19. September 2016

The Beauty Of Graphic Nature

Das Parcours-Game „Valley“ von Blue Isle

Lesezeit: 5 min.

Im Speed-Run durch einen romantischen Zauberwald. So könnte man kurz und knapp das Konzept von Valley beschreiben, dem jüngsten Projekt der Slender-Entwickler Blue Isle. Ausgerüstet mit einer Art Exo-Skelett, das den Träger entgegen jeder Trägheit eines Walking-Simulators schneller rennen und höher springen lässt als es je ein anderen Mensch zuvor, erkundet man in Valley aus der Ego-Ansicht ein weitläufiges Tal in den Rocky Mountains auf der Suche nach einer mysteriös mystischen Naturkraft, die offenbar schon so manchen Militärwissenschaftler an den Rand übermächtigen Wahnsinns getrieben hat. Mit diesem Anklang ist die Handlung des Action-Adventures fast schon erschöpfend angerissen, denn Valley schickt uns mit einem stummen und gesichtslosen Helden auf sie Reise, der ungefähr so markant charakterisiert wird wie ein Schnitzel an einer beliebigen Pommesbude. Die Hintergründe um das Exo-Skelett, das Tal mit all seinen mystischen Besonderheiten wie fremden Lebewesen und seinen vorzivilisatorischen Bauten sowie die Nachwirkungen eines Forschungsprojektes, das in seinen Auswirkungen selbst die Entwicklung der Atombombe durch das Manhattan-Projekt in den Schatten stellen wollte, werden uns in schmucklosen Audioaufzeichnungen und speziell in ihrer Fülle geradezu absurd im Tal verstreuten Notizen präsentiert. Imposante Cut-Scenes sind dabei ebenso rar gesät, sodass man Valley im Grunde getrost ohne jede Aufmerksamkeit auf Story oder anderweitige narrativ herbeigesehnte Anschlüsse genießen kann.

Blue Isle hat aus seinem Vorgänger-Projekt Slender – The Arrival trotz oder aufgrund der leider zurecht eher lauen Resonanz einen wichtigen Schluss gezogen: Gutes Gameplay braucht zur vollen Entfaltung vor allem ein dazu passendes Setting, um alle Vorzüge stimmig an Spieler hertragen zu können. Und genau das beherzigt Valley dermaßen famos, dass man über kleinere Schwächen hinwegsehen und sich mit etwas Wille ganz und gar bezaubern lassen darf. Die Entwickler verpassten dem Konzept den Rahmen eines explorativen Action-Adventures, wobei die Action weitaus reduzierter ausfällt als der zweite Bestandteil. Nach einem recht nüchternen Prolog finden wir uns schon kurz darauf im Tal wieder, das für die folgenden gut fünf Stunden Spielzeit eine durchaus prächtige Kulisse für alle Speed-Reisenden bereitstellt. Nach wenigen Metern wartet bereits das Exo-Skelett auf uns und schon kann es mit einer in Fleisch und Blut übergehenden Steuerung der erworbenen Fähigkeiten an die Erkundung gehen. Dabei meistern wir nicht nur flink und wendig allerlei Parcours-Tricks, um Geheimnisse wie entlegene Schatzkammern zu lüften und geheimnisvollen Ruinen auf den Grund zu gehen, sondern dürfen eine Fähigkeit einsetzen, die der implizit mitlaufenden Thematik eines im wahrsten Sinne bewussten Umgangs mit der Natur eine spielerisch greifbare Dimension verleiht.

Unser mechanischer Fund verleiht uns nämlich zusätzlich die Macht über Leben und Tod im Tal. Flora und Fauna lassen sich mit einem Knöpfchendruck ebenso wie Tiere beleben oder töten, um unseren eigenen Lebensenergiehaushalt stabil zu halten oder uns mit Kraftstoff für unsere Sonderfähigkeiten wie einen beherzten Doppelsprung abzuzapfen. Jedes Ableben durch Stürze in die Tiefe kostet allerdings auch dem uns umgebenden Ökosystem Energie, was sich mit toten Bäumen um uns herum auch visuell schnell niederschlägt. Geht die Kraft von Mutter Natur gar gänzlich aufgrund zu vieler Abstürze unsererseits zur Neige, bleibt uns eine Rückkehr ins Leben verwehrt und das Areal muss von vorne berannt werden. Ein Schelm, wer dahinter nicht eine tiefere Botschaft um eine Verbindung zwischen Mensch und Natur vermutet. Auch wenn das spontane Verdorren oder Wiederbeleben einer jahrhundertealten Eiche oder der knuddeligen kleinen „Wald-Aliens“ mehr nach Spielerei denn nach komplexer Gameplay-Mechanik klingt, bringt die Lebensenergiefähigkeit zumindest ein wenig Taktik in das ansonsten sehr geradlinige Parcours-Design des Games und überfordert sicherlich niemanden.

