15. April 2019 2 Likes

Abgang mit Stil

Das Finale der „The Walking Dead“-Serie gerät zur würdigen Verbeugung vor der Leistung des geschlossenen Studios Telltale

Lesezeit: 4 min.

Eigentlich grenzt es an ein halbes Wunder, dass The Walking Dead nun zumindest auf PC und Konsole nun definitiv das vergönnt ist, was man sich im nimmer enden wollenden Strom aus weiteren Staffeln, Spin-offs oder Kinofilmen für das Serienuniversum von Robert Kirkland gar nicht mehr so recht vorstellen kann: einen stimmigen Abschluss zu finden. Nach der (dann doch im Nachhinein) nicht ganz so überraschenden Pleite von Telltale Games, das uns über gut eine Dekade hinweg mit Spieleserien zu Hitgaranten wie Game of Thrones, Batman oder eben The Walking Dead unterhalten und mit ihren storylastigen Adventures maßgeblich am Wiederaufstieg des lange eher totgeglaubten Genres mitgewirkt hatte, stand schließlich lange in den Sternen, ob die bereits vorab als Final Season betitelte vierte Runde WD nach zwei Episoden überhaupt noch abgeschlossen wird (wir berichteten mehrfach).

Wie wir nun natürlich längst wissen, nahm sich dieser Aufgabe glücklicherweise Skybound unter Mithilfe von Kirkland höchstselbst an, sodass nach dem Launch der letzten Episode Ende März (wie gewohnt für PS4, Xbox One, PC und Switch) nun die zuweilen äußerst leidvolle Heldinnenreise der seit der ersten Staffel eingeführten Clementine abgeschlossen ist. Was aber vielmehr zu würdigen wäre, ist mit wieviel Fingerspitzengefühl Skybound einerseits die Handlung weiterführte und andererseits aus der längst angestaubten Engine noch ein paar Gameplay-Momente herausholte, die man gerne so schon in früheren Telltale-Produktionen gesehen hätte. Aber wer will sich mit dieser mühsamen Diskussion wirklich aufhalten. Ohnehin sollte man lieber das Vorliegende loben, denn dazu gibt es allen Grund.

Speziell das Verhältnis zwischen der trotz ihres nach wie vor jungen Alters geradezu erwachsenen Clementine (eine Zombie-Welt ist eben ein innerer Wachstumsbooster) und ihres kleinen Schützlings AJ, den Clementine wie eine Mutter großzuziehen und zu beschützen versucht, bietet bis in die letzte Episode einigen Zündstoff, der sich an Clementines Vorbildfunktion fixieren lässt. Wie gewohnt zwingt uns das Geschehen in zahlreiche moralische Dilemmata, in denen unsere Entscheidung (vermeintliche) Auswirkungen auf das Weltbild von AJ haben und wir so mehr oder minder aktiv daran beteiligt sind, ob aus dem gar nicht mehr so unschuldigen Jungen ein eher abgeklärter Killer oder ein verantwortungsbewusstes Mitglied einer Gemeinschaft wird.

Eingebettet ist diese heikle, oft affektiv aufgeladene Situation in ein für die Reihe generell ungewohnt jugendliches Setting einer Gruppe von Schülern, die nach dem Ausbruch der Zombiefizierung in ihrer alten Schule ohne Erwachsene ums Überleben kämpfen. Clementine und AJ werden zwar zunächst in Episode 1 mit offenen Armen aufgenommen, kommen jedoch bald dahinter, dass Anführer Marlon einigen Dreck am Stecken hat, der zur Eskalation führt.

