„The Pink Cloud“: Minimalistisches Sci-Fi-Drama aus Brasilien
Vor Corona gedreht, nicht wirklich Corona, aber trotzdem so was von Corona
„The Pink Cloud“ fängt mit folgenden Hinweis an „Dieser Film wurde 2017 geschrieben und 2019 gedreht. Jede Ähnlichkeit zu aktuellen Ereignissen ist zufällig“. Beim Abspann ist dann klar, wieso der Hinweis nötig war. Der Film der Regisseurin und Drehbuchautorin Iuli Gerbase zeichnet mit einer derartigen Präzision und Eindringlichkeit die ab 2020 im Zuge der Corona-Pandemie eintretenden Ereignisse nach, dass man jetzt, 2022, ohne dieses Wissen, den Eindruck bekommen könnte, dass es sich hierbei lediglich um eine Art zugespitzte biografische Aufarbeitung handelt. Dabei wurde von Gerbase die Realität – knapp – vorweggenommen, allerdings unbeabsichtigt: Sie hatte eigentlich einen Film im Sinn, der vom Druck der Konservativen auf die Gesellschaft handelt.
Es sind keine Viren, die den Protagonisten, Giovana (Renata de Lélis) und Yago (Eduardo Medonça), zu schaffen machen. Als die beiden nach ihrem One-Night-Stand am nächsten Morgen aufwachen, heulen die Luftschutzsirene und eine Lautsprecherstimme fordert auf, umgehend Fenster und Türen zu schließen. Die, die sich draußen aufhalten, sollen schnellstmöglich ein Gebäude aufsuchen. Der Grund für die Aufregung: Eine mysteriöse pinkfarbene Wolke, die Menschen innerhalb weniger Sekunden tötet, nur Tiere bleiben verschont. Giovana und Yago müssen sich notgedrungen für längere Zeit miteinander arrangieren, denn die Wolke verschwindet nicht. Verpflegung wird durch ein Liefersystem der Regierung verteilt, Kommunikation mit der Außenwelt findet via Internet statt.
Doch die Katastrophe wird auf ein Minimum runtergedimmt, man erfährt nur vereinzelt am Rande via Nachrichtenausschnitte, Handyaufnahmen und Videotelefonate vom Ausmaß. Die übliche Paranoia in Hinblick auf das Vorgehen der Regierung glimmt nur ganz sachte im Hintergrund, was es mit der Wolke auf sich hat, wird offen gelassen. Gerbade interessiert sich primär für die Auswirkungen der Wolke auf ihre beiden Protagonisten, sie interessiert sich dafür, wie sie mit der ganz neuen Situation umgehen, Veränderungen durchmachen.
Während Yago sich schnell mit der Situation abfindet und einfach nicht versteht, dass sich seine neue Lebensabschnittsgefährtin über Dinge aufregt, die sie eh nicht ändern kann, hadert die von reiner sexueller Begierde angetriebene Giovana sehr mit ihrem Schicksal und wird schließlich – wie so vielen Frauen während Corona – auf ein Mutter- und Hausfrauendasein zurückgeworfen, das sie nie wollte und dem sie sich mit äußerster Konsequenz entgegenstemmen wird. Und da ist dann noch der kleine Lino, der mitten in diesen Ausnahmezustand hineingeboren, somit nichts anderes kennen lernen wird und im Prinzip die tragischste Figur des Films wäre, hätte ihm das deutsche Synchronstudio nicht so eine psychotisch-debile Stimme in den Mund gelegt.
Der ruhige und unaufgeregt erzählte Film kreist im Inneren um das Thema Freiheit, stellt pragmatischen Fatalismus ungebremster Lebensfreude gegenüber, ohne aber Wertungen vorzunehmen: Natürlich hat man tiefstes Verständnis für das Hadern von Giovana, aber ob das die drastische Konsequenz, die sie daraus zieht, rechtfertigt, beantwortet der Film nicht. Genauso wirkt Yagos schnelle Selbstaufgabe zwar bedrückend, allerdings bestechen seine nüchtern Betrachtungen zur Lage mit einer zwingenden Logik; während sich Giovana immer öfter via Virtual-Reality-Helm in die alte Realität flüchtet, stellt sich ihr bärtiger Hausgenosse der neuen, so düster die Aussichten auch sind.
Leider offeriert Gerbase ihren Film zwar interessante Beobachtungen über Menschen in Ausnahmesituationen, mag aber nicht so recht irgendwelche Schlüsse draus ziehen, weshalb „The Pink Cloud“ ein bisschen dahinwabert wie die titelgebende Wolke, nie wirklich greifbar wird. So gut gut das Ganze dank der zwei toll aufspielenden Darsteller als minimalistisches Sci-Fi-Drama funktioniert, man hat die ganze Zeit das Gefühl, „The Pink Cloud“ will einem irgendwas sagen, findet aber nicht so recht die richtigen Worte dafür. Zum Schluss bleibt in erster Linie der Eindruck 104 Minuten aus dem Leben zweier Menschen gesehen zu haben, die einfach nicht zusammenpassen. Unterhaltsam, schön gefilmt und teilweise ein wenig unter die Haut gehend waren diese 104 Minuten aber durchaus.
„The Pink Cloud“ ist bei Lighthouse Home Entertainment als Blu-ray, DVD und VOD erhältlich.
The Pink Cloud (Brasilien 2021) • Regie: Iuli Gerbase • Darsteller: Renata de Lélis, Eduardo Medonça
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