erhältlich.

Dabei präsentiert sich direkt der erste „Xenogenesis“-Roman „Dämmerung“ noch so krass, treffend, groß, scharfkantig, schonungslos und wichtig wie Ende der 1980er – und wahrscheinlich ist er heute sogar noch treffender und bedeutungsvoller, wenn man bedenkt, wie sehr etwa das Thema Gender polarisiert, wie übergriffig wir Menschen bewusst oder unterbewusst, absichtlich oder unabsichtlich sein können, oder wie die Selbstbestimmung, ja die Rechte in Hinblick auf den eigenen Körper nach wie vor angegangen werden, in Gesellschaft, Politik, Gesetzen, manchmal selbst der Medizin. „Xenogenesis“ bzw. „Dämmerung“ beginnt mit Lilith, einer Frau von der in einem Atomkrieg verwüsteten, entvölkerten, verstrahlten Erde. Sie erwacht mehrfach allein in einem schlichten, fremdartigen Raum, eindeutig als Gefangene, eindeutig unter Beobachtung. Ihr komfortables, aber dröges und einsames Gefängnis befindet sich, wie Lilith irgendwann herausfindet, auf einem riesigen Alien-Raumschiff von planetoider Dimension. Dort trifft Lilith letztlich eher früher denn später die außerirdischen Oankali, die wie humanoide, jedoch tentakelbewehrte Meeresschnecken aussehen und mehr als zwei Geschlechter kennen.


Octavia E. Butler.

Nach und nach erfährt Lilith von den Plänen, Taten, Gedanken der Oankali: Dass sie die Erde wiederbesiedeln wollen. Dass sie Liliths Körper – teils ohne ihr Wissen, geschweige denn Einverständnis – optimiert haben, um sie vom Krebs zu befreien. Und dass sie eine Art „Genhandel“ betreiben, der wie ein Grundbedürfnis für sie ist. In diesem Fall bedeutet das, dass die Oankali ihre Gene mit denen von Lilith und anderen Menschen bei der steinzeitlichen Neuerschließung der Erde vermischen wollen, um eine neue Hybridspezies entstehen zu lassen. Was das in Band zwei „Rituale“ und Band drei „Imago“ für Konsequenzen hat, soll an dieser Stelle nicht vorweggenommen werden. Nur so viel: Anders als mit ihrer hinten raus unvollendeten „Parabel“-Serie, brachte Butler ihre „Xenogenesis“-Trilogie zum Abschluss. So unterschiedlich die Bände mit Litliths Erstkontakt und Erkenntnissen, auf der Erde und aus Sicht eines nichtmenschlichen Wesens für sich genommen auch sein mögen, am Ende ergeben sie eine Einheit, fallen alle Perspektiven und Puzzlestücke an ihren Platz.

Octavia E. Butlers „Xenogenesis“-Saga ist große, gehaltvolle, manchmal auch ziemlich unbequeme, aber stets extrem lesenswerte und faszinierende, nicht zuletzt erhellende, sensibilisierende Science-Fiction. Und so zeitlos ihr ewiges Highlight „Die Parabel vom Sämann“ angesichts von Klimakatastrophe, Kapitalismus, Populismus und andere Krisen erstrahlt, so aktuell und sehr haut „Xenogenesis“ in Hinsicht auf Themen wie Gender, Körperrecht, Selbstbestimmung und selbst überhängendes Kolonialmacht-Denken rein.

Octavia E. Butler: Xenogenesis • 3 Romane • Aus dem Amerikanischen von Barbara Heidkamp • Heyne, München 2024 • 976 Seiten • Erhältlich als Paperback und eBook • Preis des Paperbacks: € 19,00 • im Shop

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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – im Mai 2024 ist bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“ erschienen.

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