25. Juni 2019 2 Likes

I am here, Emma

Der packende Weltraum-Thriller „Observation“ ist trotz seiner Mängel eine der Gaming-Überraschungen des Jahres

Lesezeit: 5 min.

Verloren in den Weiten des Alls, eine Station gesteuert von ihrer alles beobachtenden KI und eine Astronautin, die verzweifelt versucht, einer undurchsichtigen Lage Herr zu werden – schon jetzt dürften vielen Lesern zahlreiche Referenzen aus Film, Spiel und Literatur einfallen, die an die hier skizzierte Ausgangslage von No Codes jüngstem Sci-Fi-Thriller Observation (seit gut einem Monat für PS4 und PC zum kleineren Preis von unter 25 Euro erhältlich) erinnern. Mit einer erstaunlich konkreten Hingabe gerade an cineastische Vorbilder wie 2001 - Odyssee im Weltraum, Gravity oder Arrival sowie den Game-Kollegen Adrift, schicken uns die Macher auf einen buchstäblich atemberaubenden Trip, der bis zum grandiosen Finale mehr Fragen denn Antworten preisgibt und gerade atmosphärisch ein echtes Meisterwerk darstellt.

Der vielleicht größte Clou von Observation besteht dabei bereits im Aufbrechen klassischer Rollenverteilungen. Denn anders als in vielen anderen Games, übernehmen wir nicht die Rolle der zu Beginn allein auf einer Raumstation (wie der ISS) ziemlich verloren wirkenden Dr. Emma Fisher, sondern der Stations-KI SAM. Das hat zur Folge, dass wir über weite Strecken des rund 6-stündigen Abenteuers nicht frei durch die Station navigieren können, sondern das Geschehen fast komplett über wechselbare Kameraperspektiven wahrnehmen und so zu einer dramaturgisch geschickt aufgebauten Statik verdammt sind. Nach einiger Zeit ist es aber immerhin möglich, mit SAM kleinere Drohnen zu übernehmen und so durch die klaustrophobischen Gänge der Station (und sogar stellenweise entlang der Außenhülle im All) zu fliegen.

Seine visuell offensichtliche Faszination steigert Observation mit einer markantem Prise Realismus, die insbesondere das Design der Station betrifft. Wer etwa die Bilder der ISS mit Alexander Gerst verfolgt hat, dürfte mit SAM einige interessante Aha-Erlebnisse verspüren. Storytechnisch geht es zunächst darum herauszufinden, was mit der Station und dem Rest der Crew neben Emma geschehen ist. Denn nach einem technischen Ausfall der Anlage, weist SAMs Gedächtnisprotokoll gravierende Lücken auf und gegen Ende des Tutorials müssen er und Emma feststellen, dass die Station entgegen ihrer eigentlichen Mission tatsächlich in der Umlaufbahn des Saturn angekommen ist.

Ein Vorgang, den SAM zwar laut Protokoll selbst eingeleitet hat, jedoch nun nicht zu erklären im Stande ist. Um diesem Mysterium auf die Spur zu kommen, müssen wir nun auf Anweisung Emmas Informationen scannen, Funktionen der Station rekalibrieren und zahlreiche Schleusen, Computer oder Funktionen hacken, um die Station wieder für uns begeh- und nutzbar zu machen. Auf Feinde oder Balleraction verzichtet der Titel dabei angenehmerweise vollständig und schiebt stattdessen das Lösen von Rätseln und das Erkunden der weitgehend dunklen Stationsabteile in unseren Fokus.

Beides gestaltet sich allerdings zuweilen schwierig, denn Observation verzichtet leider zu oft auf detaillierte Hinweise und die Orientierung fällt in den naturgemäß sehr ähnlich aussehenden wie verwinkelten Gängen schwer. So können oft mehrere Minuten vergehen, bis man überhaupt den Weg zum Ziel gefunden oder auch nur im Ansatz verstanden hat, worin die Lösung des aktuellen Problems überhaupt besteht. Das irritiert umso mehr, je offensichtlicher wird, wie simpel die meisten jeweiligen Minispiel-Mechaniken im Grunde eigentlich sind. Speziell spätere Schalter- und Verbindungsaufgaben werden fast zur Frustaufgabe, die das ohnehin äußerst gemächliche Erzähltempo des Spiels weiter ausbremsen und der Dramaturgie unnötig den Wind aus den Segeln nehmen.