Als es für Clementine noch zu einem Wiedersehen mit einer alten Bekannten kommt, die mit ihrer Gruppe die Schüler für ihre eigenen kriegerischen Zwecke rekrutieren möchte, entwickelt sich über die vier Episoden ein äußerst spannender, dank straffer Dramaturgie nie langweiliger oder gar flacher Defend-and-Revenge-Plot mit einigen markigen Highlights. Besonders überzeugen dabei Momente, in denen Clementine etwa romantische Gefühle entwickeln oder sich Ängsten stellen muss, welche die Macher in symbolische Traumsequenzen verpackt haben. Mehrfach übernehmen wir auch AJ als Spielfigur, sodass die enge Verbindung der beiden Protagonisten in ihrer Bedeutung für eine mögliche Zukunft der Menschheit spielerisch untermauert wird.

Wie angedeutet, punktet die Staffel mit frischen Gameplay-Dynamiken. Dazu zählen insbesondere die Szenen, in denen man tatsächlich innerhalb eines abgesteckten Areals etwa gegen Untote antreten und Geschick im Umgang mit der frei zielbaren Waffe sowie dem dabei notwendigen Timing beweisen muss. Zwar neigen einige dieser Sequenzen dazu, uns ein zu enges Zeitfenster für unsere limitierten Aktionen zu gewähren, doch mittels stets sehr fairer Rücksetzpunkte und der aufgrund dieser Neuerungen wesentlich greifbareren Dramatik kann man über solch kleine Unzulänglichkeiten locker hinwegsehen.

Sehr kurze Stealth-Einlagen gehören ebenso zum Repertoire von Final Season und fügen sich in das auf mehr Abwechslung ausgelegte Konzept gut ein. Insgesamt müssen sich Telltale-Kenner aber beim Mix aus leichten Pseudorätseln, vielen Dialogen mit zeitkritischer Antwortauswahl und dynamischer eingebauten „Action“-Situationen nicht umstellen. Dass sich die Autoren mit Blick auf AJ bemüht haben, das unvermeidliche Abdanken mancher Figuren variabler und so noch intensiver als früher zu gestalten, ist in diesem Mix ein echter Pluspunkt.

Das gilt auch für die markant expressiven Licht- und Farbstimmungen, die im Zusammenspiel mit den detailliert ausgearbeiteten Charaktermodellen für gehobene Atmosphäre sorgen. Die harten, meist sehr düsteren Kontraste unterstreichen die betrübliche Grundsituation vorzüglich, obgleich man jedoch einwerfen muss, dass die Grafik – wie üblich – einige Ruckler und Nachlader mit sich herumschleppt. Erstmals innerhalb der Serie können wir auf deutsche Synchronsprecher zurückgreifen, deren Qualität allerdings im direkten Duell mit ihren englischsprachigen Kollegen mangels wirklich passender Auswahl und so manch eigenwilliger Betonungen merklich abfällt. Ähnliches gilt für die Untertitel, die mit Schreibfehlern und einer nicht immer optimalen Übersetzung leichte Abzüge in der B-Note nach sich ziehen.

Wer den Abschluss der letzten Episode folgerichtig als finalen Vorhang der Telltale-Ära mitbegreift, wird sich sicher über das WD-typisch leicht ambivalente, hochemotionale Ende der Clementine-Story freuen. Wie in den allermeisten Produktionen der Adventure-Experten sticht weniger das letztlich betont seichte Gameplay hervor, um so möglichst viel Raum für das zu lassen, was Spielen in bestimmten Genres so oft (und nicht ganz zu Unrecht) abgesprochen wird – packende Charaktere zu entwickeln, deren Gefühle, Schicksale und Entscheidungen einen nicht kalt lassen. Schon dafür sollte man Telltale Games in bester Erinnerung behalten.

Fazit

Eine Staffel, die all das (und mehr) aufbot, was Telltale über Jahre zur echten Marke avancieren ließ. Nicht nur wegen The Walking Dead bedanken wir uns – trotz aller nachvollziehbaren Kritikpunkte – für viele grandios geschriebene Adventure-Perlen wie Batman, The Wolf Among Us oder Tales from the Borderlands. We will definitely remember this.

The Walking Dead - The Final Season • Telltale Games/Skybound • Adventure

Abb. © Telltale Games/Skybound

 

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.