5. Januar 2016 1 Likes

Dunkle Götter hinter der Sternenbrücke

Die außergewöhnlichen Science-Fiction-Comics von Philippe Druillet

Lesezeit: 5 min.

Finstere Metallkrieger, bedrohliche Gottheiten, riesige Kathedralen aus Stein und immer wieder der Wahnsinn des Weltraums: Philippe Druillet ist nicht nur in der Science-Fiction eine Klasse für sich. Sein gigantomanisches, meist von schrillen Popfarben illuminiertes Universum gehört zu den herausragenden künstlerischen Leistungen des 20. Jahrhunderts und wurde bislang in Deutschland weitgehend ignoriert. Nun sind im Avant-Verlag zwei Comicbände erschienen, die das Zeug haben, sich zur Werkausgabe auszuweiten.

Philippe Druillet
Philippe Druillet

Der 1944 in Toulouse geborene Philippe Druillet veröffentlichte ab Mitte der 1960er Jahre Comics und wurde mit seinen Geschichten um den Raumfahrer Lone Sloane schnell einer der Stars des einflussreichen Magazins Pilote. Nach ersten Albumveröffentlichungen gründete er 1974 zusammen mit Jean-Pierre Dionnet, Bernard Farkas und Moebius den Verlag Les Humanoïdes Associés und das Magazin Métal Hurlant, das der Science-Fiction dank einer weitgefassten Genre-Definition neue kreative Perspektiven ermöglichte. Die abgedruckten Comics emanzipierten sich inhaltlich wie zeichnerisch von der vorkonfektionierten Dutzendware und sorgten für ein zeitgemäßes Erscheinungsbild. Künstlerischer Individualität kam dabei eine zentrale Rolle zu, was die Überwindung etablierter Erzählmuster ebenso betraf wie die Neuinterpretation bekannter SF- und Fantasy-Motive. Zielgruppe war ein erwachsenes Publikum, das Gefallen an Experimenten fand und sich nicht länger mit handelsüblichen Harmlosigkeiten abspeisen lassen wollte. Zu den Meisterwerken, die in Métal Hurlant und in seinem Umfeld erschienen, gehören beispielsweise Arbeiten von Enki Bilal („La Foire aux Immortels“, 1981; „Partie de Chasse“, 1983) Richard Corben („NeverWhere“ und „New Tales of the Arabian Nights“, beide 1978) sowie Jean „Moebius“ Giraud („Arzach“, 1976; „Le Garage Hermétique“, 1979). Ebenfalls zu nennen wären die Comic-Kurzgeschichten von Philippe „Caza“ Cazaumayou und dem hierzulande völlig unbekannten Francis Masse.

Druillet reiht sich in diese Riege nahtlos ein – sowohl qualitativ als auch im Hinblick auf die künstlerischen Entgrenzungsprozesse, mit denen er sich seit dem Beginn seiner Karriere beschäftigt. Herkömmliches Zeichenpapier ist ihm zu klein; er arbeitet deshalb auf Bögen, die über einen Meter Seitenlänge haben. Auch die reguläre Seitenaufteilung wird ihm nicht gerecht, weswegen die Abfolge der Panels immer wieder in doppelseitengroße Panoramen kulminiert, bei denen der zeichnerische Exzess buchstäblich keine Grenzen kennt. Und wenn er sich auf die Science-Fiction bezieht, so geschieht dies lediglich als Ausgangspunkt, um in bislang ungesehene Bereiche aufzubrechen. Tatsächlich hat Druillet Elemente der gotischen Architektur, des Jugendstils, der Op-Art und der psychedelischen Kunst in seine Arbeit eingebunden – was ihm einen solitären Platz sichert. Seine Werke sind von derselben bestechenden Eigenständigkeit wie etwa die Bildwelten von M. C. Escher, Chris Foss und H. R. Giger.

In Deutschland wurde Druillet in erster Linie von Raymond Martin gefördert, dem in seiner Rolle als Comic-Pionier bislang weitgehend übersehenen Inhaber des Volksverlags. Er brachte erstklassige Arbeiten wie „Gail“ (1978) und „Salammbô“ (1980) in Schwermetall unter, der Lizenzausgabe von Métal Hurlant, und veröffentlichte das Meisterwerk „La Nuit“ in Albumform (1976; dt. „Die Nacht“, 1981). Auch berücksichtigte Martin die zweite Linie in Druillets Schaffen, nämlich dessen schnell und schmutzig erzählte Kurz-Comics, und sammelte unter dem Titel „Bizarr“ (1981) die Abenteuer des Antihelden Vuzz. Seither ist hierzulande nichts mehr von Druillet erschienen, wenn man von der Publikation der eher nachrangigen Vampir-Phantasie „Nosferatu“ 1990 im Carlsen-Verlag absieht.

