29. September 2025

„Grün“ von Patrick Lacan & Marion Besançon

Ein SF-Comic über Menschen, die zu pflanzen mutieren, und ihre Gegner

Lesezeit: 3 min.

Der 1969 geborene Franzose Patrick Lacan ist ein recht vielseitiger Kreativer. Seine Werke als Autor und Illustrator reichen von der Science-Fiction-Kurzgeschichte über Satire bis hin zur autobiografischen Graphic Novel. Aus einer seiner SF-Storys hat Lacan mit der 1998 geborenen Zeichnerin Marion Besançon, die angewandten Kunst in Nantes studierte, schließlich den Comic-Roman „Verts“ gemacht. Der ist just als „Grün“ in einem großen, sehr schön aufgemachten Hardcover-Album auf Deutsch erschienen.

In „Grün“ wird die Menschheit eiskalt davon erwischt, dass vielen Babys plötzlich Pflanzenteile aus dem Kopf, den Armen oder den Beinen wachsen – Knospen, Blüten, Zweige, Blätter, die fröhlich sprießen. Niemand kann erklären, wieso oder warum, oder was das zu bedeuten hat, fest steht bloß, dass die Neugeborenen kerngesund sind und die Pflanzen ihnen nicht weh tun, im Gegenteil. Schließlich mutieren auch immer mehr Erwachsene mit entsprechenden Verwachsungen, außerdem wuchert die Natur in den Gärten und Wäldern völlig ungezähmt durch den Alltag der Menschen. Die einen finden das spannend, lassen sich voll auf die Verbindung mit der Natur ein oder wachsen dadurch mit ihren Mitmenschen enger zusammen – die anderen haben Angst vor diesen Veränderungen, finden Gleichgesinnte und sind nach dem hasserfüllten Protest sogar zum brutalen Angriff auf die Pflanzen sowie die Hybride bereit …

Rein von der äußerst gelungenen Optik her ist „Grün“ das, was man gemeinhin unter einem Euromanga versteht – ein Comic aus Europa und damit der westlichen Schule des grafischen Erzählens, dessen Artwork unübersehbar an asiatische Manga und Anime angelehnt ist. Man erahnt also die fernöstlichen multimedialen Vorbilder und Einflüsse von Künstlerin Marion Besançon, die primär auf stimmungsvolle Graustufen setzt, obwohl die finale Epilog-Sequenz der gut 250 Seiten starken Bildergeschichte, mit dem Ausblick in die Zukunft der Symbiose, in Farbe daherkommt.

Inhaltlich bietet die Story von Patrick Lacan eine klassische, fantastische Science-Fiction-Allegorie auf unsere Gegenwart mit all ihren aktuellen Problemen, angefangen bei unserem gestörten Verhältnis zur rebellierenden Natur und den florierenden Rechtspopulismus allenthalben. Der soziale Kommentar zu einer gespaltenen, teils gewaltbereiten Gesellschaft, aber auch der übernatürliche Sense of Wonder der pflanzlichen Mutationen in „Gün“ erinnern dabei an den durchaus begeisternden, lange nachhallenden SF-Film „Animalia“ von Regisseur Thomas Cailley aus dem Jahr 2023. Mal ganz davon abgesehen, dass Swamp Thing und die X-Men gefühlt nur um die Ecke sind …

Allerdings ist bei der Lektüre von „Grün“ die Verbindung zu den Hauptfiguren nicht ganz so stark wie etwa bei Marvels Mutanten oder den Tierwesen aus „Animalia“. In „Grün“ scheinen einem die Figuren eher Vehikel für den Plot zu sein, die Betrachtung und die Message. Obendrein gestaltet sich das Ende des Comics relativ luftig – beides kann das Werk jedoch aushalten, dafür punktet es in anderen Bereichen ausreichend.

Kein perfekter Comic also, und dennoch ein starker, wunderschöner französischer Science-Fiction-Euromanga im begeisternden Albumformat. Es würde einen nicht wundern, sollte „Grün“ von Patrick Lacan und Marion Besançon sich in den nächsten Wochen als Thema wuchernd durchs hiesige Feuilleton ranken …

Patrick Lacan, Marion Besançon: Grün • Comic • Avant-Verlag, Berlin 2025 • 264 Seiten • Hardcover: 35,00 € •

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Christian Endres berichtet seit 2014 als Teil des Teams von diezukunft.de über Science-Fiction. Er schreibt sie aber auch selbst – 2024 ist bei Heyne sein SF-Roman „Wolfszone“ erschienen.

 

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