28. Juni 2021 2 Likes

„The Trouble with Being Born“ - Sperriges, aber lohnenswertes Experimentalkino

Ein Androiden-Mädchen als Wiedergängerin

Lesezeit: 3 min.

Es wäre der naheliegendste Gedanke einen Text zu einem Film wie „The Trouble With Being Born“ mit einem Verweis zu Philip K. Dicks einflussreichem Roman „Träumen Androiden von elekrischen Schafen?“ und dessen berühmte und einflussreiche Verfilmung „Blade Runner“ (1982) zu beginnen, auch hier geht es um künstliche Menschen und deren Verhältnis zu echten und natürlich um die berühmte Trennlinie – was unterscheidet uns von den auf unnatürlichem Weg fabrizierten Exemplaren, was macht uns zu dem, was wir sind? Aber der Fingerzeit in Richtung Dick wäre so richtig wie falsch, denn der zweite Film von Sandra Wollner ist trotz Androiden-Mädchen weit weg von klassischer Science-Fiction.

Statt in einer verregneten, neondurchfluteten Großstadt befinden wir uns, nachdem sich aus elektronischen Interferenzen Bild und Ton herausschälen, in einem märchenartigen Waldambiente, allerdings lebt die Hexe hier in einem mondänen Luxus-Häuschen, heißt Georg und frisst keine Kinder, sondern hat eins gebaut, nämlich Elli (Lena Watson). Die kleine Elli ist, wie das puppenhaften Antlitz und die perückenhaften Frisur schnell erahnen lassen, kein Mensch, sondern eine Androidin. Ein Kunstwesen, das dem Mann, den sie Papa nennt, als Ersatz für die vor 10 Jahren verschwundene Tochter dient. Warum das Kind abgetaucht ist, bleibt unklar, ebenso der Grund für das Verschwinden der Frau. Klar dagegen ist, dass Georg (Dominik Warta) seiner Ersatz-Tochter nicht nur Erinnerungen einflüstert, sondern mit ihr Geschlechtsverkehr hat, was natürlich einen bösen Verdacht in Hinblick auf seine echte Tochter wach werden lässt, aber das Drehbuch schweigt sich nicht nur darüber aus, sondern begnügt sich damit, aus einer beobachtenden Position heraus das morbide Geschehen zu dokumentieren.

Das wirft spätestens als der „Papa“ die herausgenommene Zunge des Mädchen, das mit gespreizten Beinen nackt auf dem Tisch sitzt (statt einer Vagina ist lediglich ein schwarzes Loch zu sehen), unterm Wasserhahn reinigt, ein wenig die Frage auf, ob hier nicht (erfolgreich!) auf pflichtgemäß empört aus dem Saal stampfende Zuschauer gehofft wurde, ein bisschen Aufregung macht ja immer interessant(er). Die Pädo-Dreingabe (Elli sollte ursprünglich von einer 20- und keiner 10-jährigen Schauspielerin gespielt werden) lässt den Film sicherlich – auf eine oberflächliche Weise – unangenehm werden, wirkt aber letztendlich irrlichternd, da völlig losgelöst im Raum stehend.

Verhandelt wird jedenfalls ein ganz anderes Thema. Elli ist, und das wird im zweiten Abschnitt deutlich, in dem aus dem Androiden-Mädchen der kleine Junge Emil wird, der einst im Krieg verstarb und jetzt die Schwester trösten soll, eine Art elektronischer Wiedergänger, eine Projektionsfläche, die Löcher in menschlichen Lebenswelten flicken soll. Dabei kreist natürlich alles um die Konstruktion von Erinnerungen, die für die Menschen eine große Bedeutung haben, die Gegenwart überlagern, für die Maschine aber nur eine Programmierung sind, die mit den vergangenen Sinneseindrücken zweier Persönlichkeiten aber offenbar durcheinander kommt und wenn Elli/Emil den Faden verliert, wird der ohnehin schon widerständige Film immer unförmiger, wirkt immer mehr einem (künstlichem?) Bewusstsein entrissen; Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Traum laufen ineinander über, Ton- und Bild driften auseinander, finden wieder zusammen … und am Ende schreitet Elli mit unbekanntem Ziel eine Straße entlang.

Mehr ein düsterer, eindrucksvoll bebilderter Fluss von meist alptraumgleichen Momentaufnahmen als Dienst am Kunden, eine zusammenhängende Nacherzählung ist unmöglich, aber man wird sich definitiv erinnern können und diese Erinnerungen werden sich seltsam unwirklich anfühlen, wie von jemanden anderen, wie eingeflüstert.

„The Trouble With Being Born” läuft ab dem 1. Juli 2021 im Kino.

„The Trouble With Being Born“ (Deutschland, Österreich 2020) • Regie: Sandra Wollner • Darsteller: Lena Watson, Dominik Warta, Ingrid Burkhard, Jana McKinnon, Simon Hatzl

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