16. April 2019

Als der Science-Fiction-Comic erwachsen wurde

Achim Schnurrer beleuchtet die Geschichte von „Schwermetall“

Lesezeit: 5 min.

Schwermetall hieß das 1980 gegründete Magazin, mit dem unter der Überschrift „Fantastische Comics für Erwachsene“ herausragende Künstler wie Bilal, Corben und Mœbius in Deutschland einem größeren Kreis bekannt gemacht wurden. Das Resultat erwies sich als epochaler Schritt für die hiesige Kulturlandschaft: Die Arbeiten, die hier veröffentlicht wurden, richteten sich an ein anspruchsvolles Publikum und brachen mit Sehgewohnheiten; ja, nicht selten etablierten sie völlig neuartige Weisen des graphischen Erzählens. Obwohl der Rang des Hefts unstrittig sein dürfte, fehlte es bislang an einem Kompendium, das die 220 Ausgaben kenntnisreich aufarbeitet. Nun hat sich Achim Schnurrer an die Arbeit gemacht und den ersten Band von „Das war Schwermetall“ vorgelegt, der die Jahre 1980 bis 1988 umfasst.

Achim Schnurrer: Das war SchwermetallGrundsätzlich war Schwermetall ein Lizenzprodukt der französischen Mutterausgabe Métal Hurlant, die bereits 1975 gegründet worden war und sich anfangs ganz dem ambitionierten Science-Fiction-Comic verschrieben hatte; die frühen Arbeiten von François Schuiten und Benoît Peeters wurden hier ebenso erstgedruckt wie „Exterminator 17“ von Enki Bilal und Jean-Pierre Dionnet sowie die berühmten Serien von Mœbius: „Arzach“, „Le Garage Hermétique“ und „John DiFool“. Die künstlerische Revolution des Magazins wäre allerdings ohne die ab den späten 1960er Jahren veröffentlichten Underground Comix in den USA nicht möglich gewesen. Aber während die Franzosen versuchten, den Mainstream künstlerisch zu überhöhen, wollten ihn die Amerikaner schlicht unterlaufen – das Ziel bestand in einer völligen Lösung von Selbstzensur und dem Gewinn größtmöglicher künstlerischer Freiheit, weshalb man die Maßstäbe der repressiven Comics Code Authority ignorierte und auf alternative Vertriebskanäle setzte. Schließlich ging es nicht zuletzt um Tabubrüche jedweder Art, weshalb sich die sonst so sorgsam ausgeklammerte Darstellung von Sex und Gewalt zu einem Kennzeichen entwickelte. (In dieser Szene ist übrigens auch der frühe Richard Corben anzusiedeln, bevor er mit seinen fotorealistischen Epen Furore machte.) Zudem verstanden sich die Comix als politisches Statement gegen das „Establishment“.

Métal Hurlant (1975–1987) hingegen profitierte von der ohnehin liberalen Stimmung in Europa. Die Revolution war rein ästhetisch ausgerichtet und wollte erzählerische wie zeichnerische Konventionen überwinden; dabei setzte man von Anfang an auf ein großes Publikum und reguläre Vertriebswege. Vom Grundkonzept her war Métal Hurlant zunächst stark auf Science-Fiction ausgerichtet, was Heavy Metal (ab 1977) und Schwermetall (1980–1999) als die beiden wichtigsten Ableger sogar noch enger transportiert haben; die US-Ausgabe folgt dieser Linie bis heute. Allerdings unterschied sich die Genredefinition der Magazine stark von jenen Serien, die zuvor in Deutschland etwa in Zack (1972–80) gebracht worden waren. Es ging um eine künstlerische Entgrenzung, die auf Konventionen und überkommene Erzählmuster keine Rücksichten mehr nahm. Wie bei den Underground Comix führte dieser Ansatz auch hier zu heterogenen Ergebnissen, zu denen die mit scheinbar leichter Hand gestrichelten Experimente eines Mœbius ebenso gehörten wie die psychedelischen Weltraumopern eines Philippe Druillet oder die visionären Parabeln von Philippe „Caza“ Cazaumayou.