Das nervt besonders gegen Ende der Kampagne, die in Sachen Spannung deutlich anzieht und uns neben durchgedrehten Besatzungsmitgliedern unter anderem sogar selbst in bester HAL-Manier vom passiven Werkzeug zum aktiven Killer mutieren lässt. Wenn wir allerdings gerade in diesem Moment erstmal mühsam die Funktionen der Station nachvollziehen müssen, obwohl wir gerade Zeuge einer Todesangst-Situation sind, grätscht das Gameplay die Story zeitweise vom Spielfeld. Da wäre weniger – im Sinne eines reinen Walking Simulators – oft mehr gewesen. Das zeigt sich auch dann, wenn wir uns abseits der Kernaufgaben die vielen Texte und Audioaufnahmen ansehen, die auf der Station verteilt sind, und die uns ein angenehm tiefes Verständnis der einzelnen Crewmitglieder vermitteln.

Observation lebt wie kaum ein anderer aktueller Titel von seiner intensiven, höchst kryptischen Story, in der etwa die symbolische Kommunikation mit einer fremden Intelligenz und sogar Multiversen eine Rolle spielen. Mehr sollte man nicht verraten, doch es dürfte schon nach diesen Anklängen klar sein, dass die eingangs genannten Filme sehr deutlich Pate standen. Der spärliche, aber stets wirkungsvoll eingesetzte Sound, sehr gute (englische) Sprecher und das hyperreal inszenierte, sehr glaubhafte Setting inklusive einiger kleinerer Schockmomente und authentischer Videofilter mit Störeffekten, fesseln von der ersten Stunde an und halten so trotz der spielerischen Mängel bis zum Schluss bei der Stange.

Man möchte unbedingt wissen, was es mit all den mysteriösen Ereignissen auf sich hat, die sich bis zum überraschenden Finale nicht wirklich in die Karten schauen lassen. Da stören selbst die etwas detailarmen Animationen der Figuren nicht und an die gewollt langsame Steuerung hat man sich schnell gewöhnt. Kurzum: So mittelmäßig und gezogen das Gameplay mit der Zeit ausfallen mag, so grandios spinnt Observation weiter sein Referenzen-Netz zu einem stimmigen und zu einigen Diskussionen einladenden Gänsehaut-Erlebnis.

Was bei aller Begeisterung für die Inszenierung nicht unter den Tisch fallen sollte, sind ein paar Bemerkungen zur nicht völlig konsequent verhandelten Thematik einer KI als Protagonisten, die per se spannende Gedankengänge bereithält. Schließlich sind wir „dank“ SAM zunächst in die Rolle eines bloßen Befehlsempfängers gedrängt, der allerdings selbstlernend zurück zu alter Funktionsform finden muss, dabei jedoch nicht wirklich freie Entscheidungen trifft. Da Observation leider kaum bis keine alternativen Lösungswege parat hält und die Story nicht verändert werden kann, wirken SAMs später angedeutete Tendenzen hin zu einem eigenen Bewusstsein in diesem Kontext eher aufgesetzt denn glaubhaft.

Das gilt abgesehen von den spielerischen wie inszenatorischen Implikationen ebenso für das Big Brother-Prinzip. Trotz des variablen Umschaltens zwischen den Kameras kommt so gut wie nie das Gefühl der Überlegenheit und Omnipräsenz auf, die man in der heutigen Welt der Algorithmen-Überwachung diskutiert. Vielmehr wirkt SAM dann doch letztlich wie so viele Game-Avatare mit Gedächtnis(speicher)verlust und strikt definiertem Aktionspotenzial, wobei sich beides im Verlauf der Handlung erweitert. Dass sich dieser Aspekt aber nach Abschluss der Kampagne wiederum kontrovers debattieren lässt, darf man den Entwicklern wiederum als Pluspunkt zu Gute halten. Vieldeutigkeit kann eben eine Tugend sein.

Fazit

Sci-Fi-Kino zum Selberspielen! Trotz zuweilen unnötig komplizierter Knobeleinlagen und erschwerter Orientierung, entfaltet No Codes Observation einen geradezu cineastischen Thriller-Sog, dem sich Fans des Genres vor allem dank klug gesetzter, eben nicht auf platte Action ausgerichteter Wendungen kaum entziehen können.

Observation • No Code/Digital Revolver • Weltraum-Adventure • PS4/PC

Abbildung © No Code/Digital Revolver

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