7. Mai 2021 3 Likes

„Returnal“: Der Kreislauf der Sucht

Der erste echte Kracher auf der Playstation 5

Lesezeit: 5 min.

Ein Möbiusband gleicht einer Reise, die zum Schluss am Anfangspunkt endet und doch auf dem Weg das Wesen verändert. Ein mathematisches Konstrukt mit nur einer Seite, aber ohne zuweisbare Innen- und Außenfläche, das auch für den menschlichen Verstand nur schwer greifbar, aber sehr leicht darstellbar ist. Kreative und Künstler sind seit jeher von diesem Konzept fasziniert, wie M. C. Esher, die Perry-Rhodan-Reihe oder etliche David Lynch-Werke zeigen. So verläuft auch der nicht ganz ewige Kreis „Returnals“, der mit der Zeit immer mehr und mehr Spuren hinterlässt. Und hinter der anfänglich harten Schale verbirgt sich ein suchterzeugendes, beinahe grandioses Nextgen-Videospiel.

Die Story des Playstation-5-exklusiven „Returnal“ ist in einem Satz erzählt: Astra-Scout Selene strandet auf dem fremden Planeten Atropos, möchte ein fremdes Signal orten und findet sich in einer Zeitschleife wieder. Und wer sich hier ein clever gesponnenes Garn erhofft, sei lediglich mit dem herausragenden Gameplay vertröstet, denn um den größten Makel gleich aus dem Weg zu schaffen: Selenes Werdegang und die Geheimnisse um Atropos sind leider wirr bis belanglos und fadenscheinig erzählt, die nicht nur zunächst oft kontextlos erscheinen, sondern auch zum Schluss – wenn einige der Antworten kommen – eher mehr Fragen aufwerfen und widersprüchlich sind. Selbst in einem Spiel über paradoxe Zeitschleifen. Dafür aber bringt der finnische Sony-Stammentwickler Housemarque das an den Tisch, was sie können: funkenschlagendes, frenetisches Gameplaygewitter.

Mit ihrem allerersten Triple-A-Game besinnen sich Housemarque alter Stärken. Auch wenn es sich um den ersten großen Titel mit Millionen-Budget handelt, und sogleich um ein Rogue-Like, sind die Hausmarken Housemarques in Form der schier überschäumenden Gegnerhorden, dem knackigen Schwierigkeitsgrad und dem blitzschnelle Instinkte erfordernden Minute-to-minute-Gameplay vorhanden. Während zu früheren Zeiten besonders Titel wie „Super Stardust“, „Alienation“ und „Resogun“ das Arcadegamerherz in die Höhe schnellen ließen, so spielt sich das Thirdperson-Rogue-Like in den Grundfesten trotzdem genauso. In den prozedural zufallsgenerierten Leveln feuern Gegner unzählige Energiekugeln auf den Spieler ab, denen es effektiv auszuweichen oder aus dem Weg zu gehen gilt, während man zeitgleich versucht mithilfe von diversen Waffenkombinationen den Schädlingen den Garaus zu machen. Linker Trigger zielt – oder wählt bei stärkerer Betätigung des fantastischen Dual-Sense-Controllers den Alternativwaffenmodus, rechter feuert und mit Kreis flitzt man zur Seite. Besonders letzteres ist der lebensnotwendige Skill, den es zu meistern gilt, denn der Dash gibt dem Spieler während des Sprints Invincibility-Frames, einzelne Momente, in denen man unsterblich ist und so bei genauem Timing durch Geschosse und an Gegnern vorbeihuschen kann. Das wird besonders bei den epischen Bosskämpfen dringend nötig, wo Attacken ganze Bildschirme mit Energiegeschossen füllen.


„Die verworrene Geschichte spielt sich meist in Firstperson-Abschnitten eines Hauses ab.“