Raymond Martin – dessen Rolle für die hiesige Comic-Landschaft noch immer unterschätzt wird – konnte entsprechend aus dem Vollen schöpfen, als er im Februar 1980 die erste Ausgabe von Schwermetall im Volksverlag lancierte, und er hat diese Chance genutzt: Gerade die frühen Hefte sind Glanzleistungen und beinhalten bis heute Überraschungen, etwa die absurd-intellektuellen Strips von Francis Masse, die in Deutschland nie wieder gedruckt worden sind. Doch auch traditionelle Genreenthusiasten kommen auf ihre Kosten: Die originale Schwarzweißfassung von Corbens Meisterwerk „Bloodstar“ (Vorlage: Robert E. Howard) findet sich übersetzt nur in Schwermetall. Dies ist kein Einzelfall, denn selbst Druillets Großwerke „Gail“ und „Salammbô“ sind bei uns nie als Buch erschienen.

Achim Schnurrer vermag die Heftgeschichte aus der Innenperspektive darzustellen, weil er für das Magazin mitverantwortlich war: Nach Jahren der Zuarbeit konnte er Schwermetall ab der Ausgabe 71 als Chefredakteur übernehmen und Künstler wie Charles Burns, Bob Deum und Paolo Serpieri drucken; zudem förderte er deutsche Talente wie Chris Scheuer und Matthias Schultheiss. Das Buch beginnt mit einem Kapitel über kurzlebige Vorläufer wie etwa die Reihe Star Fantasy; dann werden die ersten 99 Ausgaben von Schwermetall jeweils mit Inhaltsverzeichnis, Cover und unzähligen Abbildungen dargestellt. Dabei nutzt Schnurrer die Gelegenheit, um Kurzbiographien (etwa zu Nicole Claveloux, Jeronaton und Jean-Michel Nicollet) einzuflechten, und er beleuchtet Jahr für Jahr Wissenswertes aus der Comicszene. Ein umfänglicher Anhang (mit Register) rundet den Band ab, wobei sich Schnurrer die Mühe gemacht hat, auch Bernard Farkas zu porträtieren, dem neben Dionnet, Druillet und Mœbius weitgehend unbekannten vierten Gründervater von Métal Hurlant und dessen Verlag Les Humanoïdes Associés. Schnurrers Blick auf Raymond Martin – der ein Vorwort beisteuerte – fällt erwartungsgemäß zwiespältig aus. Er würdigt zwar dessen Mut, Magazine wie Schwermetall und U-Comix (1980–1997) gegründet zu haben, kommt aber nicht um eine kritische Einschätzung gerade im Hinblick auf die Finanzierung herum; schlussendlich mussten die Bestände des in Konkurs gegangenen Volksverlags 1984 in den Alpha Comic Verlag überführt werden. All diese Vorgänge werden stets ebenso fakten- wie anekdotenreich aufbereitet.

Freilich: Bei so viel Licht ist auch Schatten. Schnurrer zeigt sich von seiner Arbeit hochüberzeugt, was ihm gegönnt sei, aber bisweilen strapazierend wirkt. Zumal der Band nicht ohne Lässigkeiten auskommt: Bei der Biographie von Corben wird Jahrzehnte zurückliegende Sekundärliteratur angeführt, aber der unlängst erschienene „Richard Corben Index“ von Sebastian F. Olten übersehen; die Darstellung zur Geschichte von Heavy Metal muss ohne den neuen Herausgeber Grant Morrison („Arkham Asylum“) auskommen. Dies ist von daher schade, weil seither der Anteil an künstlerisch hochwertigen Serien – wie etwa „Zentropa“ von John Mahoney, „Salsa Invertebraxa“ von Mozchops sowie „The Door“ von Esau Escorza & Michael Moreci, die alle gewiss niemals hierzulande erscheinen werden – deutlich zugenommen hat. Und verlegerisch darf man es für eine Fehlentscheidung halten, dass diese wichtige Monographie ohne Fadenheftung und Festeinband auskommen muss.

Dennoch ist Schnurrers faktenpralles und liebevoll eingerichtetes Buch unersetzlich – als Gesamtdarstellung, als Nachschlagewerk und als Artefakt einer qualitativ hochrangigen (Science-Fiction-)Comickultur, die bedauerlicherweise Geschichte geworden ist. Wie gut, dass es noch einen zweiten Band geben wird.
 

Achim Schnurrer: Das war Schwermetall, Band 1: 1980-1988 • Edition Alfons • € 24,95

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