27. Januar 2023

„Jung_E“- Die Zukunft ist und bleibt dystopisch

Ein Mutter-Tochter-Drama im High-Tech-Gewand

Lesezeit: 2 min.

Man kann zwar nicht behaupten, dass der südkoreanische Regisseur Yeon Sang-ho mit seinem Erfolgsfilm „Train to Busan“ das Zombie-Genre neu erfunden hat, zumindest eine der inspiriertesten Genre-Variationen jüngerer Vergangenheit hat er dennoch abgeliefert. In den Jahren seit diesem Erfolg, der allein in seiner Heimat elf Millionen Zuschauer ins Kino zog, hat sich Yeon zunehmend den Streamern verschrieben. Außerhalb Koreas kam etwa der Superheldenfilm „Telekinese“ nicht ins Kino, sondern lief gleich bei Netflix, wo auch die Horror-Serie „Hellbound“ ihre Heimat hat.

Nun entstand „Jung_E“ direkt für den Streaming-Riesen, was nicht immer ein gutes, aber auch nicht notwendigerweise ein schlechtes Zeiten ist. An Schauwerten jedenfalls spart Yeon Sang-ho zunächst nicht und zeigt eine spektakuläre Nahkampfszene, in der Yun Jung-yi (Kim Hyon-joo) gegen Roboterwesen kämpft. Zunehmend artifiziell mutet die Szenerie an und bleibt dann auch mitten in der Bewegung stehen, als hätte jemand auf Pause gedrückt. Und so ist es auch, denn was man hier sieht ist ein virtueller Trainingsraum für Roboter, die mit künstlicher Intelligenz ausgestattet sind.

Ausgangspunkt der Versuche ist das Gehirn von Yun Jung-yi, einer ehemaligen Supersoldatin, die vor 35 Jahren verwundet wurde und im Koma liegt. Ausgerechnet ihre Tochter Seohyun (Kang Soo-yeon) leitet die Versuche, die – natürlich – in einer dystopischen Welt stattfinden. Denn wir schreiben das Jahr 2194, die Erde ist längst unbewohnbar, die Menschen leben auf Raumstationen, haben sich jedoch in unterschiedliche Fraktionen aufgespalten, für deren Kriege Robotersoldaten gebraucht werden.

Doch wirklich von Belang ist dieser Kontext nicht, der zu Beginn auf holprige Weise über zahlreiche Texttafeln etabliert wird. Was Yeon Sang-ho in „Jung_E“ interessiert, ist das Verhältnis von Mutter und Tochter, bzw. von einer Mutter, die nur noch als Kopie ihrer selbst existiert und von ihrer Tochter mit zunehmender Verzweiflung am Leben erhalten wird. Ewiges Leben ist in dieser Dystopie zwar möglich, aber nur wenn man das nötige Kleingeld besitzt: Kann man es sich leisten, kann man seinen Geist klonen und in neue, zunehmend perfektionierte Körper übertragen lassen.

Was vielfältige ethische Fragen aufwirft, die jedoch nie ganz durchdacht wirken. Trotz einer für heutige Verhältnisse knappen Länge von keinen 100 Minuten, plätschert „Jung_E“ ein wenig dahin, verliert sich in redseligen Szenen, findet nicht immer einen gelungenen Rhythmus zwischen philosophischen Momenten und mitreißender Action.

An die Rasanz von „Train to Busan“ kommt Yeon Sang-ho mit „Jung_E“ zwar nicht heran, dafür begibt es sich auf inhaltlich ambitionierte Gefilde und variiert das Thema Artifizielle Intelligenz auf interessante, sehenswerte Weise.

Jung_E: Gedächtnis des Krieges • Südkorea 2023 • Regie: Yeon Sang-ho • Darsteller: Hyun-joo Kim, Soo-Yeon Kang, Kyung-soo Ryu • jetzt auf Netflix

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