Den richtigen Reiz übt „Returnal“ aber erst mit gewonnener Vertrautheit aus. Während Selene beim Ableben alle Welten noch einmal ganz von vorne, ohne Speichersystem, beginnen muss und ein einzelner Run dann gut und gerne noch 1-3 Stunden dauern kann, so wird mit dem Können und Vertrauen des Spielers am Ende der Kampagne ein Run auf 15 Minuten herunter gestutzt. Und richtig gelesen: „Returnal“ bietet quasi keinen Speicherpunkt. Das Spiel gewährt zwar einen weichen Reset zu Beginn von Akt 2, allerdings werden nach wie vor alle Items, Waffen, Upgrades und Energiebalken zunichte gemacht, sobald Selene stirbt und man beginnt den ganzen Spaß quasi „von Null“ noch mal neu. So werden die Runs dazu genutzt, sich mit Waffen, Upgrades und Gegner- sowie Angriffsmustern vertraut zu machen – mit möglicher Chance zum Boss vorzudringen – um darin stetig immer besser zu werden. Oder man lässt sich Zeit und sucht jeden einzelnen Raum der sechs Biome – der Spielwelten – nach und nach ab, rüstet sich aus, und powert so das Spiel wie eine Schildkröte durch. Allerdings ist es hier eben besonders schmerzvoll, wenn man plötzlich durch eigene Unachtsamkeit oder unweise Entscheidungen das eigene Leben verliert und Spielzeit von guten drei Stunden auf einmal verliert.


„Üblicher Alltag in Returnal: Nichts für schwache Nerven.“

Und unweise Entscheidungen gibt es in „Returnal“ wie Haare auf einem Wookiepelz. Quasi jeder neue Raum stellt den Spieler vor die Wahl. Betreten, oder nicht? Ist man danach besser dran als vorher? Oder findet man nur nutzlose Items oder verliert gar zu viel Energie? Und selbst die Items sind mit Bedacht zu wählen. Viele Kisten, Vorteile verschaffende Parasiten oder Items lassen sich mit einer Wahrscheinlichkeit einer Fehlfunktion öffnen oder aufnehmen. So birgt eine Kiste unbekannten Inhalts vielleicht die Erlösung, aber es besteht eine Chance einer solchen Fehlfunktion. Diese kann von „10% weniger Schutz“ bis zu „Jedes aufgehobene Item macht Schaden“ reichen. Auch die genannten Parasiten bringen immense Vorteile, wie größere Chance auf Ressourcen, sind aber stets mit einem Makel ausgestattet – der ebenso zufallsbedingt ist, hier jedoch zumindest im Vorfeld vor der Akquirierung vermittelt wird. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, welches aber unglaublichen Spaß bereitet. Das Einzige, was in „Returnal“ von Dauer ist, sind die der Erforschung zugewiesenen Items wie der Enterhaken und den Hadal-Ballast, welche man nach und nach von Bosskämpfen ergattert, die dann auch nach dem Ableben im Inventar verweilen und so auch Welten effektiv überspringen lassen, wenn ein Boss einmal das Zeitliche gesegnet hat.


„Traue ich mich da rein oder nicht? Ein Frage, die man sich im Spiel häufig stellt.“

Gerade bei den Bossen zeigt sich „Returnals“ große grafische wie spielerische Pracht. Was dort losgelöst wird, gleicht nicht nur einem Effektgewitter, sondern stellt auch spielerisch die Möglichkeiten der Nextgen dar, wenn man sich während einer Bossphase von Plattform zu Plattform hangelt, wenn der Boden unter den Füßen zusammenbricht und man zeitgleich endlos auf den Boss feuert, leuchtenden regenbogenfarbenen Kugeln und Strahlen ausweicht oder sich gar gleich die ganze Zeit im freiem Fall befindet. Klingt irre, und ist es auch. Besonders für außenstehende Zuschauer. Und der Adrenalinschub während man erfolgreich über Minuten Geschossen in Sekundenbruchteilen ausweicht und den Boss zur Strecke bringt, ist einfach unvergleichlich. Nur um dann etwas gestärkt irgendwann wieder das Zeitliche zu segnen und die Reise auf dem Möbiusband weiter anzutreten.

„Returnal“ bietet für seine happigen €79,- (UVP) deutlich mehr, als es zunächst den Anschein macht oder auf dem Papier wirkt. Die prozedural generierten Level bringen stets frischen Wind ins Spiel, nutzen sich nie wirklich ab – und wirken dennoch wie aus einem homogenen Guss. Grafisch und spielerisch zeigt sich hier einer der ersten richtig großen AAA-Titel Sonys und muss sich vor keinem anderen Game verstecken, auch wenn der erste komplette Durchlauf vermutlich nach gut 20 Stunden vorbei ist. Und dann warten noch unzählige Geheimnisse und ein geheimes Ende auf Atropos und die wilde Fahrt geht weiter. Denn ein Möbiusband gleicht einer Reise, die zum Schluss am Anfangspunkt endet und doch auf dem Weg das Wesen verändert.

„Returnal“ ist seit dem 30. April 2021 exklusiv für die Sony PlayStation 5 erhältlich.

Returnal • Housemarque • Action • PS5

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.