23. Oktober 2019

Familiäre Superprobleme

„Hotel Oblivion“: Der neue Comic-Band von „The Umbrella Academy“

Lesezeit: 3 min.

Zwischen 2007 und 2009 begeisterten der amerikanische Autor Gerard Way, damals noch Frontmann der Rockband My Chemical Romance, und der brasilianische Zeichner Gabriel Bá die Superheldencomic-Szene mit ihrer eigenständigen Serie „The Umbrella Academy“. Die Geschichte einer schwer dysfunktionalen Superheldenfamilie bot mit ihren abgefahrenen Weird-Fiction-Ideen und ihrer mutig andersartigen Erzählweise eine willkommene Abwechslung zum Genre-Standard, wofür es zurecht einen Eisner Award sowie Lobeshymnen von Neil Gaiman und Grant Morrison gab. Nach den ersten beiden Miniserien „Weltuntergangs-Suite“ und „Dallas“ wurde es allerdings lange ruhig um „The Umbrella Academy“ – bis Netflix die erste Staffel der gelungenen Fernsehserienadaption ankündigte und Way und Bá nach zehn Jahren endlich die dritte Comic-Storyline realisierten. Gerade ist „Hotel Oblivion“, der neueste Band um die problembeladene Heldenfamilie, mit einem Vorwort von Jeff „Black Hammer“ Lemire auf Deutsch erschienen.

Ob man nun die Comics, die Netflix-Verquickung oder beides kennt: Way hat den dritten Teil der Panel-Serie für alle geschrieben, die „Umbrella Academy“ in irgendeiner Form mögen. Zu Beginn reisen die zerstrittenen Brüder Luther und Diego mit einem Raumschiff in den kosmischen Nachraum; Klaus nutzt seine Kräfte als Medium für Betrügereien, damit eine Biker-Gang ihn mit Drogen versorgt; der skrupellose Junge Nummer Fünf arbeitet neuerdings als Söldner und späht ein Großunternehmen aus; die schwer gezeichnete Vanya erholt sich von ihrem letzten großen Auftritt; und Allison, die Gedanken real werden lassen kann, vermisst ihre Tochter. Während die „Helden“ also alle mit eigenen Problemen und Aktionen beschäftigt sind, braut sich im fernen Hotel Oblivion, dem vielleicht dunkelsten Geheimnis ihres toten Ziehvaters Hargreeves, eine gewaltige Bedrohung superschurkischen Ausmaßes zusammen …

Nach und nach führt Gerard Way seine netten Ideen und die zu den Figuren und ihren Entwicklungen passenden Handlungsstränge zusammen. Doch in dem Bemühen, den eigenen Superheldenstoff weiter möglichst crazy und unkonventionell zu inszenieren, schießt er einige Male übers Ziel hinaus. Es gibt nichts dagegen zu sagen, dass sich manche Szenen erst im weiteren Verlauf der Handlung erschließen – aber muss man es sich 100 Seiten später wirklich selbst zusammenreimen? Ein familiäres Problem mit Ways Comics, der zwischenzeitlich die Doom Patrol reaktivierte und im Spider-Verse mitmischte (er hat scheinbar ein Faible für multimediale Erfolgsgeschichten). Selbst der großartige Gabriel Bá („Daytripper“, „Geschichten aus dem Hellboy-Universum“, „Cassanova“) zeigt zum Ende der neuen Storyline ungewohnte Schwächen, wenn er etwa im krachenden Endkampf plötzlich mehr und mehr Details und Hintergründe einfach weglässt. Als wäre nach diesen frischen sieben Kapiteln nicht nur beim Leser, sondern auch den Machern am Schluss irgendwie die Luft raus. Angesichts der langen Pause zwischen „Dallas“ und „Hotel Oblivion“ fragt man sich als gebrannter Fanboy außerdem, ob die offenen Subplots und der große Cliffhanger, die in einer Fortsetzung aufgelöst werden müssten, wirklich so clever sind. Hoffen wir optimistisch auf die treibende Kraft der medienübergreifenden Popularität.

Natürlich ist es trotz aller Schwächen schön, dass neue Comics zu „The Umbrella Academy“ vorliegen – lange genug hat es gedauert, und die Serie ist noch immer bewusst anders. Mal sehen, wie das schräge Weihnachtsspecial „Hazel & Chacha retten Weihnachten“ von Way, Co-Autor Scott Allie und Zeichner Tommy Lee Edwards wird, das als erstes Spin-Off des Franchise im Dezember auf Deutsch erscheinen soll, und wann und wie es 2020 mit der zweiten Netflix-Staffel und hoffentlich der vierten Comic-Season weiter geht.

Gerard Way, Gabriel Bá: Umbrella Academy Bd. 3: Hotel Oblivion • Cross Cult, Ludwigsburg 2019 • 196 Seiten • Hardcover: 22,00 Euro

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