23. Februar 2018 2 Likes 1

Berlins bunte Düsternis

Zukunft trifft Vergangenheit: Duncan Jones’ „Mute“ auf Netflix

Lesezeit: 3 min.

Mit „Source Code“ legte Regisseur Duncan Jones einen überraschenden, hochinteressanten Thriller vor, mit „Moon“ machte er Science-Fiction-Fans ziemlich glücklich, und mit dem Fantasy-Blockbuster „Warcraft: The Beginning“ lieferte er eine recht ordentliche Videogame-Adaption voller Orks. Jetzt hat der 1971 geborene Engländer mit „Mute“ auf Netflix ein echtes Herzensprojekt umgesetzt, das viele Jahre in seinem Kopf herumspukte, das seine Vorbilder um „Blade Runner“ und Co. genau kennt und das nicht zuletzt eine Verbeugung vor Jones’ Vater David Bowie darstellt.

Deshalb setzt „Mute“ auch in einem retrofuturistischen Berlin des Jahres 2052 ein, das wegen seiner kulturellen Vielseitigkeit und aufgrund seiner sexuellen Freizügigkeit in einer neuerlichen Nachkriegszeit schon sehr an das Berlin erinnert, in dem sich das Popchamäleon Ende der 70er tummelte. In der Zukunft der deutschen Hauptstadt tanzen beim Sohn der 2016 verstorbenen Künstlerlegende nun menschliche Stripperinnen neben maschinellen, und Benzinautos fahren unter Schwebefahrzeugen durch die Straßen, die auf vertraut-leuchtende Weise futuristischer werden, je höher man kommt. Automaten übernehmen derweil die Reinigung der Vergnügungsmeilen am Boden, in denen sich nicht nur desertierte, von der Militärpolizei gesuchte US-Soldaten tummeln, und das bestellte Essen wird per Drohne an den Standort des Smartphones geleifert.

In diesem Berlin lebt der stumme Barkeeper Leo (Alexander Skarsgård aus „Legend of Tarzan“), der seit einem Bootsunfall im Kindesalter nicht mehr sprechen kann, da seine streng religiösen Eltern die Behandlung verboten – für Leo hat die digitalisierte Metropole daher mehr Barrieren als für die meisten anderen. Als Leos kellnernde Freundin Naadirah (Seyneb Saleh) eines Tages spurlos verschwindet, macht sich der geschickte Künstler und Holzschnitzer, der nicht mit Technik kann und immer einen Block und einen Stift zum Kommunizieren dabei hat, auf die Suche nach seiner große Liebe. Das setzt ihn unweigerlich auf Kollisionskurs mit dem kriminellen Nachtclubbesitzer Maksim (Gilbert Owuor aus „Goliath“), dessen Schläger Gunther (der deutsche Wrestler Ulf Herman) und dem überdrehten, moralisch undurchschaubaren Vater Cactus (Paul Rudd aus „Ant-Man“), einem amerikanischen Chirurgen, der sich unerlaubt von der Truppe entfernt hat …

„Mute“, das seit dem 23. Februar auf Netflix zum Streamen bereitsteht, ist vor allem in der ersten Hälfte ein hübscher Neo-Noir-Film, der aus ästhetischer und cineastischer Sicht einiges zu bieten weiß. Jones serviert einem seine Geschichte und seine Zukunft keineswegs auf dem Silbertablett, doch das hilft letztlich dabei, auf die vielen Details zu achten, die in diesem Berlin zwischen Gestern, Heute und Morgen und seiner aufwendigen Textur versteckt sind. Außerdem kann Jones sich stets auf Paul Rudd verlassen, wenn sich „Mute“ mal in irgendeinem schrägen Handlungsstrang verheddert – was nichts daran ändert, dass zwei Stunden einfach zu lang sind für diesen Streifen, den Jones übrigens seinem Vater sowie seiner Nanny Marion Skene widmete. Umso mehr tut es einem leid, nach einer geschickten Zusammenführung der Plotlines, einer unglaublich heftigen Gewaltszene auf der Zielgeraden und einem verkorksten Finale zu dem Schluss zu gelangen, dass Jones die Ausfahrt für „Mute“ verpasst hat und seinerseits nicht wusste, wann er hätte Schluss machen sollen.

Der Krimi-Trip in die ebenso bunte wie düstere Zukunft, die sich mit aller Macht an das Berlin von David Bowie erinnern will und die mit ihrem visuellen Mix aus Vision und Vintage durchaus Freude bereitet, lässt einen also nicht so sprachlos zurück, wie nach dem Trailer erhofft – anschauen kann und sollte man sich „Mute“ als Genre-Fan aber trotzdem.

Abb: Keith Bernstein/Netflix                                   

Mute • Regie: Duncan Jones • Drehbuch: Michael Robert Johnson, Duncan Jones • Darsteller: Alexander Skarsgård, Paul Rudd, Justin Theroux, Seyneb Saleh • Laufzeit: 126 Min.

Kommentare

Bild des Benutzers Doctor Flamenco

Ich fand jetzt nicht unbedingt das die Länge und das Finale die Hauptprobleme von "Mute" waren - Der Film hat mMn mit ganz anderen elementaren Schwächen zu kämpfen.
Zwei Dinge haben sich mir während des Sehens beispielsweise so gar nicht erschlossen: Warum hat der Film einen stummen Protagonisten gebraucht? Und warum musste er unbedingt in der Zukunft spielen? Beides hat für die (dünne) Handlung keinerlei Relevanz.

Punkt 1) Die Stummheit von Leo erschien mir überwiegend nur wie ein "cheap trick", der entweder Identifikationspotenzial beim Zuschauer generieren sollte, weil der "arme Mann" (der ansonsten übrigens keine nennenswerte Charaktereigenschaft besitzt) dadurch gleich so hilflos und "out of time" erscheint - Oder es sollte einfach nur besonders cool wirken, wie sich der Held völlig wort- und auch ebenso gnadenlos durch seine Gegner metzelt. (Letzteres hat bei "Drive" mit Ryan Gosling wesentlich besser funktioniert.)
Punkt 2) Auch wenn die Stadt - das Berlin der Zukunft - (neben dem Sam Rockwell-Cameo und der damit einhergehenden Moon-Anspielung) das einzige Highlight von "Mute" war, hätte die Geschichte genau so gut in der Gegenwart spielen können. Aus dem interessanten Setting wird nämlich nicht wirklich etwas gemacht.
Und wo wir gerade bei der Geschichte sind (der eigentliche Schwachpunkt):
Wenn man alle oben erwähnten Dinge mal ausklammert (stummer Held/Future-Berlin) und den Film auf die reine Handlung reduziert, merkt man recht schnell dass Duncan Jones nicht wirklich etwas zu erzählen hatte:
Freundin von Held verschwindet spurlos, Held will sie zurück und prügelt sich durch unzählige Ganstermassen. That's it... Und genau das ist das eigentliche Hauptproblem von "Mute" - Er ist völlig inhaltslos.
Das soll jetzt ernsthaft die Geschichte sein die schon seit Jahren in Duncan Jones Gehirn am brodeln war und die er unbedingt erzählen wollte? Da kann ich mir auch gleich plumpes Action-Kino a la "Taken" ansehen (gleiche Prämisse) - Oder vielleicht besser: Jones Erstlingswerk "Moon" und (da ich bereits Ryan Gosling angesprochen habe) den neuen Blade Runner. Im Vergleich mit "Mute" wahre Meisterwerke.

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