28. April 2022

„Everything Everwhere All at Once“ – Im Sauseschritt durch die Multiversen

Michelle Yeoh erdet einen visuellen Exzess

Lesezeit: 2 min.

In der theoretischen Physik erfreuen sich Überlegungen zur möglichen Existenz von Multiversen seit Jahren großer Beliebtheit, nun zieht Hollywood nach: Im letzten „Spider-Man“-Film traten gleich drei Versionen des Spinnenmanns auf, Anfang Mai heißt es „Dr. Strange in the Multiverse of Madness“, doch vorher ist es Michelle Yeoh, die aus heiterem Himmel erfährt, dass sie durch Zeit und Raum reist. Genauer gesagt rast, denn „Everything Everywhere All at Once“ ist – der Titel deutet es an – ein Film, der alles sein will, am liebsten gleichzeitig.

Ein Film wie gemacht für die ADHS-Generation, deren Aufmerksamkeit kaum länger reicht als ein Tik Tok-Clip, und passenderweise hält es die von Michelle Yeoh gespielte Evelyn Wang ohnehin kaum in einem Universum aus. In der Realität, in der der Film beginnt, ist Evelyn verheiratet und führt eine Wäscherei. Doch der Betrieb läuft nicht gut, das Finanzamt sitzt Evelyn im Nacken und zu allem Überfluss hat sich auch noch Stress mit der Familie: Ihr greiser Vater ist gerade aus China zu Besuch und wenig begeistert vom Leben der Tochter. Evelyns eigene Tochter wiederum ist lesbisch, was in einer streng konservativen chinesischen Familie natürlich für gewisse Irritationen führt.

Wenn sich das wie der Ansatz für ein klischeeüberladenes chinesisches Familiendrama anhört, wie sie früher zum Beispiel Ang Lee gedreht hat, dann ist das exakt der Punkt. Denn auch wenn das Regieduo Daniel Kwan und Daniel Scheinert – die sich als Duo „Daniels“ nennen – in vollkommen überladenen 139 Minuten alle Möglichkeiten der Multiversums-Idee durchspielen, versuchen sie im Kern von schwierigen, aber auch alltäglichen Familienverhältnissen zu erzählen.

Das allerdings verstecken sie hinter einem visuellen Exzess, der nur in Momenten zur Ruhe kommt, der lieber zu viele Ideen durchspielt, als Gefahr zu laufen, auch nur einen Moment zu langweilen. Im Sauseschritt geht es durch die Multiversen, manche zeichnen sich zum Beispiel dadurch aus, dass alle Menschen mit langen, schwabbeligen Wurstfingern ausgestattet sind, in einem anderen ist Evelyn tatsächlich ein Filmstar à la Michelle Yeoh geworden, die bei ihrer eigenen Filmpremiere einschläft …

Ein bisschen viel ist das oft, nicht jede Idee zündet, mancher Running Gag läuft sich tot, doch allein die großartige Michelle Yeoh in unterschiedlichsten Multiversums-Facetten zu erleben macht „Everything Everywhere All at Once“ sehenswert. Denn bei allem visuellen Exzess, manchen eindrucksvollen Kampfszenen und den vielen Ideen erzählen die Daniels am Ende doch eine kleine, geradezu intime Geschichte, deren Moral man einfach zusammenfassen kann: Egal welches Leben man führt, am Ende geht es doch um die Familie, um die Menschen, die einem am nächsten stehen. Und dagegen lässt sich dann nicht wirklich etwas einwenden.

Everything Everywhere All at Once • USA 2022 • Regie: Daniel Kwan & Daniel Scheinert • Darsteller: Michelle Yeoh, Jamie Lee Curtis, Stephanie Hsu, Ke Huy Quan • Kinostart: 28. April

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