Umso verdienstvoller ist nun das Unterfangen des Avant-Verlags, das bislang Versäumte nachzuholen. „Die sechs Reisen des Loane Sloane“ (1972) stellt Druillets bekannteste Figur in einem halben Dutzend Abenteuern vor, die ihn „im Jahr 804 der neuen Zeit, nach dem Großen Schrecken“, aus den Tiefen des Weltraums heim zu einer Erde führen, die nicht mehr von Menschen bewohnt ist. Unterwegs wird Sloane mit dem Thron des Schwarzen Gottes konfrontiert, der ihn körperlich verändert und zu einem Mann mit lodernd roten Augen macht; er begegnet auf einem namenlosen Planeten dem Piraten Shonga, dessen Männer Sloane in einen Untergang kosmischen Ausmaßes führt. Gestrandet auf einer Welt voller zerstörter Raumschiffe, muss er sich der Attacken einer riesigen Maschine erwehren, um schließlich mit jener Orgel, von deren Musik die Metallkreatur gelenkt wird, wieder in den Weltraum aufzubrechen. Und er trifft auf einen zwielichtigen Bekannten, der auf einer Brücke haust, die so groß ist, dass sie ganze Planeten miteinander verbindet.

Die albumlange und von dem Szenaristen Jacques Lob (1932–1990) getextete Geschichte „Delirius“ (1973) hingegen handelt von dem gleichnamigen Vergnügungsplaneten, einer Welt, die jede erdenkliche Ausschweifung bereithält und auf Geld, Gewalt und Korruption beruht. Verwaltet wird Delirius vom Gouverneur Kadenborg, der immense Steuereinnahmen in unterirdischen Kavernen voll todbringender Maschinen hortet, die für den allmächtigen Imperator Shaan bestimmt sind. Da dieser auf Sloanes Kopf einen Preis ausgesetzt hat, geht der rotäugige Mann nur zu gern auf den Vorschlag geheimnisvoller Priester ein, das Geld zu stehlen. Doch er und sein Freund Yearl geraten in eine Falle – und setzen Ereignisse in Gang, die apokalyptisches Format annehmen.

Obwohl beide Titel zu Druillets frühen Büchern zählen, enthalten sie bereits alle Elemente, die sein Schaffen ausmachen: riesige Raumschiffe, gewaltige Schlachten, bedrohliche Kräfte von kosmischem Ausmaß. Entsprechend druckvoll ist der Eindruck, der sich schon beim ersten Durchblättern einstellt. Man spürt die Energie, die dieser Kunst innewohnt und von den Seiten nur mühsam gebändigt werden kann. Tatsächlich sind beide Bände erzählerisch vergleichsweise stringent angelegt und schildern ihre von H. P. Lovecraft und A. E. van Vogt beeinflusste Handlung geradlinig und für Druillets Verhältnisse beinahe konventionell. In der ornamentalen Ausgestaltung der Seiten, den schrägen Perspektiven und der extravaganten Farbgebung ist der Künstler jedoch schon ganz bei sich. Dass sich seine Phantasie noch weiter und zu rauschhafter Intensität steigern sollte, scheint schwer vorstellbar, ist aber in seinen nachfolgenden Büchern zu besichtigen.

Der Avant-Verlag spendiert Druillet eine sorgfältig gemachte, gebundene Ausgabe, die keine Wünsche offenlässt. Ergänzt um Galerien mit frühen Magazin- und Albumcovern werden beide Bände in einem großzügigen Format vorgelegt, das sogar das der derzeitigen französischen Ausgabe übertrifft. Druck-, Papier- und Bindequalität sind erstklassig; darüber hinaus ist eine Vorzugsausgabe angekündigt. Nun bleibt nur zu hoffen, dass sich diese Mühen in Verkäufen auszahlen, die Ausgabe weitergeht – und Druillet endgültig beim hiesigen Publikum ankommt.

 

Philippe Druillet: Die sechs Reisen des Lone Sloane (Les Six Voyages de Lone Sloane) • Aus dem Französischen von Uli Pröfrock Avant-Verlag 80 Seiten € 29,99
Philippe Druillet/Jacques Lob: Lone Sloane - Delirius (Délirius) • Aus dem Französischen von Uli Pröfrock Avant-Verlag 80 Seiten € 29,99

Von den im Text erwähnten Comics sind zuletzt auf Deutsch erschienen:

Enki Bilal: Die Geschäfte der Unsterblichen (La Foire aux Immortels) Carlsen-Verlag 1994 (vergriffen)
Enki Bilal: Treibjagd (Partie de Chasse), in: Fins de Siècle Ehapa-Verlag 2008 € 45,-
Caza: Gesammelte Werke 1–5 (Originalzusammenstellung) Volksverlag 1984 (vergriffen)
Richard Corben: Den – Die Reise nach Nirgendwo (NeverWhere) Carlsen-Verlag 1991 (vergriffen)
Richard Corben/Jan Strnad: Neue Geschichten aus arabischen Nächten (New Tales of the Arabian Nights) Carlsen-Verlag 1995 (vergriffen)
Moebius: Arzach (Arzach) Cross Cult 2008 € 16,-
Moebius: Die hermetische Garage (Le Garage Hermétique) Cross Cult 2008 (vergriffen)

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