26. November 2016 3 Likes 3

Die Geschichte eines Lebens

Denis Villeneuves großartiger Science-Fiction-Film „Arrival“

Lesezeit: 4 min.

Der österreichische Psychotherapeut und Soziologe Paul Watzlawick entwickelte 1990 fünf Axiome der Kommunikation. Dabei legte er großen Wert auf Begriffe wie Inhalts- und Beziehungsaspekt, die Unmöglichkeit des Nicht-Kommunizierens – und auf lineare Kausalketten innerhalb des Austauschs. Kommunikation ist bei Watzlawick immer ein kontinuierliches Konstrukt aus Ursache und Wirkung, Reiz und Reaktion. So kommuniziert der Mensch, weil er so denkt. Oder denkt er so, weil er so kommuniziert? Und was wäre, wenn man sich nun einem Gesprächspartner gegenüber sähe, dessen Kommunikationsmodus sich bereits im Kern grundlegend von dem menschlichen unterscheidet, der nicht kausal und konstruktivistisch, sondern vielmehr teleologisch und deterministisch denkt, redet und schreibt? Spielte man dieses Gedankenexperiment konsequent zu Ende, dann hätte man es mit einer Spezies zu tun, die zu Beginn eines Satzes schon das Ende kennt, die kommuniziert, um ein bereits feststehendes Ergebnis zu realisieren, die im Grunde genommen in jeder Sekunde um Vergangenheit und Zukunft weiß und deren Handlungen ausschließlich der Erfüllung ihres eigenen Schicksals dienen. Wäre hier noch Platz für das Konzept des freien Willens? Und Kommunikation mit kausalistischen Menschen überhaupt möglich?

In seiner Kurzgeschichte Story of Your Life (1998) widmet sich der amerikanische Autor Ted Chiang diesen spekulativen Überlegungen, verknüpft Psycholinguistik mit einem angenehm entspannten Alien-First-Contact-Szenario und entwirft ganz nebenbei noch ein wunderbar emotional anrührendes Mutter-Tochter-Drama mit ganz besonderem SF-Dreh. Es ist nicht übertrieben, diese Story ein kleines Genre-Meisterwerk zu nennen; Chiang gelingt hier die Darstellung dessen, was gute SF immer schon ausmachte: die Auswirkungen wissenschaftlichen Fortschritts auf den Menschen im Rahmen spekulativer Fiktion. Mit Aliens.

Das klingt zunächst mal nicht nach Independence Day. Doch Regisseur Denis Villeneuve, der Macher von herrlich intensiven Kammerspielen wie Prisoners und Enemy, beginnt seine Verfilmung des Stoffs mit einem klassischen Invasions-Szenario. An 12 Orten auf der ganzen Welt tauchen eines Tages gigantische linsenförmige Flugobjekte auf und hängen mysteriös und ätherisch einige Meter über dem Boden. Die Medien spielen verrückt, die Menschen sind verunsichert, Angst breitet sich aus. Die Linguistik-Professorin Louise Banks wird dazu auserkoren, den Ersten Kontakt herzustellen – man vertraut ihrer Expertise als Sprachkünstlerin. Diese Aufgabe bricht wie ein Gewitter über ihre tägliche Routine herein; Louise hat offenbar einen schweren Verlust erlitten und lebt allein in einem abgeschiedenen Haus am See. Gemeinsam mit dem Mathematiker Ian wird sie vom zuständigen Militärkommando gebrieft und sieht sich schließlich zwei Außerirdischen gegenüber – siebenbeinige Krakenwesen, deren Sprache sich schnell als unentzifferbar erweist. Zu fremdartig sind die Geräusche, die diese beiden Wesen von sich geben. Also steigt Louise von Phonetik auf Schrift um – und schon bald gibt es erste Erfolge. Die Aliens – mittlerweile liebevoll Abbott und Costello genannt – „schreiben“ mit ihren Tentakelfortsätzen Kaffeering-ähnliche Semagramme in die Luft, kreisförmige kalligrafische Tintenkonstrukte, die Louise nun fieberhaft zu entschlüsseln beginnt. Während sich die Weltlage immer weiter zuspitzt, chinesische Militärs offen die Konfrontation mit den Außerirdischen suchen und Louise immer stärker von Erinnerungen an ihre traumatische Vergangenheit heimgesucht wird. Oder sind es Visionen – oder etwas völlig anderes?