Rennen, hüpfen, Objekte sammeln, Eingänge suchen und sich mit einem Haken durch die Gegend schwingen – was könnte da noch fehlen? Ach ja, gekämpft wird in Valley manchmal auch, allerdings auf einem sehr eingeschränkten Niveau. Das liegt einerseits an der läppisch geringen Anzahl an Feindklassen und andererseits am immer gleichen Ablauf der Konfrontationen. Da es keine unterschiedlichen Waffensysteme ins Geschehen geschafft haben, wirken die Kämpfe bis zum einzigen (dann auch finalen) Aufeinandertreffen gegen einen größeren Gegner eher aufgesetzt und wohl niemand würde sich nach einem Durchlauf des Abenteuers darüber beschweren, wenn es die Feindkontakte gar nicht gegeben hätte.

Nach und nach lassen sich neue Kräfte wie Magnethaftung und andere nützliche Gadgets für den beweglichen Kampfanzug mittels gefundener Truhen freischalten, die für mehr Abwechslung in den einzelnen Arealen sorgen als die ohnehin sehr seltenen Energieschusswechseln mit den Feinden. Das große Plus des Titels offenbart sich schließlich in der Performance der weitläufigen, allerdings nicht gänzlich offenen Spielwelt: Atmosphärisch präsentiert sich Valley mit seinen sehr unterschiedlichen Arealen markant pointiert (etwa durch Tageszeitenwechsel), malerisch schön und musikalisch angenehm dezent vertont, ohne letztlich technisch wirklich zu brillieren. Ähnlich wie bei modernen Indie-Hits wie Journey haben es die Entwickler verstanden, insbesondere mithilfe grandioser Licht- und Schatteneffekte sowie einiger sich optimal vom üblichen Spielfluss abhebenden Skripsequenzen sehr gut zu kaschieren, dass sie eben nicht über ein Blockbuster-Budget eines grafischen Referenztitels a la Uncharted 4 verfügen durften.

Die Freude am Abenteuer lebt sehr stark davon, dass wir uns in einen wunderbar angenehmen Flow zwischen stimmiger Inszenierung und gut ausbalanciertem Gameplay verlieben dürfen, wenn wir im High-Speed-Modus elegant von Baum zu Baum schwingen oder minutenlang nahezu ungehindert über Gewässer, Schienen oder Graslandschaften flitzen. Mangelnde Orientierung aufgrund fehlender Kartenhinweise oder auch einige wenige etwas störrische Abgrund-Sprünge federn die Programmierer mithilfe einer intuitiven Wegmarkierung und sehr fairen Rücksetzpunkten gut ab und fördert damit einen flüssigen Spielablauf. Da Blue Isle mehrmals Sequenzen kreiert, in denen das Flow-Gefühl mustergültig mithilfe längerer Speed-Passagen ohne Störmomente fokussiert wird, bekommt Valley manchmal etwas geradezu angenehm Meditatives ohne allerdings eine tiefere Meta-Ebene anzustreben wie sie etwa das bereits genannte Journey oder gar als radikale Sozialkritik interpretierbare Games wie Inside provozieren.

Als spielerisch insgesamt eher leichtes, thematisch nicht zu weit ausholendes Action-Adventure, ist Valley allen Spielern empfohlen, die sich auf eine stimmungsvolle Entdeckungsreise einlassen möchten, die sich nicht darauf beschränkt, „nur“ atmosphärisch wirken zu wollen. Jeder, der sich das Exo-Skelett überstreift (oder besser besteigt) hat es mit einem echten Game und nicht mit einem interaktiven Film zu tun, das man wie einen Titel aus dem Hause Telltale selbst ohne gezielte Affinität zum Medium mehr oder weniger ohne viel eigenes Zutun ablaufen lassen könnte. Selbst wenn der schöne Schein des Tals nicht für echte Langzeitmotivation sorgt und gerade die Kämpfe in ihrer Künstlichkeit mehr Langeweile hervorrufen anstatt zu motivieren, ist Blue Isle mit Valley ein echter Geheimtipp gelungen, den nicht nur Fans von Action-Adventures und Indie-Games zumindest in Augenschein nehmen sollten. The beauty of nature is calling.

Valley ist für PS4, Xbox One und PC erhältlich. Ein Trailer ist unter dem Beitrag eingebettet.

Valley • Blue Isle • Action-Adventure

Abb. © Blue Isle Studios Inc.

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.