Villeneuve und seinem Drehbuchautor Eric Heisserer – der ausgerechnet für das im völlig falschen Sinne gruselige Remake von A Nightmare on Elm Street verantwortlich zeichnet – gelingt mit Arrival etwas mittlerweile leider ganz Außergewöhnliches: Die Verbindung komplexer Wissenschaftsspekulation mit den Topoi der Blockbuster-SF zu einem mitreißenden persönlichen Drama, das sich basierend auf scheinbar staubtrockenen akademischen Überlegungen Zug um Zug in emotionale Höhen schraubt, die tatsächlich zu Tränen rühren. Villeneuve & Co. nehmen ausnahmsweise mal alles ernst: Soldaten und CIA handeln glaubwürdig, die Wissenschaftler sind eben genau das und nicht bloß wirrhaarige Typen in weißen Kitteln, Menschen verhalten sich wie echte Menschen – und Aliens eben wie Aliens. Das Konzept dieser völligen Fremdartigkeit und ihrer Folgen für alle Kommunikationspartner, das bereits in Chiangs Kurzgeschichte wunderbar kreativ ausgespielt wird, bestimmt in Arrival den Fortlauf der globalen Geschichte und das ganz persönliche Schicksal der Protagonistin – in ihrer Mischung aus reduziertem Nerdtum und latenter Traurigkeit von Amy Adams perfekt dargestellt. Während draußen die Welt in Flammen aufzugehen droht, verändert sich durch ihren Kontakt zu Abbott und Costello Louises Art zu denken. Die zirkuläre Form der Kommunikation hinterlässt Spuren in ihrem Gehirn, und in einem leisen aber nicht minder spektakulären Twist wird ihr Trauma als Folge eben jener Transformation enthüllt. Hier mehr zu verraten wäre Verrat an diesem wunderbaren Film, der in mancher Hinsicht an Stephen Soderberghs Solaris-Remake aus dem Jahr 2002 erinnert (der sich wiederum großzügig bei Resnais’ erratischem Klassiker Letztes Jahr in Marienbad bediente). Mit grandios impressionistischer Kamera springt er elegant zwischen den Zeitebenen hin und her, die Musik von Jóhann Jóhannsson oszilliert zwischen angemessener Ambient-Fremdartigkeit und sinfonischem Sentiment, Liebe ist neben Kommunikation das zentrale Thema. Und am Ende bleibt man tatsächlich tief berührt im Kinosessel sitzen und weiß um seine eigene Zukunft: Man wird sich noch lange mit diesem großartigen Film beschäftigen.

Arrival ist seit dem 24. November im Kino zu sehen.

Arrival (USA) • Regie: Denis Villeneuve • Darsteller: Amy Adams, Jeremy Renner, Forest Whitaker, Michael Stuhlbarg

Kommentare

Bild des Benutzers Johann Seidl

Also ohne Lektüre der Originalstory hat sich mir der Film nicht wirklich erschlossen.
Auch die Entschlüsselung des Codes gib mir viel zu schnell und mit Schildchen und Gesten ala 'Ich bin Jane und du?' etwas zu rustikal. Manche Szenen bauen ungerechtfertigt Spannung auf: da senkten sich nach einem menschlichen Angriff die riesigen Raumschiffe auf Bodennahe nieder inkl. resultierter Zerstörungen. Da soll jeder denken: die schlagen zurück. Dabei zeigt sich, dass die Aliens rundum freundlich gesinnt sind.
Ohne die Story zu kennen: der Film ist für mich unausgegoren mit angeklebtem Drama und höchstens Eyecandy.

Bild des Benutzers Lichtecho

Für mich war der Film ein wunderbares Kinoerlebnis. Allerdings habe ich die Kurzgeschichte von Ted Chiang bereits vorab gelesen. Ich denke schon, dass dies hilft, denn dank der Geschichte war mir klar, dass die Schrift der Heptapoden nicht unserer gewohnten zeitlich-linearen Kausalität folgt. Statt, wie in unserer Sprache Satzwürmer aus einer Abfolge von Ereignissen zu bilden, die auf ein Ziel hin läuft, entfaltet die Kalligraphie der Heptapoden alles was da ist, war und sein wird in einer einzigen Schriftsympolik. Die Geschichte liegt also als Ganzes kodiert im Bild vor. Dadurch gibt es auch keine Moral oder Pointe einer Geschichte und kein Anfang und Ende. Visuell ist das in dem Film stark umgesetzt. Die Idee, die Heptapoden in einer sehr dichten Atmosphäre leben zu lassen, die es ihnen ermöglicht eine Schrift mit einem sehr beweglichen Rauch zu entwickeln, ist wirklich großartig.

Bild des Benutzers Bernd Kronsbein

Gestern Abend gesehen. Relativ voll, was mich schon überraschte. Die größte Überraschung. Beim Abspann blieben die meisten Leute lange still sitzen. Und hinter uns begannen zwei Jugendliche ein Gespräch über den Film, das zunehmend begeisterter wurde. Über die Sprache der Aliens und wie das funktioniert und was für eine tolle Idee das war. Gibt einem ein bisschen den Glauben ans KIno zurück.

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